Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt
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Название: Reichsgräfin Gisela

Автор: Eugenie Marlitt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754187548

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СКАЧАТЬ in ihr ausgebildet gewesen wäre, um jedes verpönte Begehren mit seiner Hilfe zu unterdrücken – dazu war das Kind noch zu jung; aber »es schickt sich nicht für dich!« hatte ja »die liebe, schöne Großmama« so oft gesagt, ehe sie in den Himmel gegangen, und sie war und blieb der Inbegriff der Erhabenheit und Unfehlbarkeit für die kleine, verwaiste Enkelin... Noch saß die Falte des Zorns zwischen Giselas Brauen, und ihre Augen hingen beunruhigt an dem kleinen Ausgesetzten auf dem Boden, aber als die Gouvernante mit ihren weichen, weißen Händen sanft die schmale, leichte Gestalt zu sich emporzog, da ließ sie sich willenlos greifen, wie ein Vogel, der keinen Ausweg mehr sieht – Frau von Herbeck kehrte mit ihr zum Sofa zurück und behielt ihre Hand zwischen den ihrigen.

      Fritzchen sah sich plötzlich einsam und verlassen. Er warf seinen Zwieback hin, streckte die Ärmchen empor und wollte genommen sein; allein Jutta wandte sich ab – sie war noch immer beschäftigt, ihre etwas in Unordnung geratenen Locken und die verschobenen Falten des Kleides wieder zu ordnen – und Frau von Herbeck machte ihm ein bitterböses Gesicht und drohte heftig mit dem Finger. Der arme, kleine Schelm starrte sie lange erschrocken und unverwandt an – seine großen, blauen Augen füllten sich allmählich mit Tränen, während ein Jammerzug die Mundwinkel herabsenkte – endlich brach er in ein bitterliches Weinen aus.

      Sofort eilten die raschen Füße der Pfarrerin die Treppe herauf, und ehe sich die Damen dessen versahen, stand sie in der Tür. Dort saß ihr »Herzblättchen« ausgestoßen und verlassen auf dem kalten Fußboden, und die vornehmen Frauengestalten auf dem Sofa schmiegten sich aneinander wie zusammengehörig, und als könne der Raum zwischen ihnen und dem plebejischen Kinde nicht weit genug sein.

      Nicht ein Wort kam über die Lippen der beleidigten Mutter, nur eine tiefe Blässe bedeckte für einen Augenblick das blühende Gesicht. Sie hob ihren Knaben empor und preßte ihn heftig an sich; dann wickelte sie ihn in das warme Tuch und schritt nach der Tür zu. Dieses lautlose Schweigen, die fast königliche Haltung der einfachen Frau, die es unter ihrer Würde hielt, ihrem tiefverletzten Gefühl Ausdruck zu geben, imponierten selbst der gewiegten Welt- und Salondame auf dem Sofa.

      »Meine beste Frau Pfarrerin«, rief sie, leicht verlegen, aber mit einschmeichelnder Stimme ihr nach, »Ich bedauere, daß wir den Kleinen nicht besser beschäftigen konnten, aber er war sehr unruhig, und Fräulein von Zweiflingen ist doch noch zu angegriffen –«

      »Ich kann es mir selbst nicht verzeihen, daß ich das nicht besser überlegt habe«, antwortete die Pfarrerin einfach, ohne Bitterkeit, und ging hinaus.

      »Seien Sie diesem Zwischenfall dankbar, Kindchen!« flüsterte die Gouvernante, als sie auch auf Juttas Gesicht einen Zug der Scham und Verlegenheit bemerkte. »Mit dieser einen Zurechtweisung hab' ich Sie vor einer unabsehbaren Reihe widerwärtiger Zumutungen bewahrt... Das ist auch eine jener ›wackeren deutschen‹ Hausfrauen, die vor lauter Tugend und Vortrefflichkeit unausstehlich werden. Zudringlich mit ihrer Weisheit, fahnden sie förmlich auf junge Mädchenseelen und pressen die unschuldigen Lämmer ohne Gnade in den Pferch der sogenannten ›Weiblichkeit‹, die da nichts erlaubt als Bibel, Kochtopf und Strickstrumpf... Das, was wir eben erlebt haben, war der erste leise Versuch der überklugen Frau – war ich nicht da mit meinem Einspruch, so säßen Sie bereits morgen drunten und flickten den alten Rock des Herrn Pfarrers oder die zerrissenen Höschen der geistlichen Sprößlinge.«

      Jutta fuhr empor – in diesem Moment konnte sich das aufglühende Mädchengesicht getrost neben den hochmütigen Zügen des stolzesten Ahnherrn in der Halle des Waldhauses behaupten – das war genau jener kalt zurückweisende Zug um die Lippen, jener verächtlich abwärts zuckende Blitz aus den halbgeschlossenen Augenlidern, der da sagte: »Was nicht neben oder über mir steht, existiert nicht für mich!«

      Frau von Herbeck legte den Arm wieder um die schlanken Hüften des jungen Mädchens und zog sie schmeichelnd an sich heran. Dabei ergriff sie mit der Linken die Hand, die schmal und zart, wie ein durchsichtig weißes Blumenblatt auf dem schwarzen Wollkleide lag, und betrachtete sie mit einer Art von zärtlicher Aufmerksamkeit.

      »Es kann mich förmlich unglücklich machen«, sagte sie mit einem Anflug von Groll in der Stimme, »wenn ich eine meisterhafte Form, wie zum Beispiel diese reizende Hand hier, sehe, und mir dabei sagen muß, daß ihre Schönheit unausbleiblich zerstört werden wird durch die Anforderungen einer unangemessenen Lebensstellung... Diese rosigen Nägel, diese Grübchen voll Küchenschwärze! – pfui, ich mag es gar nicht denken!... Hoffentlich verfährt das Schicksal glimpflich mit Ihnen, Kindchen!... Freilich, ganz und gar diesem Los entgehen werden Sie doch nicht als Frau Hüttenmeisterin.«

      »Theobald hat mir und Mama versprochen, daß er mich wie seinen Augapfel behüten wolle«, entgegnete das junge Mädchen stockend mit halberstickter Stimme.

      »Ja, ja, liebes Herzchen, das ist alles recht schön und gut, und der Hüttenmeister auf alle Fälle ein prächtig lieber Mensch, der im Notfall sein Herzblut für Sie hingibt – in seinen guten Willen setze ich auch nicht den mindesten Zweifel. Aber, aber, solch einem glücklichen Bräutigam fällt es selten ein zu rechnen – das kommt erst nach der Hochzeit... Und was wollen Sie dann machen, wenn Sie einmal drinstecken? Die Familie wird größer, das Einkommen aber nicht, und wenn dann der Mann die Nähterin oder Flickmamsell nicht mehr bezahlen kann, so hilft der Frau kein Wehren und Sträuben – sie muß, wohl oder übel, die groben Strümpfe des Herrn Gemahls über die feine Hand stülpen und – sie flicken.«

      Frau von Herbeck hielt inne und sah seitwärts auf Juttas Gesicht nieder, das an ihrer Schulter lehnte. Das junge Mädchen schwieg mit fest zusammengepreßten Lippen, während sein Auge unverwandt und finster auf den Boden starrte, als gewänne die häßliche Schilderung der Gouvernante dort bereits Form und Gestalt... Frau von Herbeck lächelte leise, und der Ausdruck ihrer großen, schwimmenden Augen war in diesem Moment sicher nicht jener ehrenfeste, den sie respektablen Charakteren gegenüber anzunehmen wußte. Sie strich mit der Hand sanft über die gerunzelte Stirne der jungen Dame.

      »Ach, wer wird denn gleich ein solch trübes Gesicht machen!« sagte sie ebenso einschmeichelnd beschwichtigend, wie sie mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen zu reden gewohnt war. »Meine ich Sie denn etwa speziell mit dieser Schilderung?... I, Gott soll mich bewahren! Ich wäre ja mit dem besten Willen nicht einmal imstande, mir die schöne Jutta von Zweiflingen in einer solchen Lage zu denken, obwohl ich an manchem schönen, gefeierten Mädchen erfahren habe, wohin solche Neigungsheiraten führen können... Sehen Sie, da wird alles, was das Leben schmückt, nach und nach als Ballast über Bord geworfen... Das geliebte Klavier steht verstaubt und verschlossen in der Ecke, die eleganten Bücher und Stickereien verschwinden vom Nähtisch, dafür liegen schmutzige Abc-Bücher und Schreibhefte umher, und ein Korb voll zerrissener Wäsche wartet auf neue Flicken – ich kenne das... Die junge Frau streicht die bewunderten Locken glatt hinter das Ohr oder unter die Haube – das sieht häßlich aus – aber was tut's? Sie braucht nicht mehr schön zu sein, es sieht sie ja niemand!«

      Jutta sprang auf, warf wortlos, aber mit einer leidenschaftlichen Gebärde die Locken zurück und trat an das Klavier... Was auch in dieser Brust vorgehen mochte, es war jedenfalls ein heftiger Aufruhr, der sie in fliegenden Atemzügen hob und senkte.

      Die junge Dame schlug den Deckel des Instrumentes zurück, und in den Sessel niedergleitend, begann sie eine wildaufbrausende ungarische Volksweise kraftvoll und energisch mit denselben Händen, die vorhin zu »schwach und angegriffen« gewesen waren, das Kind der Pfarrerin auch nur einen Augenblick zu halten... Wie Perlenschnüre rollten die kühnen Passagen; es war ein Gewoge von Tönen, aus denen die Grundmelodie immer wieder auftauchte, und mit ihr wilde Zigeunergesichter, glühend angestrahlt vom Lagerfeuer, nächtliche, über die weite Pußta hinfliegende Reiter, umtobt von mähneflatternden Roßherden, sterbende Helden und kühne Räubergestalten – und diese fremdartigen Gebilde, in denen ein heißes Blut pulsierte, rauschten durch die kleinen Eckfenster hinaus in das keusche, feierliche Schweigen der herabsinkenden heiligen СКАЧАТЬ