Название: Reichsgräfin Gisela
Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754187548
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Voll von der unerschütterlichen Zuversicht der Mutterliebe, die ihr Kind unwiderstehlich findet, war es ihr nicht eingefallen, auch nur einen forschenden Blick auf Juttas Gesicht zu werfen; ihr Auge hing vielmehr unverwandt mit zärtlichem Stolz an dem kugelrunden Geschöpfchen, das gutwillig auf dem Schoß der jungen Dame sitzen blieb und mit seinen vier nagelneuen Zähnchen tapfer in den Zwieback biß, den die Mutter in die kleine Hand gedrückt hatte.
Die Pfarrerin schritt hurtig nach der Tür zurück, allein diese zwei blauen, lustigen Augen besaßen einen wahren Feldherrnblick im Hauswesen; sie fahndeten selbst in der größten Eile auf jede Gesetzwidrigkeit, und so blieb die Frau plötzlich stehen und ergriff einen der Immergrünzweige, die sich nach Frau von Zweiflingens Bild emporrankten und vom Kerzenlichte bestrahlt wurden – die jungen Triebe hingen matt und halb verdurstet am Stengel.
»O weh, ihr armen Dinger!« rief sie mitleidig, während sie nach einer gefüllten Wasserflasche griff und die steinharte Erde in den Töpfen begoß. »Fräulein Jutta«, wandte sie sich freundlich ernst an die junge Dame, »das Immergrün da müssen Sie mir mehr in Ehren halten! Als ich meinen ersten Geburtstag als junge Frau hier in der Pfarre feierte, da ging es knapp genug bei uns zu – der Storch war da gewesen, und so war der Geldbeutel schmal geworden –, mein Mann hatte keinen Groschen mehr in der Tasche, aber da kam er in aller Frühe aus dem Walde und stellte mir die Töpfe aufs Fensterbrett, und ich sah zum erstenmal in meinem Leben, daß er geweint hatte... Ich hab' sie nicht mit leichtem Herzen da heraufgegeben«, fuhr sie aufrichtig fort, indem ihre flinken Hände die niederhängenden Ranken wieder an den Schnüren befestigten, die an der Wand hinliefen; »aber mit Tapeten sieht's windig bei uns aus, die kann weder mein Mann noch die Gemeinde bezahlen, und die kahlen weißen Wände waren mir denn doch nicht schön genug für meinen lieben Gast.«
Ihr Gesicht hatte bei den letzten Worten wieder den Ausdruck unbekümmerter Heiterkeit angenommen. Sie setzte das Licht auf den Sofatisch, nickte ihrem Knaben zu und verließ rasch das Zimmer.
Als die Tür hinter ihr in das Schloß gefallen war, sah Frau von Herbeck einen Augenblick wie sprachlos vor Erstaunen in Juttas Gesicht, dann brach sie in ein helles, spöttisches Lachen aus.
»Nun, das muß ich sagen, das ist eine Naivität, die ihresgleichen sucht!« rief sie und sank, die Hände zusammenschlagend, an das schwellende Polster der Sofalehne zurück. »Himmel, was Sie für ein klassisches Gesicht machen, Herzchen! Und wie gottvoll Sie sich anstellen als Kindermuhme!... Ich könnte mich totlachen!«
Jutta hatte noch nie ein Kind auf dem Schoße gehabt und selbst als kleines Mädchen nur wenig mit Altersgenossen verkehren dürfen. Als die Zwistigkeiten zwischen ihren Eltern ausbrachen, war sie – kaum zwei Jahre alt – einer in klösterlicher Einsamkeit lebenden Geheimratswitwe übergeben worden, sie sollte nicht durch die schrecklichen Verhältnisse im elterlichen Hause berührt werden. Erst kurz vor dem Tode ihres Vaters durfte sie zu der Mutter zurückkehren und hatte somit den größten Teil ihrer Kindheit fast ausschließlich im Umgang mit der alten Dame verbracht, deren Aufgabe es ja gewesen war, sie einzig und allein für ein zurückgezogenes, anspruchsloses Leben zu erziehen. Übrigens mußte dieser jungen Mädchenseele der Instinkt versagt sein, der das echte Weib unwiderstehlich zu der Kinderwelt hinzieht und dasselbe sofort, ohne irgendwelche Anleitung, zur Pflegerin geschickt macht, denn sie sah, den Oberkörper ängstlich zurückgebogen und die Arme steif an den Seiten niederhaltend, mit einer Art von Entsetzen auf den kleinen, aufgedrungenen Schützling nieder; aber sie war auch innerlich erbittert über die Zumutung, die ihr gemacht worden war – sie runzelte finster die Brauen, und die feinen, bläulichweißen Zähne gruben sich tief in die Unterlippe.
»Ach, und wie vortrefflich Ihnen die ehrliche Landpomeranze zu sagen wußte, welche übermenschlichen Opfer ›dem lieben Gast‹ in diesem gesegneten Pfarrhause gebracht werden!« fuhr Frau von Herbeck noch immer lachend fort, »Gott solch eine vierschrötige, hausbackene Person, und dabei diese Sentimentalität mit dem Grünzeug!... An Ihrer Stelle ließ ich die Töpfe sofort dahin zurückbringen, wo sie der gerührte Gatte einst hingestellt hat – schließlich werden Sie noch für jedes abgefallene Blatt verantwortlich gemacht, und ich kann es Ihnen keinen Augenblick verdenken, wenn Sie nicht Lust haben, die kostbare Orangerie der Frau Pfarrerin zu begießen.«
Die kleine Gisela war von ihrem Stuhl aus mit großer Aufmerksamkeit dem ganzen Vorgang gefolgt. Jetzt glitt sie auf den Boden herab, und ihr großes, kluges Auge richtete sich erregt auf das Gesicht ihrer Gouvernante, während ein helles Rot unter die gelblichweiße, matte Haut der Wangen trat.
»Die Töpfe dürfen nicht fortgeschafft werden!« sagte sie ziemlich heftig. »Ich will es nicht haben – das tut mir zu weh!« Stimme und Gebärden des Kindes zeigten unverkennbar, daß es gewohnt sei, zu befehlen.
Frau von Herbeck nahm die Kleine sofort in ihre Arme und küßte sie voll Zärtlichkeit auf die Stirne. »Nein, nein«, beschwichtigte sie, »sie sollen ganz gewiß da bleiben, wenn mein süßes Kindchen es will... Aber du verstehst das noch nicht, Engelchen – es ist nicht so gut gemeint von der Frau, wie du denkst.«
Währenddessen hatte Fritzchen lustig und unbekümmert seinen Zwieback bearbeitet. Das kaum dreivierteljährige Kind war in der Tat frisch und weiß wie ein Nußkern. Der kleine, runde Kopf mit den blühenden Wangen und dem gespaltenen Kinn ruhte unmittelbar auf der blütenweißen, faltenreichen Hemdkrause, und unter dem fleckenlosen, feuerroten Flanellröckchen hervor guckten ein Paar draller, rosiger Beinchen, denen man es ansah, daß sie eben noch im Seifenschaum gesteckt hatten.
Fritzchen wurde nach dem Prinzip der allgemeinen Menschenliebe erzogen. Es fiel ihm plötzlich ein, daß er von allem, was ihm gut schmeckte, an Mama, Rosamunde und die Geschwister abgeben mußte, und infolgedessen nahm er unter treuherzigem Lallen den Zwieback vom Munde und stieß ihn mit den ungeschickten Händchen heftig gegen Juttas Lippen – das junge Mädchen fuhr leise aufschreckend zurück, und die Röte des Erschreckens flammte über ihr Gesicht; die kleine Gräfin aber lachte laut auf – der Moment erschien ihr urkomisch.
»Aber, Gisela, mein Kind, wie magst du da nur lachen?« schalt die Frau von Herbeck sanft. »Siehst du denn nicht, daß das arme Fräulein von Zweiflingen zu Tode erschrocken ist über die Zudringlichkeit des kleinen Bengels?... Übrigens sehe ich gar nicht ein, weshalb wir uns das gemütliche Plauderstündchen verderben lassen sollen!« fuhr sie ärgerlich fort. »Ich werde der Sache gleich ein Ende machen!«
Sie stand auf, nahm den kleinen Missetäter von Juttas Schoß und setzte ihn auf die Dielen; in demselben Augenblick kauerte aber auch Gisela neben dem Kinde und legte die kleinen mageren Arme um seine Schultern. Der Ausdruck war wie weggewischt von ihrem schmalen Gesichtchen. »Es war gut gemeint von ihm!« sagte sie, zwischen Trotz und Bedauern schwankend.
»Pfui, mein Kind – ich bitte dich, rühre den schmutzigen Jungen nicht an!« rief Frau von Herbeck, die Bemerkung des Kindes überhörend.
Die kleine Gräfin antwortete nicht, aber der Blick, mit dem sie zu ihrer Gouvernante aufsah, funkelte in Zorn und Widersetzlichkeit. Diesem Kinde gegenüber hatte die Dame offenbar einen sehr schweren Stand; allein sie war ja »vollkommen passend« und wußte sich demgemäß zu helfen.
»Wie – eigensinnig will mein Liebchen sein?« fragte sie schalkhaft zärtlich. »Nun meinetwegen, bleibe du sitzen, wenn es dir Freude macht!... Was aber wohl Papa sagen würde, wenn er die kleine Reichsgräfin Sturm als Kindermädchen auf dem Fußboden kauern sähe! Oder die Großmama!... Weißt du noch, Engelchen, wie sie zürnte und schalt, weil dir im vorigen Jahr auf deine Bitten die Frau des Jägers Schmidt ihr Kind auf den Schoß gegeben hatte?... Nun ist sie tot, die liebe, schöne Großmama; aber du weißt ja, daß sie im Himmel ist und immer sehen kann, was ihre kleine Gisela tut – in diesem Augenblick betrübt sie sich gewiß recht sehr, denn was du tust, schickt sich ja nicht für dich!«
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