Название: Reichsgräfin Gisela
Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754187548
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»Die Frau Reichsgräfin Völdern«, antwortete das Kind fast feierlich – es hatte offenbar den Namen nie anders als im tiefsten Respekt aussprechen hören.
Frau von Zweiflingen schleuderte jählings die kleine Hand des Kindes, die sie bisher zärtlich in der ihrigen gehalten hatte, weit von sich wie ein giftiges Gewürm.
»Die Gräfin Völdern!« schrie sie auf. »Ha, ha, ha, die Enkelin der Gräfin Völdern unter meinem Dache!... Brennt die Spiritusflamme unter der Teemaschine, Jutta?«
»Ja, Mama«, antwortete das junge Mädchen tief erschrocken – es lag etwas wie Wahnwitz in der Stimme und den Gebärden der alten Frau.
»So lösch sie aus!« befahl sie rauh.
»Aber, Mama –«
»Lösch sie aus, sag' ich dir!« wiederholte die Blinde mit wilder Heftigkeit.
Jutta gehorchte. »Sie brennt nicht mehr«, sagte sie leise.
»Nun trage Salz und Brot hinaus.«
Diesmal folgte die junge Dame dem Geheiß ohne Widerrede.
Die kleine Gisela hatte sich anfänglich verschüchtert in eine Ecke geflüchtet, aber sehr bald wich der bestürzte Ausdruck ihres Gesichtchens dem des Trotzes und des Unwillens. Sie war nicht unartig gewesen, und man hatte sich unterstanden, sie zu strafen. In ihrer kindlichen Unschuld ahnte sie zwar nicht, daß die Befehle der Blinden eine förmliche Kriegserklärung enthielten, sie fühlte nur, daß sie ungebührlich behandelt werde – eine Erfahrung, die sie augenscheinlich zum erstenmal in ihrem jungen Leben machte.
»Du mußt warten, Puß, bis wir nach Arnsberg kommen«, sagte sie und nahm dem Tiere die Milch weg, die Jutta auf den Boden gestellt hatte. Dann griff sie nach Mantel und Kapuze und machte sich reisefertig. Eben war sie im Begriff, die Katze in die Decke zu hüllen, als Jutta wieder eintrat.
»Ich will lieber wieder hinausgehen und Papa bitten, daß ich mit Frau von Herbeck im Wagen bleiben darf!« rief das Kind der Eintretenden entgegen und warf einen trotzigen Blick nach der Blinden; allein diese schien plötzlich gar nicht mehr zu bemerken, was im Zimmer vorging. Noch strammer als zuvor in ihrer Haltung und den Kopf horchend nach der Tür gewendet, die in die Halle führt, saß die Gestalt dort unbeweglich, wie zu Erz erstarrt – desto lebendiger erschien das Gesicht. Vielleicht wäre der Mann, der in diesem Augenblick so fest und sicher durch die Halle schritt und in einem so vornehm gebietenden Ton zu Sievert sprach, doch nicht durch die Tür getreten, hätte er dies Frauenantlitz sehen können, in dessen harten, gespannten Zügen glühender Haß und eine unerbittliche Rachsucht gleichsam lauerten, um urplötzlich hervorzubrechen.
Die Tür wurde geöffnet. Zuerst erschien eine Dame auf der Schwelle, noch trug das volle, hübsche Gesicht die Spuren der Erregung, denn es war völlig blutlos; ebenso zeigte der derangierte Anzug, daß die sehr stattliche Gestalt nicht ungefährdet das Dickicht passiert hatte; allein sie verbeugte sich trotzdem mit einem verbindlichen Lächeln und der ganzen Sicherheit der Weltdame, als hätten ihre Füße nicht einen Moment den ebenen Boden des Salons verlassen.
Jutta begrüßte sie beklommen, mit einem angsterfüllten Blick nach der unheimlich schweigenden Gestalt im Lehnstuhl. Draußen tobte der eisige Schneesturm, aber zwischen den vier engen Turmwänden dünkte es plötzlich dem jungen Mädchen schwül, wie vor der Entladung dräuender Gewitterwolken. Durch die offene Tür sah sie, wie der mitgekommene Herr rasch seinen Mantel abstreifte und ihn Sievert übergab, der mit der Laterne neben ihm stand – nie war ihr das Gesicht des alten Soldaten so feindselig und verbissen erschienen wie jetzt. Trotz ihrer inneren Angst überkam sie ein unbeschreiblicher Ärger – wie konnte der alte Diener in seiner untergeordneten Stellung die Frechheit haben, der gebietenden, vornehmen Männergestalt gegenüber ein so impertinent unhöfliches Gesicht zu zeigen!
Der Herr trat auf die Schwelle. Er ergriff die Hand der kleinen Gisela, die ihm entgegenlief, und ohne zu beachten, daß das Kind einen dringenden Wunsch auf den Lippen hatte, schritt er in das Zimmer, um die verheißene Vorstellung mittels einer nachlässigen, leichten, aber sehr eleganten Bewegung in Szene zu setzen – allein die Blinde hatte sich plötzlich mit einem gewaltsamen Ruck in ihrem Lehnstuhl halb erhoben und streckte ihm abwehrend die Hand entgegen. Dieser durch die Krankheit so furchtbar entstellte Frauenkörper, dem die entfesselte Leidenschaft für Augenblicke den Anschein von Selbständigkeit zurückgab, hatte etwas wahrhaft Gespenstisches.
»Nicht einen Schritt weiter, Baron Fleury!« gebot sie. »Wissen Sie, über wessen Schwelle Sie gegangen sind, und muß ich Ihnen wirklich erst sagen, daß dies Haus keinen Raum für Sie hat?«
Welcher Modulation war diese heisere Stimme immer noch fähig! Die unsägliche Verachtung in den letzten Worten klang förmlich vernichtend. Der Angeredete blieb auch, sichtlich betroffen durch die Erscheinung, einen Augenblick wie angewurzelt stehen, allein dann ließ er die Hand des Kindes los und ging festen Schrittes auf die Kranke zu. Sie war unfähig, länger in der angenommenen Stellung zu verharren, und sank kraftlos zurück; der energische Ausdruck aber blieb sowohl in ihren Zügen als in der gebieterischen Handbewegung, mit der sie nach der Tür zeigte.
»Gehen Sie, gehen Sie!« rief sie heftig. »Sie brauchen ja nur vor die Tür zu treten, um auf höchsteigenem Grund und Boden zu stehen... Die freiherrlich Fleurysche Forstverwaltung würde es jedenfalls als Waldfrevel strafen, wollte ich auch nur über einen Grashalm neben den alten Mauern dieses Hauses verfügen – aber das Dach über meinem Haupte ist noch mein, unbestritten mein, und hier wenigstens habe ich die herzstärkende Genugtuung, Sie hinausweisen zu können!«
Baron Fleury wandte sich mit einer sehr ruhigen Bewegung nach der mitgekommenen Dame um, die sprachlos vor Erstaunen noch an der Tür stand.
»Führen Sie Gisela hinaus, Frau von Herbeck!« sagte er mit vollkommen unbewegter Stimme zu ihr. Diese völlige Gelassenheit erschien wahrhaft imponierend gegenüber der Leidenschaftlichkeit der Blinden. Das war aber auch ein Männerkopf, dem schon die Form es leicht machte, das Gepräge vornehmer Ruhe zu bewahren. Die ziemlich tief über die Augäpfel herabhängenden Lider verschleierten den Blick und machten ihn unergründlich, und die etwas gestreckte, leicht gebogene Nase saß fest, wie gemeißelt in dem Gesicht, das, wenn auch nicht gerade fleischig, doch das Spiel der einzelnen Muskeln nicht scharf hervortreten ließ.
Frau von Herbeck verließ schleunigst das Zimmer. Drüben klaffte Sieverts Tür, ein heller Lichtschein fiel heraus auf die Steinfliesen der Halle; Baron Fleury sah zu seiner Beruhigung, wie die Dame mit dem Kind in die kleine behagliche Stube trat und die Tür hinter sich schloß.
»Wer hat nach mir gefragt, als ich in Nacht und Elend gestoßen worden bin?« fuhr die Kranke in wilder Klage fort, nachdem die Schritte der Hinausgegangenen verhallt waren. »Wissen Sie, was es heißt, Baron Fleury, ein halbes Leben lang mit geschlossenem Mund zu dulden, ein ruhiges Gesicht zu zeigen, während das stolze, heiße Herz tausendfach den Martertod stirbt?... Wissen Sie, was es heißt, wenn eine freche Hand uns ein Kleinod stiehlt, an das sich jede Faser unseres innersten Lebens liebend klammert – wenn das geliebteste Auge sich tödlich kalt von uns abwendet, um glühend und verlangend auf einem tiefverhaßten Gesicht zu ruhen?... Wissen Sie, was es heißt, den ehemals stolzen, festen Geist eines Mannes Schritt für Schritt sinken zu sehen, ihn als Spielball in ehrlosen Händen zu wissen, während er uns für jeden Versuch, ihn zu retten, erbittert mißhandelt wie seinen grimmigsten Feind?... Das alles frage ich freilich vergebens – was weiß Baron Fleury von wahrer Hingebung und Tugend!« unterbrach sie sich selbst mit unsäglicher Bitterkeit und wandte das Gesicht weg von ihm, der bewegungslos neben ihr stand. Er hatte die Arme untergeschlagen und sah wieder auf die Blinde mit der Geduld und Nachsicht, oder auch der Überlegenheit des СКАЧАТЬ