Название: Reichsgräfin Gisela
Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754187548
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Bei Juttas Hervortreten erschien denn auch sofort ein kleines, ungefähr sechsjähriges Mädchen auf der Schwelle und sah mit neugierigem Erstaunen zu der jungen Dame empor; es war so winterlich vermummt, daß nur ein schmales Näschen und ein paar groß und weit aufgeschlagene Augen sichtbar wurden; aber diese Umhüllung erschien in allen Einzelheiten höchst elegant und von kostbarem Stoff. Das Kind trug einen ziemlich umfangreichen Gegenstand auf dem Arme, über den es sorgsam das Mäntelchen hielt... Und jetzt tauchte eine Männergestalt aus dem Dunkel empor – unter der dunkelglänzenden Pelzverbrämung der Mütze leuchtete förmlich die tiefe Blässe eines sehr vornehmen Gesichts. Die Hast, mit der der Herr plötzlich die Stufen heraufsprang, mochte möglicherweise auch dem Gefühl augenblicklicher Überraschung entspringen – dagegen zeigten die Züge bereits wieder eine vollkommene Gelassenheit, als er Jutta gegenüberstand. Er schob das Kind in die Halle und verbeugte sich leicht, mit der ganzen Ungezwungenheit des vollendeten Kavaliers, vor dem jungen Mädchen.
»Drüben im Wagen wartet eine Dame in leicht verzeihlicher Angst und Furcht auf meine Rückkehr«, sagte er mit einem kaum bemerkbaren Lächeln, das aber im Verein mit der überaus wohlklingenden Stimme einen eigentümlichen Zauber gewann. »Haben Sie die Güte, dies Kind einstweilen auf Treu und Glauben in Ihren Schutz zu nehmen, bis ich zurückkommen und mich in aller Form vorstellen kann.«
Statt aller Antwort legte Jutta mit einer anmutigen Bewegung den Arm um die Schultern der Kleinen und führte sie nach dem Wohnzimmer, während der Fremde in Sieverts Begleitung nach dem Fahrweg zurückkehrte.
»Mama, ich bringe einen Gast, ein allerliebstes kleines Mädchen!« rief die junge Dame fröhlich in der Tür – der Eindruck des vorhergegangenen peinlichen Auftrittes schien völlig verlöscht in ihrer Seele. Sie erzählte in raschen Worten das Ereignis im Walde.
»Nun, dann besorge heißen Tee!« sagte Frau von Zweiflingen und richtete sich auf. Ihre abgezehrten Hände streiften ordnend über die Falten des ärmlichen Kleides und betasteten Haar und Haube, ob auch alles in Ordnung sei. Trotz aller inneren Lostrennung von Welt und Leben lag doch noch etwas in ihr, das unbewußt fortlebte und sich in geeigneten Momenten geltend machte: das Festhalten an den äußeren Formen; und wie sie dort saß, den kranken Rücken gewaltsam aufrichtend und die bleichen Hände lässig, aber doch nicht ohne Grazie in dem Schoß gekreuzt, da suchte man freilich nicht das Original jener bestrickenden Mädchenerscheinung über dem Sofa in ihr; allein es ließ sich nicht verkennen, daß diese gebrechliche Gestalt einst in glänzenden Salons ganz an ihrem Platz gewesen sein mußte.
»Komm her und gib mir die Hand, mein Kind!« sagte sie und neigte den Kopf mit dem Ausdruck freundlicher Güte nach der Richtung, wo die kleine Fremde stehen geblieben war.
»Gleich, liebe Frau!« antwortete die Kleine, die bis dahin die hinfällige alte Dame mit einer gewissen Scheu betrachtet hatte; »ich will nur erst Puß vom Arme tun.«
Sie schlug das Mäntelchen zurück – der schneeweiße Kopf einer Angorakatze kam zum Vorschein. Das Tier war bis an die Ohren in eine rotseidene wattierte Decke gewickelt und strebte augenscheinlich nach der goldenen Freiheit. Jutta half die weiche Hülle abwickeln, dann wurde Puß vorsichtig auf den Fußboden niedergelassen. Er reckte und streckte die Glieder, die offenbar unter dem Druck allzu großer Zärtlichkeit und Fürsorge gelitten hatten, machte einen Buckel und stieß ein klägliches Miau aus.
»Pfui, schäme dich, du bettelst, Puß?« schalt das kleine Mädchen vorwurfsvoll, warf aber trotz dieser beschämenden Zurechtweisung des Lieblings einen verlangenden Blick nach dem Milchtopf auf dem Tisch.
»Aha, Puß hat Milchappetit!« lachte Jutta. »Nun, er soll nachher bekommen, aber erst wollen wir dem Kind Kapuze und Mantel abnehmen.«
Sie griff nach der Umhüllung; allein die Kleine trat zurück und schob die Hände weg. »Ich will es selbst tun!« sagte sie mit sehr viel Entschiedenheit im Ton. »Ich leide das auch von Lena nicht – sie tut immer so, als sei ich eine Puppe.«
Damit nahm sie Kapuze und Mantel ab und legte beides auf Juttas Arm. Die Finger der jungen Dame glitten mit sichtbarem Wohlgefallen, aber auch mit einer Art von ehrfurchtsvoller Scheu über die Zobelverbrämung und den köstlichen echten Samt des Mantels – das Geschöpfchen da vor ihr mußte sehr vornehmer Leute Kind sein... Es war ein eigentümliches kleines Wesen. Hoch emporgeschossen, aber sehr schmal in den Schultern und von wahrhaft erschreckender Magerkeit, sah das flache, dünne Körperchen aus, als müsse es schon der Winterstoff des Kleides mittels seiner schweren Falten erdrücken. Das dicke, sehr helle, ja völlig farblose Haar war knabenhaft kurz zugestutzt und an den Schläfen weg einfach hinter das Ohr gestrichen. Diese unkleidsame, nüchterne Frisur verlieh dem fleischlosen Gesichtchen scharf hervortretende Ecken – für den ersten flüchtigen Blick also war die kleine Mädchenerscheinung in ihren Umrissen eine sehr häßliche; allein wer vergäße nicht über einem Paar tiefer, unschuldig blickender Kinderaugen die mangelhaften, eckigen Linien jugendlicher Magerkeit! Und es waren in der Tat sehr schöne, rehbraune Augen, die sich ernst und nachdenklich auf das verfallene Gesicht der alten blinden Frau hefteten, während eine zarte Kinderhand die Finger derselben leise berührte.
»Ah, da bist du ja, meine Kleine!« sagte Frau von Zweiflingen und zog das Händchen näher an sich. »Du hast wohl deinen Puß sehr lieb?«
»O ja, sehr lieb!« bestätigte das Kind. »Die Großmama hat ihn mir geschenkt, und deshalb ist er mir viel lieber als alles, was mir Papa gibt – er bringt mir auch immer nur Puppen, die ich nicht leiden kann.«
»Wie, ein so allerliebstes Spielzeug gefällt dir nicht?«
»Gar nicht – die Puppenaugen sind schrecklich, und das ewige Aus- und Anziehen langweilt mich – ich will nicht sein wie Lena, die mir auch immerfort neue Kleider bringt und mich quält – ich weiß es ganz genau, Lena ist sehr putzsüchtig.«
Frau von Zweiflingen wandte den Kopf mit einem bitteren Lächeln nach der Richtung, wo eben Juttas seidenes Kleid leise knisterte. Sie öffnete die achtlosen Augen weit, als solle und müsse sie in diesem Moment das Gesicht der Tochter sehen, das denn auch unter dem ausdruckslosen Blick der Mutter leicht errötete.
»Nun, da mag dir Puß freilich besser gefallen«, hob die Blinde nach einer kleinen Pause wieder an, »er wechselt seine Toilette niemals.«
Das Kind lächelte und sah dadurch plötzlich unbeschreiblich anziehend aus – die schmalen Wangen rundeten sich, und ein Zug sanfter Lieblichkeit verschonte den kleinen, blassen Mund.
»Oh, er gefällt mir auch besser, weil er sehr vernünftig ist!« sagte sie. »Ich erzähle ihm alle hübschen Geschichten, die ich weiß und mir erdenke, und da liegt er vor mir auf dem Kissen und blinzelt mit den Augen und schnurrt, was er kann – das tut er immer, wenn ihm etwas gefällt... Papa lacht mich immer aus; aber es ist doch wahr – Puß kennt meinen Namen.«
»Ei, das ist ja ein merkwürdiges Tier!... Und wie heißest du denn, meine Kleine?«
»Gisela, wie meine tote Großmutter.«
Es fuhr wie ein gewaltiger Ruck durch die Glieder der Blinden.
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