Название: 3000 Plattenkritiken
Автор: Matthias Wagner
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783741869433
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Marie Bergman
„Fruit” (1997)
Ewig hat sie Rock gesungen, dann wechselte sie zum Jazz – und wir fallen auf die Knie vor dieser begnadeten Stimme. Denn die Mitt-40erin Marie Bergmann aus Schweden ist das missing link zwischen Billie Holiday und Rickie Lee Jones. Sie ist, was immer sie sein möchte, einfach so, ganz leicht: scheues Mädchen, Femme fatale, flüsternde Kassandra oder die swingende Königin des Ballsaals. Marie Bergmann ist eine Offenbarung des Jazzgesangs, und – Miles sei Dank – hat ihr Produzent dieses Wunder in Arrangements gesteckt, die nichts überspülen, sondern all ihre Fähigkeiten freilegen. Nach diesem Album fragt man sich, wie man leben konnte, ohne einen Song wie „Wish someone would care“ zu kennen. Ein Album für die Annalen.
Moby
„I like to score” (1997)
Natürlich mag es der US-Komponist aus dem Technodunstkreis, wenn er erfolgreich den Nerv der Zeit und jenen der Damen trifft, doch sein Albumtitel ist gar tripeldeutig: Moby mag nämlich auch das Komponieren und Adaptieren („James Bond Theme“) von Filmmusik. Hier erreicht er, so widersprüchlich es klingt, eine gleichsam oberflächliche Tiefe; unverschämt direkt zielt er auf die Rezeptoren fürs Schöne in uns. Moby liebt die unverschleierten Reize, das wohlige Stöhnen im synthetischen Soundbad, den pumpenden Simpelbeat hinter kathedralischen Klangtiefen. Wie er dennoch immer wieder den Kitsch nur lächelnd streift, bleibt rätselhaft; vielleicht spüren wir die dunklen Seiten dieses Klangmalers, die nur manchmal klar zu sehen sind – etwa im schneidenden Joy-Division-Cover „New Dawn fades“, das wir schon vom letztjährigen Tributealbum an die britischen Düsterlegenden kennen. Der Rest seiner gesammelten Scores ist eines immer: oberflächlich tief.
Natural Calamity
„Andalucian Moon” (1997)
Wer den Albumtitel kennt, weiß schon viel über die Musik. Es sind halbakustische verträumte Instrumentals mit manchmal wie beiläufig eintrödelndem Mädchengesang (Stephanie Heasley), scheinbar improvisiert und sehr langsam gespielt – Verandamusik zweier japanischer DJs, die in London leben und Dance nicht für die Ultima Ratio halten. „Das ist religiöse Musik“, schreibt ein Kollege, „um sich tief zu versenken, Selbstmord zu begehen oder im Central Park zu picknicken.“ Einzige Coverversion ist Pharaoh Sanders’ „The Creator has a master plan“. Und das klingt, als hätte Gott bekifft die Hälfte seines Plans vergessen.
Nick Cave & The Bad Seeds
„The Boatsman’s Call” (1997)
Blixa Bargeld muss sich gelangweilt haben. Nichts zu tun, kein Gitarrensolo, nicht die kleinste seriöse Schrägheit. Nein, dieses Album des australischen Exjunkies und früheren Neutöners Nick Cave ist so traurig schön wie die technicolorrote Schlussszene aus Peckinpahs „Pat Garrett & Billy The Kid“. Auch Cave, gefangen in einem langsam kreisenden Strudel aus Liebe und Religion, klopft an die Himmelstür, und manchmal kann man das Mädchen und Gott nicht mehr unterscheiden. „Boatman’s Call“ versammelt Songgebete eines beunruhigten Nihilisten, Klagen eines widerstrebend Hoffnungslosen, Bibeldeutungen eines diesseits Liebenden, verpackt in erhabende Langsamkeit. Blixa wird sie mit Langeweile verwechselt haben.
Nils Landgren Funk Unit
„Paint it blue – Tribute to Cannonball Adderley” (1997)
Wohl dem, der solchen Helden folgt – und genug Talent und Furor dazu hat. Nils Landgren, der schwedische Posaunist und Trompeter, tanzt auf den Schultern dreier Meister: jenem der Schönheit, Miles Davis, dem des Klangs, John Coltrane, und jenem des Funk, Cannonball Adderley. Letzterem widmet Landgren dieses beseelte Tribut, das getränkt ist mit den Klangfarben von Bläsern (darunter die Brecker-Brüder und Til Brönner), schmiegsam warmen Keyboards und kühlen Rhythmen von Airto Moreira oder Marcio Doctor. Landgren fasst Adderleys Werk bei den Wurzeln und modelliert es behutsam um für die Moderne des Jazz, die natürlich Soul und Rap integriert. Spätestens nach der eleganten Fassung von „Mercy Mercy Mercy“ ist die Frage, ob er noch Schüler oder schon Meister ist, kaum mehr zu beantworten. Oder endgültig.
Notorious B.I.G.
„Life after Death” (1997)
Kaum sind die Lebenswerke im Kasten, sind die Rapper tot – Manna für Abergläubische. Nach Tupac Shakur starb nun auch Notorious B.I.G. im Kugelhagel, nicht ohne ein monströses, makaber betiteltes Album zu hinterlassen, das als alle New-School-Stile zusammenführendes HipHop-Monument Bestand haben wird. Allerdings muss über den Tribut geredet werden, den die Szene zahlt. Das Rappen vom Leben und Sterben als Gangmitglied, von Motherfuckers und Copkillers schien lange in Popkunst zu verwandeln, was anders zu Mord und Totschlag geführt hätte. Nun scheint es, als sei diese Trennung ein Trugschluss gewesen, als sei die Gewalt in den Köpfen nicht dauerhaft fern zu halten von den Körpern. Der Gangstarap muss beweisen, dass das anders sein kann. Sonst wird das Genre bald tot sein – ohne Aussicht auf ein life after death.
Oasis
„Be here now” (1997)
„Definitely maybe“ (1994) war der kalorienreiche, aber nicht perfekte Aperitif, „Morning Glory“ (1995) der fette Hauptgang, und jetzt reicht Oasis-Kopf Noel Gallagher „Be here now“ nach. Doch was ist das – der Käsegang? Solch eine kräftige Rinde hatte jedenfalls noch kein Oasis-Album, so erdig-würzig arrangierte die Band aus Manchester ihre Musik noch nie. Die unglaubliche Dichte meisterhafter Songs auf „Morning Glory“ ist (natürlich) unerreichbar, doch Gallagher zieht sich gut aus der Affäre. „Stand by me“ etwa ist eine furiose Hymne ohne jeden Makel, „D’You know what I mean“ ein vollgepackter Noiserocker mit einem Refrain, der langsam, aber gewaltig kommt. Viele Songs retten sich in haushoch geschichtete Rockarrangements – zu einem muskulösen, manchmal beatleskem Album, das dieses Jahr in England (natürlich) niemand übertreffen wird. Nur sich selbst konnte Noel nicht schlagen. Aber Sally kann warten.
Ocean Colour Scene
„Marchin already” (1997)
Ah, jetzt hineinstoßen in die Lücke, die ein schwächelnder Noel Gallagher offenließ … Doch OCS sind zu gut Freund mit ihm, um ihm in den Rücken zu fallen. Lieber verschnaufen sie selbst ein wenig nach dem großen 95er-Album „Moseley Shoals“. Gut, die 60er-Textur kriegt kaum eine Band so furios hin wie OCS, die Raffinesse von Rhythmen und Arrangements beeindruckt schwer, und die untergründige Besinnlichkeit der kraftvollen Songs sinkt ein in jedes Herz, das nicht versteinert und offen ist für Nostalgie. Doch kein Album, das sich orientiert an der großen Zeit der Hitschlachten, kann auf echte Hits verzichten. Also weitermarschieren; Kraft und Kondition dafür haben sie.
OP8
„Slush” (1997)
Von jeher verstanden sich Giant Sand um Howe Gelb nicht als starre СКАЧАТЬ