Ein Anfang am Ende des Hungers. Sylvia Baumgarten
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Название: Ein Anfang am Ende des Hungers

Автор: Sylvia Baumgarten

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783738090451

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      „Echt ok?“

      „Echt ok!“

      Nina steht auf, nimmt mich in den Arm, geht zur Tür, winkt und weg ist sie.

      Die „hungrig-website“ ist noch offen. Ich klick auf „Neu hier“ und fang an, alles zu schreiben, was ich grad Nina erzählt hab. Zum Schluss noch „Danke für’s Lesen! Liebe Grüße, Jule“ und schnell auf senden, damit ich es mir nicht noch mal anders überleg.

      Während ich mich abmelde, frag ich mich, warum ich irgendwie das Gefühl hab, dass ich mich entscheiden muss und hoff, dass Nina mit dem ganzen Müll klarkommt, den ich gerade bei ihr abgeladen hab.

      Aber eigentlich ist Nina total ehrlich, denk ich, die sagt schon, wenn’s reicht – sollte ich vielleicht auch mal machen. Ich seufze zum x-ten Mal und überleg, ob ich runtergeh oder für Mathe lerne, da klopft es schon wieder. Die Tür öffnet sich ganz langsam und meine Mum guckt ins Zimmer wie vorhin.

      „Ist Nina schon weg?“, fragt sie, obwohl sie sicher gehört hat, dass Nina gegangen ist.

      „Seit ner halben Stunde“, sag ich und warte. Meine Mum wartet auch, und dann fragt sie: „Soll ich uns was kochen?“

      Ich guck sie an und denk, ich bin im falschen Film - meine Mum will uns was kochen. Frag mich lieber, ob du mich in den Arm nehmen und festhalten sollst, damit ich in Ruhe heulen kann oder frag mich, ob ich es scheiße finde, dass mein Dad keine Verabredungen mit mir einhält, aber doch nicht, ob du uns was kochen sollst!

      Und dann tut sie mir plötzlich leid, wie sie da steht, und ich bin wieder kurz vorm Heulen, weil ich nicht weiß, ob sie was kochen soll, und weil in meinem Kopf ein Kalorien-Gewitter lostobt, wenn ich mir überlegen muss, ob sie was kochen soll und eigentlich will ich auf keinen Fall, dass sie kocht, weil ich dann was essen muss, und dann sag ich:

      „Gemüse und Kartoffeln vielleicht“, und meine Mum strahlt mich an. Sie nickt, dreht sich um und geht zur Tür, und ich denk, fehlt nur noch, dass sie anfängt zu hüpfen.

      „Ich ruf dich, wenn ich fertig bin“, sagt sie noch und geht raus.

      In meinem Kopf donnert das Gewitter und ich überleg, wie lange ich für Gemüse und Kartoffeln spazieren gehen muss. Krank, denk ich, das ist total krank.

      „Gruselig“ hat Nina gesagt. Kann ja gar nicht sein. Ich steh auf und stell mich vor meinen Schrank mit der Spiegeltür. Haare sind ganz ok – aber … oh – mein – Gott – mein Gesicht! Meine Arme! Meine Beine! Wann ist das denn passiert? Ich schieb die Ärmel von meinem Shirt nach oben und hör Nina sagen: „Nur noch Haut und Knochen“ und weiß, wenn ich mein Hosenbein hochschieb, sehen meine Beine auch so aus. Scheiße, denk ich, das ist gruselig! Und dann ruft meine Mum, und ich weiß, dass ich jetzt Kartoffeln essen muss.

      Ich atme ein, ganz tief, guck noch mal in den Spiegel, dreh mich schnell weg und geh nach unten. Meine Mum gießt die Kartoffeln ab, auf dem Tisch stehen Teller und eine Kerze.

      Flucht, denk ich, raus hier, aber dann fragt sie: „Trinkst du O-Saft?“, und ich sag: „Lieber Wasser.“ Ich setz mich hin und meine Mum gibt mir Kartoffeln und Gemüse.

      „Rührei auch?“, fragt sie und ich sag nein, dabei könnt ich für Rührei sterben.

      Die Kartoffeln und das Gemüse auf meinem Teller werden langsam weniger und ich hab plötzlich Panik, dass ich noch was nach nehm, wenn mein Teller leer ist. Ich leg die Gabel zur Seite, sag, dass ich satt bin, spür den Blick von meiner Mum und denk, gleich fragt sie, was mit mir los ist, und ob sie was machen kann. Ich überleg schon, was ich sagen soll, aber sie sagt nur, dass ich ja echt wenig gegessen hab und fragt, ob ich vielleicht noch was zum Nachtisch mag.

      „Ich bin wirklich satt, Mum“, sag ich, steh auf und stell meinen Teller weg.

      „Ich geh dann mal wieder.“

      „Mathe?“, fragt meine Mum und ich sag: „Mathe“ und verlass die Küche.

      Raus, denk ich, laufen, spazieren gehen – irgendwas. Ich renn nach oben, meine Augen brennen schon wieder und ich werd wütend, weil ich nicht dauernd heulen will.

      Ablenken, ich muss mich ablenken. Mathe! Wo ist das verdammte Buch? Und dann lern ich Formeln, Lösungswege, Regeln und rechne und rechne. Nur nicht nachdenken!

      Unten klappert Geschirr – dann klingelt das Telefon und ich hör meine Mum reden - vermutlich mit Tante Elke.

      Die reden über mich, denk ich. Bestimmt reden die wieder über mich!

      Ich leg meinen Stift hin und versuch zu verstehen, was meine Mum sagt, aber sie spricht ganz leise und ich red mir ein, dass ich sowieso nicht wissen will, was sie sagt.

      Ich nehm wieder meinen Stift und häng mich beim Rechnen noch mal richtig rein, bis mein Herz in meinen Ohren wummert und ich fast so heftig atme, wie beim Laufen.

      Völlig fertig klapp ich schließlich das Buch zu, zieh mich um, beeil mich im Bad, lass mich auf mein Bett fallen und hoff, dass ich einschlaf, bevor das Chaos wieder kommt.

      Kapitel 3

      „Jule, Telefon für dich“, meine Mum steht neben meinem Bett.

      Telefon … ok … wo ist mein Wecker? Halb zehn … und welcher Tag ist heute?

      „Jule, Nina für dich.“ Ich komm mit dem Oberkörper nach oben und streck die Hand aus. Meine Mum gibt mit das Telefon, bleibt noch kurz stehen und als ich sag: „Hi Nina!“, geht sie aus dem Zimmer.

      „Mensch Jule. Mein Vater liest grad die Zeitung von gestern und ich hab mal mit reingeguckt “, sagt Nina und klingt total aufgeregt. Ich lass mich nach hinten fallen und seh sie am Frühstückstisch mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder bei Kaffee und Kakao und Brötchen und ganz viel Nutella und denk, ich muss mal wieder bei ihr übernachten … aber mit am Tisch sitzen und nichts essen? Nicht bei Ninas Mum – niemals …

      … „Jule, bist du noch da?“

      „Ähm – ja, klar.“

      „Hast du mir überhaupt zugehört?“

      Hab ich? Ich konzentrier mich. Was hat Nina erzählt?

      „Also nicht. Da ist so ein Model gestorben. Ich les dir das mal vor, ok?“ sagt Nina und liest:

      „Das belgische Model Mia Carol ist tot. Sie starb bereits Mitte November an einer Lungenentzündung. Die junge Frau hatte sich vor einigen Jahren unbekleidet für eine Schockkampagne fotografieren lassen, um auf die Gefahr der Magersucht aufmerksam zu machen. Die Bilder der ausgemergelten, bereits vom Tode gezeichneten jungen Frau hatten damals großes Aufsehen erregt. Wie alt Carol wurde, ist unklar. Ihr Alter wird unterschiedlich zwischen 28 und 30 Jahren angegeben.“

      Einen Moment sagen wir beide nichts. Nina nicht und ich nicht und ich frag mich, was ich fühlen soll. Panik, Trauer, Angst?

      „Jule?“

      „Ja?“

      „Was sagst du denn dazu?“

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