Ein Anfang am Ende des Hungers. Sylvia Baumgarten
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Название: Ein Anfang am Ende des Hungers

Автор: Sylvia Baumgarten

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783738090451

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СКАЧАТЬ aber nichts passiert. Lauf schneller, denk ich, krieg Seitenstiche und hab immer noch das Gewitter im Kopf.

      Die Seitenstiche werden schlimmer, ich lauf langsamer und versuch ruhiger zu atmen. Es gießt in Strömen. Ich will nach Hause, und dann soll alles wieder gut sein, so wie gestern, bevor ich wusste, dass es „ich-bin-hungrig“ gibt.

      Der Regen hat nachgelassen. Noch fünfzig Meter bis zur Dusche. Langsam lauf ich aus. Die Garage ist offen und leer. Niemand zu Hause – auch gut.

      Ich dusche lange und heiß, trockne mich ab, häng mein Handtuch weg und guck kurz in den Spiegel.

      Alles easy, denk ich, kein Grund zur Sorge. Klar hab ich abgenommen, aber von „klapperdürr“ oder „gruselig“ kann echt nicht die Rede sein.

      Ich zieh mich an, geh direkt an meinen Rechner, öffne „ich-bin-hungrig“, log mich ein und klick auf „Gesund“ – keine Ahnung warum. Vielleicht will ich einfach lesen, dass es normal ist, wenn man am liebsten jeden Tag stundenlang durch den Wald laufen würde, den Kalorien- und Fettgehalt von sämtlichen Lebensmitteln kennt, in Panik gerät, wenn irgendjemand aus der Klasse Kuchen mitgebracht hat, seine Klamotten in der Kinderabteilung kauft und die Hosen trotzdem zu weit sind, oder wenn man von Gesprächen gelangweilt ist, in denen es nicht um Sport oder Diäten geht, und darum Verabredungen am liebsten ständig absagen würde …

      Oh Gott , Nina und Kino – ich hab mich immer noch nicht gemeldet – wo ist mein Handy?

      Liegt noch da, wo ich es hingelegt hatte, nachdem mir mein Dad nen Korb gegeben hat. Ich such nach Ninas Namen, geh auf Nachricht senden und schreib:

      „Kann nicht mit ins Kino, geht mir nicht gut und muss noch für Mathe lernen. <3 Jule

      Dass die ersehnte Erleichterung nach dem abgesagten Treffen mit Nina ausbleibt, ignorier ich und les den vorletzten Beitrag auf der Website.

      Callimeronika ist gerade aus der Klinik zurück und fragt, ob es normal ist, dass es ihr trotz ambulanter Therapie so schwer fällt, sich wieder im Alltag zurechtzufinden.

      Die Antwort kommt von Sternenzelt und ist zehn Minuten alt:

      „Liebe Callimeronika,

      während du in der Klinik warst, haben im Prinzip andere deinen Alltag organisiert, damit du dich intensiv darauf konzentrieren konntest, gesund zu werden. Jetzt musst du dich wieder selbst darum kümmern und ich finde es absolut verständlich, dass das zu Anfang sehr anstrengend ist. Veränderungen brauchen Zeit! Hab ein bisschen Geduld, und nimm dir nicht zu viel auf einmal vor.

      Liebe Grüße, Sternenzelt“

      Was für ein schöner Nick, denk ich, und was sie schreibt, hört sich zwar ziemlich brav an, aber irgendwie logisch.

      Ich seufze, da klopft es an meiner Tür und noch ehe ich dazu komme, die Seite zu minimieren, kommt Nina ins Zimmer gestürzt.

      „Nina, was machst du denn hier?“, frag ich und weiß nicht, was mich mehr aus der Fassung bringt, dass Nina plötzlich da ist oder dass die „hungrig-Seite“ noch zu sehen ist.

      „Mensch Jule, was ist los mit dir?“, fragt Nina. Unten fällt wieder die Haustür ins Schloss. Meine Mum ist zurück und hat Nina mit reingenommen, denk ich – und dann sitz ich da und starre Nina an.

      „Jule?“, fragt sie, „geht’s dir gut?“

      Geht’s mir gut? Keine Ahnung, wie’s mir geht. Ich dreh mich um und leg die Website ab.

      Nina steht hinter mir und ich hör, wie sie atmet. Komisch, mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass Nina beim Atmen leise schnaubt. Erst fang ich an zu grinsen, steigere mich dann in Gelächter und spür plötzlich Tränen – heiß und nass – meine Tränen.

      „Jule, du machst mir Angst“, sagt Nina und genauso klingt sie auch. Ich dreh mich um und seh sie vor mir stehen – verschwommen wie im Nebel – und dann spür ich sie – ihre Arme, ihre Hände auf meinem Rücken und wir heulen beide.

      „Mensch Jule, kann es sein, dass es dir ziemlich scheiße geht?“, fragt Nina irgendwann. Sie lässt mich los, holt Taschentücher und wischt mir durchs Gesicht. Wir stehen auf und setzen uns aufs Bett … und dann erzähl ich Nina alles – von dem Morgen, als meine Lieblingsjeans nicht mehr gepasst hat, von dem Tag danach, als ich aufgehört hab normal zu essen, von dem Zettel mit der hungrig-website von Frau Kramer, von meiner Mum, die keine Gelegenheit auslässt, über meinen Dad herzuziehen und von meinem Dad, der keine Verabredungen mit mir einhält.

      „Dabei hab ich mir echt Mühe gegeben, dass sie sich wieder vertragen. Ich hab für die Schule gepaukt, wie verrückt Gitarre geübt und mich beim Handball reingehängt, damit ich überall immer besser und besser werde, weil ich dachte, sie sind dann stolz auf mich, aber irgendwann hat mein Dad einfach seine Sachen gepackt, und dann ist er weg und meine Mum hat gesagt, dass es so besser ist und dass wir auch alleine klarkommen und jetzt arbeitet sie dauernd und wenn ich sie brauche, ist sie nicht da.“

      Nina sitzt mir gegenüber, im Schneidersitz – wie immer. Aber im Prinzip ist schon lange nichts mehr „wie immer“. Ich hab nen bescheuerten Kloß im Hals und wieder das fiese Brennen in den Augen.

      „Mensch Jule“, sagt Nina und ihre Stimme ist ganz leise, „wieso hast du nichts gesagt? Ich hab doch gemerkt, dass was nicht stimmt, aber du hattest den totalen Panzer um dich rum. Ich bin gar nicht an dich rangekommen und konnte nur zugucken, wie du immer dünner und dünner geworden bist. Weißt du eigentlich, wie schlecht man sich dabei fühlt?“

      Ich schlucke – verdammtes Brennen - wisch mir über die Augen und Nina gibt mir noch ein Taschentuch.

      „Was willst du denn jetzt machen?“, fragt sie und ich spür Panik, weil ich es nicht weiß.

      „Ich hab nicht die Spur einer Ahnung“, sag ich. „Als ich angefangen hab mit der Diät, hab ich mich so schrecklich einsam gefühlt, wie an dem Tag, als mein Dad ausgezogen ist, aber als die ersten Kilos weg waren, war das einfach nur geil, ein Supergefühl, und ich wollte mehr davon. Wenn ich dann mal ne Phase hatte, wo kein Gewicht mehr runter ging, hab ich einfach weniger gegessen oder bin ne Runde mehr gelaufen und irgendwann war das alles ganz normal.“

      „Mensch Jule, guckst du denn nicht in den Spiegel? Du siehst schon richtig gruselig aus – nur noch Haut und Knochen.“

      „Gruselig“ – das hab ich grad schon mal gelesen. Witzig, denk ich, und frag mich, ob ich echt so schlimm aussehe und warum mir das nicht auffällt.

      Es klopft, und ich zuck zusammen, Nina auch. Meine Mum guckt um die Ecke.

      „Ich hab euch Kakao gekocht“, sagt sie, verschwindet kurz und kommt mit nem Tablett und zwei Sheep-World-Tassen zurück: Sie stellt es auf meinen Sofatisch und gibt jeder von uns eine Tasse.

      „Oh danke“, sagt Nina und ich sag:

      „Das ist ja lieb von dir“, und fühl mich wie ne Heuchlerin.

      Einen Moment bleibt meine Mum bei uns stehen. Sie sieht total verlegen aus, und ich wünsch mir, dass sie wieder geht. Macht sie dann auch, und als sie raus ist, gucken Nina und ich uns über unsere Tassen an und ich hab solche Sehnsucht nach Kichern und albern sein, dass es weh tut.

      „Ich muss los, Jule, oder soll ich noch bleiben?“, СКАЧАТЬ