Ein Jahr ohne dich. Caroline Régnard-Mayer
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Название: Ein Jahr ohne dich

Автор: Caroline Régnard-Mayer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742798015

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СКАЧАТЬ Sklerose und war inzwischen nervlich vollkommen am Ende. Hätte ich sie einpacken können, ich hätte sogar meine Kleider zurückgelassen. Aber selbst wenn es ihr besser gegangen wäre, hätte es nicht geklappt. Da gab es ja noch meinen jüngeren Bruder, der noch zur Schule ging und in vier Jahren sein Abitur machen wollte. Ich hatte sie alle lieb, aber auf diese Reise konnte ich sie nicht mitnehmen. Wenn ich ehrlich zu mir war, ich wollte es auch nicht. Es war mein Traum! Es war meine Reise, die ich alleine antreten musste, fern von allen Streitigkeiten und der Familie meines Vaters, auch weg von seinem Schatten und dem Schmerz in meiner Brust.

      Als ich damals durch meine Mutter die Nachricht von seinem Tod erhalten habe, erstarrte ich innerlich, und in dieser Starre befand ich mich noch immer. Mein Bruder Peter und ich hatten den psychischen und körperlichen Zerfall unseres Vaters über zehn Jahre hinweg erlebt. Die letzten Wochen waren mehr als grausam. Er lag nur noch in seinem Bett, konnte sich kaum bewegen, und seine Sprache war ihm unwiderruflich verloren gegangen. Ich konnte den Anblick kaum ertragen, aber seine Eltern versuchten, uns bei jedem Besuch in sein Zimmer zu drängen. Meine Mutter hatte mit uns geweint und uns getröstet, wann immer sie konnte. Diese Besuche hatte sie nur zweimal zuge-lassen. Wir sollten uns an die guten, besseren Zeiten mit ihm erinnern, wobei Peter ihn nur krank kannten. Zu Beginn seines Tumorleidens sahen und hörten wir nichts von seinen Symptomen, dafür waren wir einfach noch zu klein. Nachdem er verstorben war, besuchte ich mit Peter und Mama nur einmal sein Grab. Ich hatte einfach die Vorstellung nicht ertragen können, dass er nun unter der Erde lag. Am liebsten würde ich das Erlebte in meinem Kopf löschen …

      Die Stewardess riss mich aus meinen Gedanken und fragte: »Wollen Sie einen Kaffee oder Tee? Was darf ich Ihnen von den Kaltgetränken servieren?«

      »Ich nehme bitte einen Tee mit Zucker und einen Orangensaft.«

      »Bitte sehr, und ein Sandwich servieren wir auch gleich.«

      Ich fühlte mich sehr wohl mit meinem Sitzplatz direkt am Fenster, somit konnte ich die bizarren Wolkenformationen oder den späteren Landeanflug beobachten. Neben mir befand sich ein freier Platz, daneben saß eine ältere Dame. Sie las schon die ganze Zeit und außer einer Begrüßung kamen wir nicht ins Gespräch. Ich freute mich auf mein Studium in Boston. New York war nur ein kleiner Urlaubsabstecher, den ich mir von meinem Erbe gönnte. In Manhattan hatte ich mir ein Hotel gebucht und wollte auf eigene Faust fünf Tage lang diese riesige Stadt der USA kennenlernen. Viele Sehenswürdigkeiten hatte ich eingeplant.

      Ich schaute hinaus über die Tragefläche und die letzten Wolken zogen vorbei. Das Sonnenlicht blendete mich kurz. Dann erblickte ich Englands Hauptstadt. Der Flugkapitän sprach durch die Sprechanlage: »Meine Damen und Herren, wir haben gerade unsere Reiseflughöhe verlassen und befinden uns im Landeanflug auf London. Wenn sie aus dem Fenster blicken, sehen sie auf der rechten Seite den Buckingham Palast. Es scheint die Sonne, bei einer Außentemperatur von 21°C. In circa fünfzehn Minuten landen wir auf dem Heathrow Airport. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Vielen Dank und auf Wiedersehen.«

      Da ich in einer Linienmaschine saß, klatschte keiner Applaus für den Flugkapitän, wie bei diesen Pauschalreisefliegern. Mein Herz pochte ganz schnell, als ich die Themse unter uns erblickte. Sie glitzerte im Morgenlicht und die Häuser und Autos konnte man immer deutlicher erkennen. Neues Leben, ich komme!

      °Christin°

      Die Narren zogen durch die Stadt und frönten dem Faschingsfest. Die Natur zeigte sich in verschiedenen Farben. Es war ein kalter, regnerischer Aschermittwoch, als sich mein Leben schlagartig und unwiderruflich veränderte. Auch für meine Kinder änderte sich alles. Ich hatte die Diagnose Multiple Sklerose erhalten. Damals hatte ich nicht gewusst, dass es eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems ist. Doch schnell habe ich mich mit Fachliteratur eingedeckt und besuchte bereits nach wenigen Wochen eine Selbsthilfegruppe. Meine Tochter war damals neun Jahre alt und hatte eine veränderte, verstörte Mutter zurück bekommen. Peter, im Alter von fünf Jahren, erfasste die Tragweiter meiner Diagnose noch nicht. Oft weinte ich ohne erkennbaren Grund nach außen, denn in mir sah es düster aus. Conny spürte deutlich meine Veränderung.

      »Es wird alles gut werden Constanze, mein Mäuschen!«, sagte ich zu ihr und nahm sie in den Arm. Sie kuschelte sich an meine Schulter.

      Conny erzählte mir sehr viele Jahre später: Sicher, verunsichert war ich allemal und Peter war erst 5 Jahre alt. Mit ihm konnte ich nicht darüber reden. Du hast versucht mir deine Krankheit schonend beizubringen; dass du sehr krank bist und von nun an etwas ruhiger leben müsstest …

      Zur Diagnose hatte ich nun auch noch die Kündigung während meiner Probezeit in einer Klinik bekommen; künftig war ich arbeitslos. Mein geschiedener Mann, Richard, schaffte keine gute finanzielle Basis für uns, somit gingen die Laufereien zu diversen Ämtern los. Ich konnte kaum gehen, leider nicht gerade der Idealfall, wenn man im Dachgeschoss wohnte.

      »Mama, soll ich dir etwas helfen?« Oft stand meine kleine Tochter vor mir und hat mich danach gefragt.

      »Nein, mein Schatz. Geh ruhig spielen. Ich schaffe das.« Traurig schaute ich Conny hinterher, die ein sensibles Kind war und genau spürte, wann ich keine Kraft mehr für den Haushalt hatte.

      »Mama, kann Papa mir etwas einkaufen?« Ich hatte die Nummer meiner Eltern gewählt und sie um Hilfe gebeten. Auch etwas, das ich erst lernen musste.

      »Klar Christin, ich schreibe es mir auf und dann kann dein Vater die Sachen gleich besorgen. Ich war zwar heute Morgen im Supermarkt, doch habe ich die Tomaten und die Butter vergessen.«

      Nachdem ich telefoniert hatte, legte ich mich auf die Couch.

      Mit den Jahren haben sich meine Kinder notgedrungen in die Situation eingefunden, dass manches in unserer kleinen Familie anders war, als bei ihren Freunden. Oft bekam ich Infusionen, die ich anfangs der Erkrankung meist stationär in der Klinik erhalten habe.

      In den ersten zwei Jahren nach meiner Diagnose blickte ich öfters zurück. Kein leichtes Leben hatte ich seit der Heirat. Bei meiner kleinen Conny haben die Ärzte bei der Geburt ein schweres Hüftleiden diagnostiziert. Später waren Asthmaanfälle dazu gekommen; viele Klinikaufenthalte folgten. Dann hatten wir den Hausbau in unserer alten Heimat in Angriff genommen und zogen von Bayern wieder zurück nach Lahnfeld. Bei Peter wurde mit neun Monaten ebenfalls eine Hüftdysplasie festgestellt und somit kämpfte ich an zwei Fronten. Richard hielt sich aus allem heraus und forcierte nur seine Karriere. Wir hatten ein schönes Haus mit Garten in einem Vorort. Ein Holzgartenzaun begrenzte unser Grundstück, und liebevoll hatte ich einen Bauerngarten angelegt. Es duftete, je nach Jahreszeit, nach Rosen, Lavendel, Thymian und Jasmin. Er war mein ganzer Stolz und ein Ausgleich zu den anstrengenden Nächte und der Pflege der Kinder. Mittendrin auf dem Rasen haben eine Holzschaukel und ein Sandkasten gestanden, was für meine zwei Kleinen ein Paradies darstellte. Eine wundervolle Idylle, die plötzlich durch die Erkrankung meines damaligen Mannes zerrissen wurde.

      Richard erkrankte sehr schwer. Eine Welt stürzte für mich ein.

      »Ich muss Ihren Mann sofort auf die Intensivstation verlegen. Auf dem MRT-Bild erkennt man deutlich einen Gehirntumor.« Der junge Assistenzarzt hatte mir die niederschmetternde Diagnose auf dem Krankenhausflur der Notaufnahme übermittelt. Er starrte an mir vorbei.

      »Hätte ich Sie nicht zum MRT aufgefordert, nachdem Sie mir die Blutwerte zeigten und der LDL-Wert massiv erhöht ist, wären Sie nie auf die Idee einer MRT-Aufnahme gekommen. Bitte veranlassen Sie den sofortigen Transport nach Karlsruhe oder Mannheim. Hier bleibt mein Mann nicht.« Aufgebracht fuchtelte ich mit den Händen vor seinem Gesicht herum.

      »Wie Sie möchten. СКАЧАТЬ