Название: Edgar Allan Poe - Gesammelte Werke
Автор: Edgar Allan Poe
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783746750125
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Doch schlimmer noch! – Mit blauen Bändern am unteren Ende des phantastischen Apparats befestigt, hing als Gondel ein mächtiger, hellgrauer Biberhut mit einem unerhört breiten Rand und halbkugelförmigem Kopfnapf, den ein schwarzes Band mit silberner Schnalle zierte. Es ist jedoch immerhin erwähnenswert, daß viele Einwohner von Rotterdam schwuren, den Hut schon wiederholt gesehen zu haben; allen kam er wohlbekannt vor, und Vrow Grettel Pfaall stieß bei seinem Anblick einen Laut freudiger Überraschung aus und erklärte, es sei todsicher der Hut ihres guten Mannes. Das blieb nun ein um so bemerkenswerterer Umstand, als Pfaall vor etwa fünf Jahren zusammen mit drei andern ganz plötzlich auf eine ganz unerklärliche Weise aus Rotterdam verschwunden und trotz aller erdenklichen Nachforschungen bis zum heutigen Tag nicht aufzufinden gewesen war. Allerdings – man hatte unlängst an einer abgelegenen Stelle im Osten der Stadt Knochen gefunden, die man für Menschengebeine hielt; es lag noch allerlei seltsamer Schutt dabei – und einige Leute vermuteten nun, an jenem Ort sei ein scheußlicher Mord verübt worden und die Opfer seien aller Wahrscheinlichkeit nach Hans Pfaall und seine Gefährten gewesen. – Doch fahren wir fort.
Der Ballon (denn zweifelsohne war es einer) hatte sich jetzt bis auf etwa hundert Fuß zur Erde herabgelassen und gestattete der Menge drunten, seinen Insassen näher zu betrachten. Das war wirklich eine sehr eigenartige Person. Keinesfalls größer als zwei Fuß! Aber selbst diese geringe Größe würde genügt haben, das Gleichgewicht zu gefährden und den Fahrer über den Rand seiner winzigen Gondel zu schleudern, hätte ihn nicht ein Reif festgehalten, der ihm die Brust umspannte und an den Ballonseilen befestigt hing. Die Gestalt des kleinen Mannes war verhältnismäßig breit, von höchst absonderlicher Rundlichkeit. Seine Füße konnte man natürlich nicht sehen. Die Hände waren ungeheuer groß. Das Haar war grau und rückwärts in ein Schwänzchen zusammengerafft. Seine Nase bog sich unendlich lang vor und glänzte entzündet; die Augen erschienen voll, strahlend und scharf. Kinn und Wangen, vom Alter runzlig, waren breit und aufgedunsen; von Ohren irgendwelcher Art jedoch war an seinem ganzen Kopf nichts zu entdecken. Dieses wunderliche Männchen hatte sich in einen lockeren Überrock von himmelblauem Satin und in enge Kniehosen von gleichem Stoff gekleidet, die mit Silberschnallen geschlossen waren. Seine Weste bestand aus strahlend gelbem Stoff; eine weiße Taffetmütze saß munter seitwärts auf dem Kopf, und zur Vervollständigung der Ausstattung umhüllte ein blutrotes seidenes Tuch den Hals und fiel zierlich in einer phantastischen Schleife von übertriebenem Umfang auf die Brust herab.
Als der kleine alte Herr, wie ich schon sagte, bis auf etwa hundert Fuß zur Erdoberfläche herabgekommen war, wurde er plötzlich von Angst befallen und schien nicht geneigt, sich der » terra firma« noch mehr zu nähern. Er warf also aus einem Leinensack, den er mit vieler Mühe aufhob, eine Menge Sand aus, und augenblicklich hielt sein Fahrzeug. Eilig und aufgeregt holte er nun aus einer Seitentasche des Überrocks eine große Brieftasche aus Saffianleder hervor. Diese wog er argwöhnisch in der Hand, betrachtete sie dann höchst verwundert und war offenbar über ihre Schwere erstaunt. Endlich öffnete er sie, entnahm ihr einen riesigen, mit rotem Lack versiegelten und mit rotem Zwirn verschnürten Brief und ließ ihn genau zu den Füßen des Bürgermeisters Superbus van Underduk niederfallen.
Seine Exzellenz bückte sich, um den Brief aufzuheben. Der Luftschiffer aber, der sich noch immer höchst unbehaglich fühlte und offenbar weiter nichts in Rotterdam zu verrichten hatte, begann im gleichen Augenblick Vorbereitungen zu seiner Abreise zu treffen; und da er, um den Aufstieg zu ermöglichen, genötigt war, Ballast auszuwerfen, fiel jeder einzelne von dem halben Dutzend Säcke, die er, ohne ihren Inhalt zu entleeren, einen nach dem andern herunterwarf, unglücklicherweise auf den Rücken des Herrn Bürgermeisters, der infolgedessen nicht weniger als ein halbes dutzendmal angesichts sämtlicher Leute von Rotterdam Purzelbaum schlug. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß der große Underduk diese Unverschämtheit von seiten des alten Männchens ungestraft hinzunehmen gesonnen war. Es heißt im Gegenteil, daß er bei jeder der sechs Umdrehungen einen betonten und wütenden Zug aus der Pfeife tat, die er die ganze Zeit krampfhaft festhielt und (so Gott will) bis zum Tag seines Hinscheidens festzuhalten beabsichtigt.
Inzwischen stieg der Ballon wie eine Lerche in die Lüfte, segelte hoch über der Stadt dahin und verschwand endlich still hinter einer ebensolchen Wolke wie jener, aus der er so seltsam hervorgetreten war – und wurde so für immer den Blicken der braven Einwohner von Rotterdam entzogen. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich nun dem Briefe zu, der durch seine Niederkunft und deren Folgen so unheilvoll umstürzlerisch für die Person wie auch für das persönliche Ansehen Seiner Exzellenz van Underduk geworden war. Der Beamte jedoch hatte nicht verfehlt, während seiner kreisenden Bewegung daran zu denken, die Epistel in Sicherheit zu bringen, die, wie sich bei näherm Zusehen herausstellte, in die richtigen Hände fiel, da sie tatsächlich an ihn selbst und den Professor Rubadub in ihrer amtlichen Eigenschaft als Präsident und Vizepräsident der Rotterdamer Astronomischen Hochschule gerichtet war. Der Brief wurde also von den beiden Würdenträgern auf der Stelle geöffnet und enthielt folgende erstaunlichen und äußerst wichtigen Mitteilungen:
An Ihre Exzellenzen van Underduk und Rubadub – Präsident und Vizepräsident der Staatshochschule für Astronomie in der Stadt Rotterdam!
Eure Exzellenzen werden sich vielleicht eines bescheidenen Handwerksmannes namens Hans Pfaall, seines Zeichens Blasebalgflicker, zu erinnern vermögen, der vor ungefähr fünf Jahren mit drei andern Männern auf unerklärliche Weise aus Rotterdam verschwand. Wenn es indessen Euren Exzellenzen so gefällt, bin ich, der Schreiber dieser Zeilen, der bewußte Hans Pfaall selber. Es ist den meisten meiner Mitbürger wohl bekannt, daß ich vierzig Jahre lang das kleine Ziegelhaus am Eingang der Sauerkrautgasse bewohnte, und zwar bis zum Zeitpunkt meines Verschwindens. Auch meine Vorfahren haben, länger als man denken kann, da gelebt und haben, ebenso wie ich, ständig das ehrenwerte und einkömmliche Gewerbe eines Blasebalgflickers getrieben, denn – der Wahrheit die Ehre – bis auf die letzten Jahre, wo die Leute anfingen, politisch überklug zu werden, konnte ein ehrlicher Bürger Rotterdams sich kein besseres Gewerbe als mein eignes wünschen. Kredit hatte man genug, an Arbeit fehlte es nie, und weder an Geld noch gutem Willen war je Mangel. Wie ich aber sagte: wir begannen bald die Folgen der Freiheit zu spüren, und lange Reden folgten und Radikalismus und dergleichen. Leute, die früher die denkbar besten Kunden waren, nahmen sich nun nicht einen Augenblick Zeit, überhaupt an uns zu denken. Sie hatten immerfort revolutionäres Zeug zu lesen und mußten mit der vorwärtsschreitenden Aufklärung Schritt halten, um hinter dem Geist der Zeit nur ja nicht zurückzubleiben. War ein Feuer anzublasen, so benutzte man eine Zeitung dazu, und je schwächer die Regierung wurde, um so stärker wurden Leder und Eisen – denn binnen kurzem gab es in ganz Rotterdam nicht einen Blasebalg mehr, der auch nur einen Nadelstich oder einen Hammerschlag nötig gehabt hätte.
Das war ein unerträglicher Zustand. Ich wurde bald so arm wie eine Kirchenmaus, und da ich für Weib und Kinder zu sorgen hatte, wuchs mir meine Last schließlich über den Kopf, und ich verbrachte Stunde um Stunde im Nachsinnen, wie ich meinem Leben auf die angenehmste Art ein Ende machen könne.
Die Gläubiger indessen ließen mir zur Selbstbetrachtung wenig Muße. Mein Haus blieb von morgens bis abends buchstäblich belagert. Da waren vor allem drei Burschen, die mich unerträglich plagten, beständig meine Tür belauerten und mir mit dem Gesetz drohten. Diesen dreien schwur ich bitterste Rache, wenn es mir je gelingen sollte, sie in meine Klauen zu bekommen, und ich glaube, nichts als das Vorgefühl dieses Vergnügens hat mich abgehalten, meine Selbstmordabsichten sogleich durch Ausblasen des Lebenslichts mit einer Donnerbüchse ins Werk zu setzen. Ich hielt es indessen für das beste, meine Wut zu verbergen und die Leute mit Versprechungen und schönen Worten hinzuhalten, bis eine gütige Schicksalswendung mir Gelegenheit zur Rache bieten würde.
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