Название: Die 50 besten Morde oder Frauen rächen anders
Автор: Birgit Ebbert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847679356
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Interessant, dass ich ein eigenes Arbeitsamt besitze. Hätte ich nicht gedacht. Wer denkt sich solche Formulierungen aus? An dem für mich zuständigen Arbeitsamt, das jetzt Agentur für Arbeit heißt, komme ich bei jedem Stadtbummel vorbei.
Wie dieses Haus aussieht! So stelle ich mir einen Teufelsbunker vor, nur dass der Teufel seine Hänsel und Gretel nicht mit Naschwerk locken muss. Seine Opfer werden ihm von Arbeitgebern zugeschoben!
Als ich die Menschen vor dem Arbeitsamt sehe, bekomme ich Panik. Zu dieser Gruppe gehöre ich jetzt. Vor der Tür stehen einige Männer mit Bierflaschen in der Hand.
Am liebsten würde ich mich wieder umdrehen. Andererseits habe ich lange und genug Arbeitslosenversicherung gezahlt. Da kann das Amt jetzt etwas für mich tun. Schließlich habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen.
Wieso heißt es eigentlich Arbeitslosenversicherung? Weil die Arbeitslosen aus allen anderen Versicherungen ausgeschlossen werden? Typisch Deutsch! Im Restaurant bestellt man ein Jägerschnitzel, das nicht vom Jäger ist, und einen Kinderteller, auf dem kein Kind liegt. Irgendwo habe ich einen passenden Spruch von Brecht gelesen. »Autovertreter verkaufen Autos und Volksvertreter?«
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh über mein Studium. Ich darf die Bierflaschen-Gang verlassen und in den achten Stock fahren. Zum Fachvermittlungsdienst.
Soweit ist es also schon, dass ich mich über eine Zwei-Klassen-Gesellschaft freue. Wie tief werde ich sinken.
In Zimmer 1883 soll ich mich melden und gelange in den Livekanal für Arbeitslose, Big Looser auf dem Arbeitsamt oder so.
Unterhaltungsprogramm Nr. 1: die Schnitzeljagd.
Die Information im Erdgeschoss schickt mich zur Kundentheke im 8. Stock, eben Zimmer 1883.
Kunde! Das muss man sich im Kopf zergehen lassen. Ein Kunde kommt freiwillig und wird wie ein König behandelt. Ich bin gespannt, ob das hier so sein wird.
Auf der Theke steht ein Schild, dass die Theke wegen Arbeitskräftemangel nicht besetzt ist. Man möge warten, bis man aufgerufen werde. Vielleicht sollte ich umgehend eine Bewerbung als Thekenbesetzung schreiben?
Programmpunkt 2 kann ich nicht nutzen: Beide Bildschirme mit Zugriff auf das Informationssystem des Arbeitsamtes sind belegt. Also sehe ich mich nur um.
Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir die graue Silhouette eines Förderturms.
Wenn es mir gelänge, den Eisberg auf den Turm zu locken, könnte ich ihn hinabstoßen.
Die Vorstellung von der riesigen Blut- und Wasserlache, aus der seine Hakennase hervorsticht, lässt mich kichern.
Die Leute sehen mich verwirrt an. Anscheinend darf man im Arbeitsamt nicht lachen. Ich versuche meine Mundwinkel in eine passende Stellung zu bringen. In der Fensterscheibe sehe ich, dass sie nach unten hängen.
Beinahe fange ich wieder an zu kichern. Schnell weg hier. Was lauert da auf der eineinhalb Meter hohen, grauen, zerkratzten Kundentheke auf uns Arbeitslose?
Da liegt, versteckt unter dem Schreibkram einer wasserstoffblonden Tussi im Supermini, ein Formular, das ich ausfüllen muss.
Das hätte man deutlicher platzieren können! Und überhaupt, ich denke, dies hier ist die Vermittlung für Fach- und Führungskräfte. Dem Outfit der Lady nach könnte es auch um die Vermittlung von Hostessen mit Zusatzqualifikation gehen. Vielleicht arbeitet sie als Domina, das ist schließlich auch eine Art Führungskraft, eine Fachkraft auf jeden Fall. Auch ein schöner Tod für den Eisberg, an ein Stahlgitter gefesselt und mit Peitschenhieben gequält.
Ich betrachte die Frau genauer. Kein Lack, kein Leder, nur ein ultrakurzer Stofffummel am Po und Absatzflipflops an den Füßen.
Auf den Dingern könnte ich keinen Schritt gehen, aber mit ihnen auf den Eisberg einprügeln, das kann ich mir schon gut vorstellen. Obwohl sich dafür Stilettos besser eignen würden.
Ich spüre, wie sich in meiner Brust erneut ein Kichern nach oben schieben will. Mundwinkel nach unten, Kerstin. Denk an den kranken Hund deiner Nachbarin, der seinen Weihnachtsknochen vermutlich im Hundehimmel abnagen wird.
»Der Nächste bitte!« Eine mütterlich dauergewellte Mittfünfzigerin betritt die Wartezone. Sie trägt eine weiße, am Kragen mit roten Blümchen bestickte Bluse zu ihrem knielangen Trachtenrock, damit man erkennen kann, dass sie hier zu Hause ist. Wir armen arbeitslosen Wichte kauern in dicken Winterjacken auf unseren unbequemen Stühlen. Einen Getränkeautomaten gibt es nicht!
Vier Looser-Boys sind vor mir dran. Schön, da kann ich ein bisschen in meinem Henker-Buch stöbern.
Das Formular geht vor: Was ich bisher gearbeitet habe? Ob ich schon einmal arbeitslos war? Warum ich da bin? Ich habe Programmpunkt Nr. 3 entdeckt: 1, 2 oder 3 für Arbeitslose! Nicht Wer wird Millionär, es gibt schließlich keinen Telefonjoker und zu gewinnen höchstens ein Taschengeld.
Endlich kann ich mich dem Henker widmen. Oder auch nicht! Einer der Looser-Boys hat das Fenster geöffnet und sich mit seiner Fluppe rausgehängt. So bleibt zwar der Qualm draußen, aber ein nervtötendes Scheppern kommt herein.
Ich bereue es, dass ich meinen Ipod nicht mitgenommen habe und stehe frustriert auf, um herauszufinden, ob das noch lange so gehen wird. Wenn vor einem Gebäude ein Baucontainer aufgestellt wird und daneben ein Müllcontainer steht, weiß selbst der Dümmste, dass es sich um eine große Sache handelt. Wenn dann zwei Typen Metallstangen aus einem Gebäude schleppen und in den Container werfen, ist klar, dass das lange dauern wird. Sehr lange. Klirr, Knirsch, Schepper. Das einzige Mittel dagegen sind geschlossene Fenster, Kopfhörer oder Mord. Ich entscheide mich für geschlossene Fenster, was dem Looser-Boy mit der Fluppe nicht gefällt. Da ich meine Kopfhörer nicht bei mir habe, bleibt nur Mord. Bei der Lektüre des Henker-Buches stelle ich mir statt der armen Gehenkten, abwechselnd Looser-Bubi und die Handwerker vor.
53 1/2 Seiten in meinem Henker-Buch und viele genüssliche Gedanken an die Folter des Eisbergs später ruft mich die künstlich gewellte Dame zu sich ins Zimmer.
»Guten Tag, Ihren Personalausweis bitte«, begrüßt sie mich.
Wo bin ich denn hier gelandet? Beim Bundesgrenzschutz?
»Wir müssen schließlich wissen, mit wem wir es zu tun haben«, erklärt Frau Dauerwelle ihren Wunsch. Als ob jemand freiwillig in diesen Laden käme.
Ich krame in meinem Rucksack nach meiner Geldbörse.
Zum Glück trage ich meinen Ausweis immer bei mir. Nicht, um mich spontan ins Ausland abzusetzen, sondern für den Fall, dass ich ein Paket von der Post abholen muss.
Ehe ich das Plastikteil an Frau Arbeitsamt weiterreiche, werfe ich einen unauffälligen Blick auf das Foto, das schon vor beim Ausstellen des Ausweises vor fünf Jahren nicht mehr aktuell war. Mir wird fast schlecht.
Diese Brille, igitt, durch die riesigen Gläser sehen meine Augenbrauen wie dicke Raupen aus.
Und meine Haare, langweilige braune Zotteln, die nicht wissen, ob sie auf der Schulter aufliegen sollen oder nicht.
Über den Scheitel will ich lieber nicht sprechen, ich frage mich, warum der Fotografin nicht aufgefallen ist, dass er diagonal über den Kopf verläuft und nicht schnurgerade auf die Nasenwurzel zuströmt.
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