Название: Hau ab! Flüchtlingskind!
Автор: Birte Pröttel
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783847621478
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„Konnte ja keiner wissen, dass der Krieg so lange dauert.“ brummelt er.
Die Sache war die: Er war allein, verbrachte schließlich fast jede Nacht bei Fliegeralarm auf dem Dach, um die Brandbomben zu löschen.
Schließlich packte er Schmuck, Silber, Ketten und Goldstücke in eine große Truhe, buddelte im Fußboden in der riesigen Eingangshalle der Versicherungsanstalt ein großes Loch und versteckte dort den „Schatz“. Aber da Großvater ein praktisch denkender Mann war, dachte er:
„Was soll man mit silbernen Gabeln, wenn man nichts zu essen hat?“
Und so packte er auch noch einen Sack Saatkartoffeln – „für nach dem Krieg“ - in die Grube. Dann gab er sich viel Mühe und setzte die Bodenplatten so ein, dass man nicht sehen konnte, wo der Schatz unter dem Boden versteckt war.
Und jedes Mal, wenn nun nach dem Krieg die Sprache auf den vergrabenen Schatz kommt, rauft sich Großmutter die grauen Haare und zittert mit ihrem Dreifach-Kinn. Sie stellt sich vor, wie die keimenden Kartoffeln die schweren Steinplatten anheben und den kostbaren Schatz verraten. Ihr ganzer Stolz, das schwere Tafelsilber aus der Aussteuer, ihr schöner Erbschmuck, ihre geliebten Fotos sind fremden Räubern, Plünderern und Tunichtguten in die Hände gefallen. Nicht auszudenken, wenn diese Barbaren dann womöglich das in dänischer Handwerks Kunst fein geschmiedete Silber eingeschmolzen hätten! Und darum schilt Großmutter den Großvater einen Dummkopf. Und der versucht schnell vom heiklen Thema abzulenken, wenn wir Enkel unbedingt wieder die Geschichte vom Schatz hören wollen.
Meine andere Großmutter, die ja auch Martha hieß, hatte ebenfalls eine schwere Schatztruhe gepackt, als Stettin mehr und mehr in Schutt und Asche gebombt wurde. Ihr Sohn, unser Onkel Kurt, hat ihre Truhe aufs Land nach Hinterpommern gebracht und dort vergraben, so wie es sich gehört. Leider hat auch sie nie wieder etwas von ihrem Schatz gesehen. Ich träume davon, den Schatz irgendwann in den Weiten Polens zu heben. Eine Schatzkarte hat sie leider nicht hinterlassen.
Ich hab mir schon überlegt, ob ich nicht wenigstens einmal nach Stettin fahre. Dort weiß ich, wo ein Schatz versteckt ist. Das Gebäude an der Hakenterrasse existiert noch. Zu gern würde ich dort mit einem Metalldetektor den Fußboden der großen Halle an der Hakenterrasse in Stettin absuchen.
Mein Mann meint aber, dass ich das besser bleiben lassen soll. Er fürchtet Komplikationen für die deutsch-polnische Freundschaft, die ja ohnehin ein so zartes Pflänzchen ist.
Landleben
Inmitten Grüner Wiesen, umgeben von einem Park mit hohen Bäumen liegt das hübsche Gutshaus in Eichenwalde. Eichenwalde besteht aus einem schlichten Herrenhaus und ein paar kleinen Bauernkaten drum herum. Weite Wiesen, hohe Pappelalleen, Knicks und kleine Teiche zieren die liebliche Landschaft Pommerns. Hierhin bringt uns Onkel Kurt.
Mutter lässt sich nicht hängen, sie jammert nicht rum und ihre Trauer um die schöne Wohnung verschließt sie tief im Inneren. Für uns Kinder ist es spannend und aufregend die neue Umgebung auf dem Land zu erkunden. Die Ställe, die Felder, die Bauernkaten rings um den Gutshof. Alles ist Neuland. Arne erkundet es zusammen mit mir. Wir finden keinen Grund, uns zu beklagen.
Der Hof gehört Vaters Cousin, Karl-Hans. Dieser Karl-Hans ist natürlich nicht da, sondern im Krieg wie alle Männer. Seine Frau Inge, eine todschicke, schlanke Frau mit hübschen dunklen Haaren und immer mit roten Lippen ist jetzt die Chefin des Gutes. Sie kümmert sich nicht um die Parole: „Eine deutsche Frau schminkt sich nicht.“ Ihre Haare sind modisch hochgesteckt, die Wimpern getuscht und die Fingernägel knallrot lackiert.
„Wie konnte er nur diese Leute zu uns einladen?“ beklagt sich die mondäne Inge bei ihrer Schwiegermutter.
„Das ist doch unsere Verwandtschaft, die lässt man nicht auf der Straße stehen. Denk doch mal, was sie schon ausgehalten haben. Wenn du die Wohnung verloren hättest, würdest du auch Hilfe erwarten!“ entgegnet Großmutter Sommer.
„Dann kümmre du dich um sie, ich hab dazu keine Zeit und Lust!“ zischt Inge. Doch es ist Krieg und es bleibt Inge nichts anderes übrig. Jeder der Platz hat, muss „Evakuierte“ aufnehmen. Hanna steht mit ihren drei kleinen Kindern und dem Mädchen Emma, noch im Flur und hat sehr wohl den unfreundlichen Empfang gehört. Freundinnen werden die beiden jungen Frauen nicht.
Wir ziehen in zwei düstere Zimmer am Ende eines langen, schrecklich dunklen Flurs. Unser Kindermädchen Emma wohnt in dem einen Zimmer, wir mit Mutter im anderen. Die alten, lange unbenutzten Zimmer sind muffig und ungemütlich. Biedermeiertapeten mit zarten Streifen hängen verblichen, halb runter gerissen an den Wänden. Die ehemals schönen Räume sind vergammelt, es riecht nach Schimmel und alten Klamotten. Die Fenster gehen auf den Park hinaus, dessen düstere hohe Bäume die Räume verdunkeln. Den ganzen Tag brennt elektrisches Licht, damit man lesen oder stricken kann. Uns Kindern ist das egal, wir entdecken die neue Umgebung, treiben uns in den Ställen rum. Die alte Wohnung vermissen wir nicht. Außerdem durften wir in der Stadt nicht einfach aus dem Haus rennen und spielen, wo wir wollten.
Mutter hatte ihren Volksempfänger mitgenommen. Er dudelt den ganzen Tag. Wenn aber die Fanfare von Liszt eine Sondermeldung ankündigt, erstarrt alles. Wir dürfen keinen Mucks von uns geben. Emma wickelt ihre Strickjacke fest um sich, verkreuzt die Arme und stellt sich neben den Lautsprecher. Mutter hört nicht auf zu stricken, aber ihr Kopf neigt sich angestrengt in die Richtung des Radiogerätes. Es wird immer wieder der Endsieg gegen Russland verkündet, Sieg auf der ganzen Linie! Die Flüchtlingstrecks sprechen eine andere Sprache. Emma und Mutter tauschen Blicke, sagen nichts. Und gleich danach trällert Lale Andersen „Lili Marlen“.
Besonders attraktiv ist die große Gutsküche, wo es meist so lecker duftet. Die rundliche Köchin Grete mit der blütenweißen Schürze hat für uns Kinder immer was zum Naschen. Wir setzten uns gerne zu ihr und Hans, dem Faktotum an den blank gescheuerten Tisch in der Mitte. Wenn’s nichts zu naschen gab, gab’s was für die Ohren. Hans und Grete erzählten gerne und viel und immer klatschten sie über Tante Inge und die Offiziere „oben“. Einmal, als sie Tante Inges ausschweifendes Liebesleben lang und breit diskutierten, kam Mutter rein: „Was redet ihr denn da! Kleine Töpfe haben auch Henkel!“
Grete und Hans verstummten auf der Stelle und ich musste lange nachdenken, warum Mutter so etwas Selbstverständliches gesagt hatte:
Kleine Töpfe haben auch Henkel. Ist doch klar, weiß doch jedes Kind. Aber dass daraufhin die beiden verstummten, war mir ein Rätsel.
Der rothaarige, sommersprossige Sohn von Tante Inge heißt wie sein Vater Karl-Hans und ist etwas älter als mein Bruder Arne. Ich hänge wie eine Klette an Arne und Karl-Hans. Christian hätte das auch gern gemacht, aber seine Beine waren zu kurz, um uns zu folgen. Ich will einfach nur mit den Großen mitspielen. Und wenn es den beiden mit mir zu viel wird, spielen sie Indianer und binden mich kurzerhand an den Marterpfahl. Ich lasse das klaglos geschehen. Hauptsache dabei sein, und dazu muss man schon mal was aushalten. Und auf keinen Fall petzen, denn sonst ist man aus dem Spiel.
Es war da an dem Baum im Park, an den sie mich fesselten, durchaus nicht langweilig. Ich beobachtete Käfer, Eidechsen und Rehe. Einmal auch Annika und Boris, wie sie im Gras kullerten, schmatzten und stöhnten.
„Wo ist Birte?“ Wenn dann am Abend ein kleines Mädchen fehlte, fiel des den beiden hoffnungsvollen Knaben wieder ein, СКАЧАТЬ