Tagebuch eines Geschichtenerzählers. Roland Possin
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Название: Tagebuch eines Geschichtenerzählers

Автор: Roland Possin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738010558

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СКАЧАТЬ So lange war ich unterwegs, habe mich irgendwo in der Welt herumgetrieben. Ich habe gesucht, gehofft, gefleht, mich endlich von dieser Last der Einsamkeit und der Gefangenschaft zu befreien. Doch ich konnte die schweren Metalltüren, die das Haus sicherten, nicht sprengen. Nicht einmal einen Millimeter haben sie sich bewegt. Es gab Augenblicke, in denen ich dachte, ich hätte es geschafft. Meistens war das in der Gegenwart von Menschen, von denen ich meinte, dass sie mir meine Einsamkeit nehmen könnten. Aber es war nur eine gewünschte Projektion. Es war nicht ein Einziger dabei, der mir ein Gefühl von Zweisamkeit vermitteln konnte und mich wirklich verstand. Ich habe irgendwann aufgehört, es anderen zu erklären. Ich habe aufgegeben und mich damit abgefunden, allein zu sein.

      Als ich heute Morgen den Tannenzapfen in Händen hielt und daran schnupperte, kamen die Schmerzen, die ich all die Jahre tief in mir vergraben hatte, wieder zum Vorschein und versuchten mich zu töten. Es war ein kurzer Kampf. Ich hatte nicht die Spur einer Chance gegen diese übermächtige Kraft. Genau in diesem kurzem Augenblick, als ich den unendlichen Schmerz der Todessehnsucht in mir spürte, hatte ich dieses Bild vor Augen. Das Bild eines Menschen, eigentlich nur seine Konturen. Ich erkannte, meinen Tod von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehend, dass es dich gibt, irgendwo auf der Welt. Dich, dem ich alles erzählen kann, Du, der du mich verstehst, warum ich so geworden bin, wie ich bin. Es war ein unbeschreibliches Gefühl der Geborgenheit, wie ich es noch nie in meinem Leben gefühlt hatte. Rötlich schimmernde Wärme breitete sich von meiner Körpermitte aus und verteilte sich leicht wie ein Windhauch vom Kopf bis hinunter zu den Fußspitzen. Für den Bruchteil einer Sekunde, kurz nachdem ich dich gesehen hatte, spürte ich Frieden und Ruhe in mir. Das große dunkle Haus war verschwunden. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ganz kurz nur, dann war dieses Bild und auch der innere Frieden schon wieder weg. Aber es war keine Einbildung, da bin ich mir sicher, es war keine Einbildung! Jetzt bin ich wieder zurück im Hafen des normalen Lebens angekommen und spüre diese unendliche Leere und Trauer in mir. Doch ich kann diesen kurzen Augenblick nicht vergessen. Es gibt dich wirklich, irgendwo da draußen. Es ist diese Sehnsucht, die mir rät, dir alles anzuvertrauen. Es ist schon merkwürdig, mit einem Mal sentimental zu werden und damit anzufangen irgendeinem Menschen, der vielleicht nur in meiner Phantasie existiert alles zu erzählen. Ich riskiere es einfach!

      Damit du mich ein bisschen kennenlernst erzähle ich dir, was bisher in meinem Leben geschah.

      Ich bin vor neunundzwanzig Jahren in Lübeck auf die Welt gekommen, unerwünscht. In mir fließt indianisches Blut. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Er ist Lakota-Indianer und war als Soldat in Deutschland stationiert, als Mutter ihn 1970 traf. Sie hatte, was selten vorkam, Lübeck verlassen und eine Geschäftspartnerin in Heidelberg besucht. Diese lud sie ein, zu einem Tag der offenen Tür in einer US-Kaserne zu gehen, da ihr Mann dort beruflich zu tun hatte. Die Geschichte der Beziehung meiner Eltern ist sehr kurz. Es gab nur eine gemeinsame Nacht in einem Hotel, in der ich gezeugt wurde. Mein Vater wurde kurze Zeit später nach Vietnam abberufen. Er ließ seinen One-Night-Stand geschwängert zurück. Mutter erzählte mir, dass sie nach ein paar Jahren einen Brief von ihm bekommen hatte, worin stand, dass er zurück in die USA, ins Reservat gegangen war. Das war es dann auch schon. Mein Vater hat nie erfahren, dass er einen Sohn in Deutschland gezeugt hat. Ich blieb das einzige Kind meiner Mutter. Sie ist nie eine feste Beziehung eingegangen, das hätte wohl auch kein Mann ausgehalten. Aufgewachsen bin ich gut situiert in einer großen Villa. Meine Mutter war Geschäftsfrau. Sie führte ein großes Keramik-Unternehmen, dass sie von ihren Eltern geerbt hatte. Da sie als alleinige Geschäftsinhaberin mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt war, als sich um ihren Sohn zu kümmern, hat sie die Erziehung an eine Frau übergeben, die mit in unserem Haus wohnte. Liesi hatte den Auftrag, mir Anstand und Ordnung beizubringen. Um ganz ehrlich zu sein, so sehr sie sich auch bemühte, ihren Job gut zu machen, unterm Strich gesehen hat sie restlos versagt. Mutter schickte mich aufs Gymnasium, mit der Hoffnung, dass ich irgendwann mal die Firma übernehmen würde. Ich versuchte die Schule so gut es ging hinzubekommen und den Ansprüchen meiner Mutter gerecht zu werden. Erfüllte aber die Auflagen der Lehrer nicht. Viele Schwänzzeiten und so, du weißt. Ich bin Zeit meines Lebens nie den Erwartungen meiner Mitmenschen gerecht geworden. An erster Stelle denen meiner Mutter, ein anständiger, guter, sauberer, braver Sohn zu sein. Dann denen meiner Anstandsdame Liesi, deren oberstes Anliegen es war, mir Manieren beizubringen. Meine Lehrer hofften bis zuletzt, dass ich das Talent, das sie in mir zu sehen meinten, endlich auch zutage befördere, verbunden mit einem emsigen Fleiß. Auch daraus wurde nichts. Und zu guter Letzt glaubten die Mädchen, die mit mir anbändelten, in mir einen pflegeleichten, verständnisvollen, Indian-Lover zu finden. Den Gefallen konnte ich ihnen leider ich tun.

      Meine Karriere habe ich mir schon während der Schulzeit vermasselt. Jemand der sich permanent gleitende Arbeitszeiten gönnt, anstatt in die Schule zu gehen, hat auf der ersten Sprosse der Karriereleiter nichts verloren. Jahr für Jahr bin ich durch die Schulzeit gewandert, ohne, dass mich irgendetwas davon interessierte. Irgendwann waren die Lehrer es überdrüssig, mich in ihrer Gegenwart zu erdulden. Nach der zwölften Klasse wurde ich rausgeschmissen, wegen zu hoher Fehlzeiten, so die offizielle Version. Jemand, der regelmäßig schwänzte und sich nicht am Unterricht beteiligte störte einfach im System. Sie sind mir mit dem Rausschmiss nur zuvor gekommen, ich wäre auch so gegangen. Meiner Mutter erklärte ich, dass ich nicht vorhatte, die Klasse an einer anderen Schule zu wiederholen, geschweige denn zu studieren. Ich machte ihr klar, dass ich auch nicht beabsichtige, ihr Imperium zu übernehmen. Für sie brach damit eine Welt zusammen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich bei ihr eine gefühlsmäßige Regung wahrnahm. Sie drohte mir mit zitternden Händen, mich rauszuschmeißen und zu enterben, aber damit konnte sie mir nichts anhaben. Im Gegenteil, alles, was ihr so wertvoll war, Ansehen, Macht, Reichtum, all das interessierte mich nicht die Bohne. Im Gegenteil, es ekelte mich regelrecht an. Ich packte meine Siebensachen, schnappte mir meine Trommel und machte mich aus dem Staub, einfach so. Wir sollten uns nie wieder sehen. Das war 1988. Ich bin dann in der Welt umhergereist und habe mich in Südeuropa, Marokko, Sri Lanka und anderswo mit Gelegenheitsjobs und Trommeln über Wasser gehalten. Die letzten Monate lebte ich in Israel, im Mea Scharim, im orthodoxen Viertel Jerusalems. Dort habe ich vorige Woche einen Brief von ihrem Nachlassverwalter bekommen. Darin stand kurz und bündig, dass sie gestorben sei und dass die Beerdigung unmittelbar bevor stehe. Gestern wurde dann das Testament eröffnet. So erfuhr ich, dass es das Imperium meiner Mutter nicht mehr gab. Die sinkende Wirtschaftskonjunktur hatte der Firma den Todesstoß versetzt. Nachdem ihr Lebenstraum bankrott gegangen war, musste sie alles was ihr so wertvoll war verkaufen. Nur noch das Haus und ein paar Möbel sind davon übrig geblieben. Ich bin als alleiniger Erbe eingesetzt worden. Ich denke, ich werde das Haus verkaufen, das Geld irgendeinem Bettler in der Fußgängerzone schenken und mich wieder aus dem Staub machen.

       November 1999

      Hey, da bin ich wieder. Das Haus meiner Mutter ist mittlerweile verkauft. Ich habe das Geld nun doch nicht einem Bettler gegeben, sondern selbst behalten. Wäre ja auch irgendwie blöd gewesen, das ganze Geld zu verschenken. Ich bin auch nicht fort aus Lübeck. Ich bin es einfach leid, in der Weltgeschichte umher zu gondeln. All die Jahre, in denen ich unterwegs war, hatte ich gehofft, endlich zur Ruhe zu kommen und mich zu finden, den Menschen, der ich wirklich bin. Ich habe ihn nie gefunden. Jetzt hoffe ich, hier, an dem Ort meiner verlorenen Kindheit mehr über mich zu erfahren, wer ich wirklich bin. In einer Anzeige habe ich vor zwei Monaten gelesen, dass ein Typ aus Altersgründen ein kleines Antiquariat in gute Hände abgeben will. Komisch. Ich, der ich so wenig mit Büchern zu tun habe, sondern Musik als meine Kraftinspiration ansehe, bin da hin und habe mir diesen Laden mal angesehen. Dieser dunkle, langgezogene Raum, an dessen Wänden sich alte, verstaubte Bücher türmen, hat es mir angetan. Dazu dann der alte Mann, dessen Herz so an den Büchern hing und der den lustigen Namen Balthasar Brenzel trug. Ich habe das einfach mal gemacht und ihm für sein Geschäft die Hälfte meiner Erbschaft gegeben. Mit dem Rest kann ich noch ein paar Jahre über die Runden kommen, auch wenn es mit dem Verkauf von Büchern mal nicht so läuft.

      Der Laden hat ein Hinterzimmer, das vorher als Abstellraum diente. Das ist jetzt mein Zuhause geworden. Eine Matratze als Schlafplatz, ein mit Holz betriebener Ofen, auf dem ich auch kochen kann und meine Trommel, das ist СКАЧАТЬ