Название: Unwiederbringlich
Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738045789
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Thomas Häring
Unwiederbringlich
Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Die Protagonisten
Nein, man sollte so etwas wie das hier nicht mit Worten beginnen. Gernot stand vor dem Spiegel seiner Seele und spürte, daß er wieder einmal das für sich empfand, das für ihn am vertrautesten war: Nämlich nichts. Reich ins Heim, so lautete seit jeher sein Lebensziel. Er fühlte sich wie ein schwarzfahrender Afrikaner in der Dunkelheit, aber ihm war auch klar, daß das Leben weitergehen mußte. Im alten Griechenland wären Leute wie er ganz normal und gesellschaftlich anerkannt gewesen, doch 2500 Jahre später sah es ganz anders aus. Als Kinderschänder wurden er und seinesgleichen gebrandmarkt, man schaute voller Verachtung, Abscheu und Ekel auf sie herab, ja, selbst in den Gefängnissen waren sie der Bodensatz in der Hierarchie. War das gerecht oder handelte es sich beim Kindesmißbrauch um das letzte Tabuthema einer Gesellschaft, die keine Regeln, Gesetze und Grenzen mehr kannte? Gernot arbeitete als Fallmanager in der Agentur für Arbeit und er liebte seinen Beruf. Womöglich beruhte das sogar auf Gegenseitigkeit; wenn man sich allerdings vor Augen führte, daß jemandem wie ihm das Schicksal vieler, überwiegend junger, Menschen anvertraut wurde, dann konnte man schon zweifeln, ob das alles so in Ordnung war. Aber wer verfolgte eigentlich nicht auch immer seine eigenen Interessen? Klar, Pädophilie war kein Kavaliersdelikt, dennoch blieb festzuhalten, daß Gernot bereits als Elfjähriger auf Kinder stand, es sich bei ihm also um ein Kind handelte, welches auf Kinder abfuhr. Problematisch an der ganzen Angelegenheit war halt nur, daß er immer älter wurde, die Objekte seiner Begierde jedoch minderjährig blieben und daraus ergaben sich mit der Zeit nicht unerhebliche Probleme. War in seiner Kindheit etwas schief gelaufen, das seine angeblich abnormale Neigung erklären konnte? Eher nicht und genau das machte einen wirklich stutzig, denn woher nahm man sich das Recht, über die Vorlieben von Leuten zu urteilen? Daß es im Kinderschutzbund vor Pädophilen nur so wimmelte, war ein offenes Geheimnis, mit dem sich nur die allerwenigsten Zeitgenossen intensiver auseinandersetzen wollten. „Kinder sind unsere Zukunft“, jenen Slogan nahm Gernot immer ganz persönlich und er fühlte sich durchaus des Öfteren diskriminiert, denn die Anderen durften rumvögeln, zur Domina gehen, Sado-Maso-Spiele durchführen oder auch Dinge, eventuell sogar Tiere ficken, das wurde alles irgendwie toleriert, er dagegen stand mit seiner Neigung am Pranger und seine Mitmenschen wandten sich angewidert von ihm ab. „Kinder statt Inder“, auch der Slogan fand seine vollste Zustimmung, obwohl er im Grunde auch gegen indische Kinder nichts einzuwenden hatte, da die Abwechslung natürlich erfreute. Er war ein guter Onkel und seine beiden Neffen sowie seine Nichte liebten ihn abgöttisch. Doch er achtete peinlich genau darauf, daß er mit ihnen nicht zu lange unbeobachtet alleine war, denn er kannte sich selbst gut genug um zu wissen, daß es dann gefährlich werden würde. Seine Vorgesetzten hielten große Stücke auf ihn, denn Gernot zählte zu den erfolgreichsten und kompetentesten Fallmanagern seiner Zunft. Daß er das Vertrauen seiner Klienten und seine Macht manchmal mißbrauchte, steht auf einem anderen Blatt, ganz fest versprochen. Er lebte in einer Stadt, in der er nicht weiter auffiel, da es dort vor Menschen nur so wimmelte und wenn er seinen Abendspaziergang machte, dann ging er oft an Turnhallen vorbei und beobachtete dort die Kinder beim Sport. Hin und wieder hatte er sogar eine Freundin oder einen Freund gehabt, aber sobald die über 18 waren, interessierten sie ihn nicht mehr und er trennte sich von ihnen. Der Reiz der Unschuld, das Reine reizte ihn und er versuchte, sich vorzustellen, wie es denn eigentlich wäre, in einer Gesellschaft zu leben, in der seine Lebensform akzeptiert wurde. Es war schließlich wirklich nicht so, daß er die Kinder zu etwas zwang, das die nicht wollten, im Gegenteil. Oft verführten sie ihn und das machte es ihm natürlich leichter, zumindest war das seine Sicht der Dinge.
Jessica war eine Frau, die wollte was sie wußte. Sie mochte es nicht, wenn man sie bei ihrer Tätigkeit beobachtete, denn sie arbeitete als selbständige Freiberuflerin. Was sie genau machte, das wußte sie oft selber nicht, jedenfalls hatte sie keinen Chef und konnte sich ihre Zeit frei einteilen, was sie auch voller Leidenschaft tat. Daß sie nicht gerade kompetent war, was die ganze finanzielle Seite der Selbständigkeit betraf, störte sie nicht weiter, denn sie hatte einen kleinen Plattenladen, in den sich hin und wieder sogar ein Kunde verirrte. Musik war schon immer ihr großes Hobby gewesen und da sie mit einem Mann verheiratet war, der gut verdiente, konnte sie ihrer Leidenschaft frönen, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, wie sie über die Runden kam. Früher hatte ihr Vater ihr Leben finanziert, später dann Vater Staat, mittlerweile war es Vater Abraham, wie sie ihren Gatten manchmal scherzhaft nannte, da er 15 Jahre älter war als sie und irgendwann würde Gevatter Tod sie abholen. Sie war also gefangen in einer patriarchalischen Gesellschaft, doch das störte sie nicht weiter, denn auch wenn es sich bei ihr um einen hübschen Vogel in einem goldenen Käfig handelte, so war sie sich doch darüber im Klaren, daß sie es eigentlich ganz gut erwischt hatte. Aber hin und wieder war genug zu wenig und besser löste gut ab, weshalb sie sich alle paar Wochen einen jungen Kerl angelte, den sie meistens in ihrem Plattenladen aufgegabelt hatte. Wer die ganze Angelegenheit aus der Ferne betrachtete, konnte zu dem Schluß kommen, daß Jessica ihren Plattenladen nur betrieb, um an männliches Frischfleisch zu kommen, welches sie im Stile einer Gottesanbeterin nach dem Akt tötete und verspeiste. Das war natürlich nicht wörtlich zu verstehen, auch wenn die Musikliebhaberin ihre Bettgefährten und Gespielen hin und wieder biß und an deren Ohrläppchen knabberte. Aber sollte und konnte das ewig so weitergehen? Jessica hatte schon öfter versucht gehabt, mit ihrem Mann über ihre Sexsucht zu reden, doch dem war das alles egal gewesen und von ihren Abenteuern wollte er nichts hören, denn er war genug mit sich beschäftigt. Sie hatte den Zenit ihres Lebens bereits fast überschritten und wußte deshalb, daß sie etwas ändern mußte, um nicht zu stagnieren oder gar zu regredieren. Blöd an der Sache war halt nur, daß sie finanziell abhängig war und eigentlich auch nicht wußte, was sie im Leben erreichen wollte. So war es ohnehin meistens bei den Menschen: Ihnen war oft nur klar, daß es so wie bisher nicht weitergehen konnte, doch wenn man sie fragte, was sie denn für Ziele, Wünsche und Vorstellungen hatten, dann kam da nicht viel. Jessica hatte jedenfalls eine Entscheidung getroffen und versuchte nun, einen Geldgeber für ihr neues Leben zu finden. Ihr Vater winkte desinteressiert ab, er wollte seinen Lebensabend auf der Aida verbringen, dort stellte er es sich wesentlich schöner als in einem Altenheim vor und preislich war es auch nicht teurer. Ihr Mann erklärte kategorisch, daß sie von ihm nichts zu erwarten hätte, sobald sie sich von ihm trennte und so blieb im Dreieck der männlichen Versorger nur Vater Staat übrig, der zwar auch nicht sonderlich begeistert war, als Jessica bei ihm auftauchte und um Unterstützung bat, aber er war gesetzlich dazu verpflichtet, ihr zu helfen und so begann sie ein neues Leben in einer alten Stadt, in welcher sie aber wenigstens in der Neustadt wohnte. Lieber unsicheres Glück als sicheres Unglück, lautete ihr neues Lebensmotto, doch schon recht schnell sehnte sie sich in ihren goldenen Käfig zurück, wo sie sich keine Gedanken darüber machen mußte, wie sie ihren hohen Lebensstandard СКАЧАТЬ