Название: Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3
Автор: Mario Covi
Издательство: Bookwire
Жанр: Математика
isbn: 9783847684282
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So richtig schön geschmacklos, ich weiß! Aber sollen Dinge, die geschehen sind, unbedingt anders dargestellt werden, nur damit sie sich besser ausnehmen, vielleicht stilvoller sind? Ich hatte nun mal mit dem wilden süßen Vogel vor der Lotterliege gekniet, und wir waren glücklich da oben auf dem berüchtigtsten Lasterhügel Südamerikas. Laut Aussage einiger Seeleute hatte er allerdings schon vor vielen Jahren sein schamloses Existieren einstellen müssen. So wird dieses Stück erlebter Geographie nur noch im unerschöpflichen Vorrat ausschweifender Seemannspuffgeschichten weiterleben: ‚La Pilota‘, das verruchte Teerjackenparadies oben beim Wasserturm in Buenaventura, Kolumbien, Pazifikküste, von Seeleuten ‚Schanker-Hill‘ genannt.
Ich war zu jener Zeit – 1962 - wirklich noch ein unbedarfter Jüngling im stoppligen Haar, aber die Atmosphäre in diesem Pfahlbauviertel am Berghang hatte mich ungemein fasziniert. Diese lebensüberschäumende Kloake, dieses betörende und gleichzeitig verstörende Wuchergeschwür einer typisch lateinamerikanischen Gesellschaftsstruktur.
Vom Hafen bis zum Wasserturm kostete damals ein Taxi drei Pesos. Zu Fuß durch die Slums unterhalb des Hügels zu gehen galt als äußerst gefährlich. Auf einem Schiff erzählte man mir, ein ganz Selbstbewusster habe sich auf seine Cleverness, seine Körperstärke und seinen Revolver verlassen, als er dem Schanker-Hill zustrebte. Er war dann zwar lebend, aber nur noch in Unterhosen an Bord zurückgeschlichen gekommen.
Oben, auf dem Hügel, reihten sich die Bars, Tanzschuppen, Bumslokale und Imbiss-Stuben, allesamt Stätten des Lasters, zu beiden Seiten einer schlammigen Straße. Meist waren die Verschläge blau, türkisgrün oder in geilem Rosa gestrichen, den Lieblingsfarben der Dritten Welt. Nach hinten raus standen manche der Holzhäuser, wegen des abfallenden Geländes, auf hohen Pfählen. Aus diesen Piratenspelunken waberte eine aufregende Mischung aus Lärm und Gerüchen, Musik und brünstigem Moschus. In einigen furchterregenden Höhlen bewegte sich eine dichtgedrängte Masse schwitzender Kolumbianer, meist Mulatten und Schwarze, im hypnotisierenden Gehämmer greller Cumbias und Merengues. Sie ließen ihre Hüften im ungestümen Stakkato der fetzigen Dschungelrhythmen kreisen, deren afrikanische Ursprünge unverkennbar waren. Was war das für ein lustvolles Unterleibwiegen! Was für ein prachtvolles Wogen saftiger Weiberhintern!
An dem einen Ende des Kolumbianerkiezes gab’s auch eine deutsche Bierschwemme, die ‚Hamburg-Bar‘, mit deutschem Wirt – vermutlich einem achteraus gesegelten ehemaligen Seemann – und Freddy-Schnulzen über heimwehkranke treudeutsche Sailor-und-Söldner-Mannhaftigkeit. Nein, dann schon lieber diese Flammenwerfer-Merengues, die glutvollen Leidenschaftsausbrüche südamerikanischer Musikalität!
Und dann, die jungen Frauen! Milchkaffee-Mestizenmädchen und Mahagoni-Mulatas! Schwarzlockige ‚Chiquitas‘, in deren Adern sich das Blut altspanischer Konquistadoren, indianischer Bergbauern und afrikanischer Sklaven zu roter Pfeffersauce vermischt hatte! Wildlinge mit Kohlenaugen, deren Blicke einem Seemann das Herz brachen! Vollblutsweiber mit Lippen, deren Weichheit den hartgesottensten Bootsmann und Matrosenschinder zum Streichelbärchen zähmte!
Aber, sie hatten auch Zähne, diese Teufelchen, und sie waren zu einer Leidenschaft fähig, die vor Blut nicht zurückschreckte. Wehe dem Seemann, der mal hier, mal dort naschen wollte! Wenn die Liebe letztendlich auch meist bezahlt wurde, ‚Amor‘ und ‚Cariño‘ waren Worte, die vor allem in Kolumbien mit rollendem Zungenschlag gesprochen wurden. Und einer feurigen ‚Colombiana‘ Liebe war seit jeher heiß, unbändig und erbarmungslos – ob von Dauer, stand ja nicht zur Diskussion! Da flogen die Fetzen, wenn sich zwei Señoritas gegenseitig des Männerausspannens bezichtigten. Da flogen auch manches Janmaaten Fetzen, wenn sich die Mädchen solidarisierten und gegen den Weiberhelden Front machten. Und es floss Blut! Rasierklingen und Messer gehörten zur Standardbewaffnung der ‚Chicas‘, abgebrochene Flaschenhälse standen im Handumdrehen als barbarische Bedrohung zur Verfügung – und wurden auch blitzschnell benutzt!
Eine, enttäuscht vom verglimmenden Strohfeuer einer heftigen Liebesnacht, bewies ihrem Sailor die Grenzenlosigkeit ihrer Leidenschaft, indem sie mit so einem Mordinstrument jene delikate, markant bewaldete Erhebung ihres von Liebe und Drogen aufgepeitschten Körpers bearbeitete, der Ästheten einstmals die eher in einer topographischen Karte zu vermutende Bezeichnung ‚Venushügel‘ verpasst hatten. Blut und Selbstverstümmelung als Liebesbeweis! Danach wunderte ich mich nicht mehr über die Narben, die einige der Hafenmädchen stolz vorzeigten. Doch meistens hatten sie diese weder im Zweikampf, noch im Wahn der Leidenschaft davongetragen, sondern hatten sie sich kühl berechnend vor dem Spiegel selbst zugefügt, so akkurat saßen die dekorativen Schmisse und Schmucknarben.
Natürlich spielte Rauschgift in diesem Milieu eine Rolle. Die alte Indianer-Koka vielleicht, bestimmt aber Marihuana, das im fernen Europa noch so gut wie unbekannt war. Im nüchternen Zustand betrachtet war das gesamte ‚Barrio‘ sowieso ein von Laster, Verbrechen, Elend und Seuchen aufgedunsenes Geschwür, dem Hein Seemann nicht ohne Grund den wenig schmeichelhaften Kosenamen ‚Schanker-Hill‘ gegeben hatte. Neben vielen anderen südamerikanischen Gestaden war Kolumbien als heißes Pflaster verschrien. Bereits auf Reede, im Fluss, hatten Piraten unser Kabelgatt geknackt und tausend Liter Schiffsfarbe gestohlen.
Die politischen Verhältnisse hatten der Gewalt einen erheblichen Stellenwert eingeräumt. ‚Violencia‘ war kolumbianischer Alltag. ‚Bandoleros‘ trieben auf eigene Faust ihr Unwesen, oder sie fanden einen Job entweder bei der linken Guerilla, bei den rechten Todesschwadronen, oder – mittlerweile – bei der Drogenmafia. Korruption, Violencia und die erbarmungslose Chancenlosigkeit des kleinen Mannes, es war eigentlich fast egal, von welcher Seite in Kolumbien die Schüsse fielen. Sie waren, und sind meist tödlich – und außer dem Weltrekord in Sachen Drogenanbau ist das Land seit jeher auch rekordverdächtig bei Mord und Totschlag!
Was Wunder also, dass da oben auf dem Schanker-Hill ein kernig als Westernheld ausstaffierter Sheriff patrouillierte: Bodyguard der Bar- und Bumsbesitzer, Gorilla für Gäste, Zuhälter, Puffmütter und das Heer der Nutten. Ein Söldner, der zur Gaudi der Seelords filmechte Szenen lieferte, wenn er die Kaschemmen stiefelstampfend und sporenklirrend betrat und seinen Colt gegen die Decke leer ballerte, oder einer peinlichen Wandbemalung das Auge ausschoss. Es hieß, dass diese ‚Pistoleros‘ in regelmäßigen Abständen branchenüblich und stilgerecht abgestochen oder umgenietet wurden.
Trotz solch martialischer Show von ‚Law and Order‘ wurde in den dunklen Gassen geraubt und gefleddert. Das Wechseln der Kneipe, der kurze Weg von einer Pinte zur nächsten, konnte mit einem Schlag über die Rübe enden. Ich sah manchen Seemann wutentbrannt sein Handgelenk reiben: die Uhr war weg!
„Ich bin nur eben vom Nachbarpuff rübergekommen!“, schimpfte einer der ausgeplünderten Matrosen. „Nur ´n paar Meter, ´n paar Schritte! Da waren vier, fünf Jungs. Kinder. Rotzfreche Bengels, flachsen mit mir herum, blödeln, kreisen mich ein, und in null Komma nichts hattense aber auch alles gezottelt!“
„Jaja!“, lachte da ein anderer Janmaat und zitierte versonnen den albernen schweinischen Stammtisch-Schnack: „Geld im Eimer, Uhr ist weg, an den Fingern Mösendreck, und im Herzen Trippersorgen: das ist Seemanns Montagmorgen!“
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