Название: Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3
Автор: Mario Covi
Издательство: Bookwire
Жанр: Математика
isbn: 9783847684282
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Hand aufs Herz: Wer hätte im Falle eines Falles die kreisende Buddel, in der Überzeugung, dass sie Wärme und Trost spendet, zurückgewiesen?
Es war irgendwie bitter, von kompetenter Seite so brutal auf sein Unwissen aufmerksam gemacht worden zu sein. So erfuhren wir, dass die häufigste Todesursache in Seenotfällen der Kältetod sei. Und zwar auch bei milden Temperaturen kann die Unterkühlung als allgemeines Erfrieren des ganzen Körpers eintreten. Bei Wassertemperaturen über 20 Grad Celsius, so wurden wir belehrt, könne der Körper im Notfall die Wärmeproduktion auf das Fünffache steigern. Doch unter 20 Grad sieht die Sache bedenklicher aus. Und bei sehr kaltem Wasser sind die Überlebensaussichten erschreckend kurz:
„...Die Temperatur im Kern des Körpers sinkt auf 25 Grad und erreicht damit die tödliche Unterkühlungsgrenze:
bei 15 Grad Wassertemperatur nach 12 Stunden
bei 10 Grad Wassertemperatur nach 5 Stunden
bei 5 Grad Wassertemperatur nach einer Stunde.“
Es war faszinierend und erschreckend zugleich, wenn man in dieser Broschüre blätterte. Wie war das noch mit dem Wasser? Der Mensch besteht zu 60 Prozent aus diesem Stoff. Ist ein Prozent davon verbraucht, stellt sich Durst ein. Bei 5 Prozent – etwa 2 Liter bei einem Körpergewicht von 70 Kilogramm – beginnt bereits der körperliche und geistige Zusammenbruch. Man hat keine Lust mehr zu Überleben, und wenn man erst 8 bis 10 Prozent Wasserverlust erreicht hat, stellen sich Halluzinationen ein. Das Ende kommt dann bei 20 Prozent – eine grausige Rechnerei!
Bootsmanöver auf M/S 'Marlene-S',
Niemand hatte uns je erklärt, dass der Wasserhaushalt bewusst reduziert werden kann! Dass der Körper bei akutem Wassermangel seinen Verbrauch auf ein Drittel, rund 0,8 Liter in 24 Stunden, einschränken kann. Deshalb also sollte man in den ersten 24 Stunden nach Verlassen des Schiffes absolut keinen Tropfen trinken. Erst durch das Durstgefühl würde der Körper zur Einschränkung gezwungen, um dann mit 0,8 Litern klar zu kommen. Und dann kam die schlaue Rechnung: durch Stoffwechselvorgänge kann der menschliche Körper selbst 0,3 Liter Wasser erzeugen und deshalb mit einer täglichen Ration von einem halben Liter ohne spätere Körperschäden über längere Zeit überleben.
Mich hatte all das ziemlich nachdenklich gestimmt, und mir war bewusst geworden, dass vieles, was mit Sicherheit zu tun hatte, nur oberflächlich behandelt und pflichtschuldigst abgehakt wurde. Zeitmangel ließ bei der Hektik der Seeschifffahrt Sicherheit zur Nebensächlichkeit verkümmern. Aber auch Allzumenschliches spielte eine Rolle, das musste auch ich reumütig eingestehen, denn – mal ehrlich! – wer prüfte tatsächlich und penibel jeden Tag die Notbatterie oder allwöchentlich den Rettungsbootsender auf Herz und Nieren? Und so waren eben auch die Rettungsboote nicht selten in ihren Davits regelrecht festgemalt, weil ein Schiff, schön gepönt, dem Ersten und dem Alten beim gefürchteten Reeder- oder Inspektor-Besuch bessere Karten einbrachte als ein fettbekleckerter, aber funktionierender Mechanismus.
Bei vielen anderen unfallverhütenden oder lebenserhaltenden Geräten und Einrichtungen verhielt sich der Seemann nicht anders als der Autofahrer, der den Sicherheitsgurt ignoriert. Vom Schutzhelm bis zu den Sicherheitsschuhen, vom Rauchen in der Koje bis hin zur vorschriftsmäßigen Besetzung der Schiffe und Wachen wurde auch bei der christlichen Seefahrt der fromme Spruch ‚Safety first‘ eher platonisch betrachtet.
Auf späteren Schiffen gab es bereits Überlebensanzüge, in denen man gute Chancen gegen den Kältetod hatte. Als Nachteil empfand ich, dass man sich in diesen unförmigen ‚Raumanzügen‘ nicht mehr wiedererkennen konnte. Alle sahen gleich bescheuert aus – und im Notfall rasch den richtigen Mann ansprechen zu können, schien mir unter Umständen lebenswichtig.
Nicht unbedingt beliebt waren Bootsmanöver in den modernen geschlossenen Booten, die sich achtern in tiefem Sturz vom Schiff lösen ließen. Es war Jahrmarktsensation pur, wenn man in so einer schräg hängenden Bootsröhre, mit Hosenträgergurten angeschnallt, rückwärts in die Tiefe sauste. Das konnte, je nach Schiffsgröße, über drei, vier, fünf oder noch mehr Stockwerke gehen. Aus den Bullaugen sah man plötzlich seinen Rattendampfer davonfahren, und es war so still, weil mit dem Zossen auch der Lärm aus Zeche Elend davon brackerte... Und dann – juchhu! – gab’s den Aufprall, das spritzende Eintauchen im Meer. Und das seekrankmachende Geschaukel und Einatmen der Abgase des Bootsmotors. Nee, man war froh, wenn man diese Kotzröhren oben auf dem heimatlichen Wurstwagen wieder verlassen durfte.
Aber lieber Freifallboote und einen Dschungel an Vorschriften, wie sie auf deutschen Schiffen die Sicherheit erzwangen, als unter Schattenflagge marode Rettungsboote, die diesen Namen gar nicht mehr verdienten. Da gab es auf manchem Totenschiff nur noch Attrappen, die leckgeschlagen und morsch in den Davits vergammelten.
Schwer vorstellbar war es schon, bei Sturm und Seegang ein Schiff verlassen zu müssen. Dabei gingen Rettungsboote sowieso leicht zu Bruch, und die später eingeführten zusätzlichen Rettungsinseln hatten ebenfalls ihre Tücken. Sie liefen bei Seenotfällen oft mit Wasser voll. Oder sie kenterten bei Sturm, und Menschen sowie Notausrüstung gingen verloren.
Man konnte dankbar sein, niemals in Seenot geraten zu sein. Obwohl ich mich an einige Ereignisse erinnere, die einer Schiffsuntergangsstimmung gleichkamen. Mitte der sechziger Jahre fuhr ich auf der 1928 gebauten "Griesheim", deren Achterpiek Ärger machte. Dieser hintere Ballasttank war stets nur halb oder dreiviertel voll gefahren worden. Das war zwar nicht erlaubt, aber notwendig, um das Mannschafts-Logis nicht absaufen zu lassen. Die Tankdecke war nämlich gleichzeitig der Fußboden der Mannschaftsräume, schön rustikal mit Holzplanken belegt – und durchlässig wie ein Sieb!
Nun war im Sturm die Belastung durch die rauschenden Ballastwassermassen für das Schott im Tank, eine Art Zwischenwand, zu stark geworden. Es hatte sich losgerissen, donnerte im halbvollen Tank hin und her und drohte, ein Loch in die Schiffswand zu schlagen. Um die riesige Eisenplatte abzubremsen, war die Achterpiek vollständig geflutet worden. Als Folge soff das Logis ab. Aus den Fußböden der Kajüten schossen Fontänen und Wasserspiele. Aufgequollene Dielen wölbten sich, sprangen hoch. Das Wasser stieg, rauschte durch die Gänge, lief in Schränke, Schubladen und Kojen. Es herrschte besagte Schiffsuntergangsstimmung.
Währenddessen war der alte Kasten immer zwischen Englands und Frankreichs Küste hin und her gekreuzt, unfähig auch nur eine Meile gegen den Sturm anzudampfen. Und er schaffte es erst nach langer Zeit, trotz harter Ruderlage, durch den Wind auf Gegenkurs, sozusagen auf den anderen Bug zu kommen. Wie auf einem Windjammer hatte man das altertümliche Steuerrad einfach festgezurrt und gehofft, dass sich der Kahn in einem günstigen Moment durch den Südweststurm boxen würde. Neun Tage lang waren wir damals von Rotterdam bis zur Südwestecke Portugals unterwegs gewesen, eine Zeitspanne, in der superschnelle ‚Liner‘ den Atlantik fast zweimal überquerten.
Bootsmanöver auf der alten 'Griesheim', ca. 1966
Wir waren jedenfalls nicht abgesoffen. Nur die Wohnräume der Matrosen und der Maschinenbesatzung sahen aus wie nach einer Katastrophe. Trotz Werftreparatur – man hatte angeblich zwei СКАЧАТЬ