Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 37

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ und Gerechten, – wenn es solche giebt. Der Ausgangs- und Anfangspunkt aller seiner Gedanken war der Haß gegen das von Menschen gemachte Gesetz; dieser Haß artet, wenn er nicht durch irgend ein, von der Vorsehung gewolltes Ereigniß in seiner Entwickelung gehemmt wird, in Haß gegen die Menschheit überhaupt, dann gegen die Thiere aus und giebt sich kund durch ein instinktives, unaufhörliches, bestialisches Verlangen, irgend einem lebenden Wesen zu schaden. Also bezeichnete Jean Valjeans Paß ihn nicht ohne Grund als einen sehr gefährlichen Menschen.

      Von Jahr zu Jahr war sein Herz langsam, aber mit Notwendigkeit allmählich vertrocknet, und ebenso seine Augen. Als er das Gefängniß verließ, waren es neunzehn Jahre her, daß er eine Thräne geweint hatte.

      VIII. Ein Mann über Bord!

      Ein Mann über Bord!

      Wer kehrt sich daran? Das Schiff bleibt nicht stehen. Der Wind treibt es weiter, und es muß seinen Weg fortsetzen. Es fährt vorbei.

      Der Mann verschwindet in den Wellen und taucht wieder empor. Er ruft, streckt die Arme aus. Niemand hört ihn. Matrosen und Passagiere denken nur an den Sturm, der das Schiff erbarmungslos schüttelt. Keiner sieht den Verlornen, sein unglückliches Haupt ist nur ein Punkt in der unendlichen Wasserwüste.

      Wie grauenvoll ist für ihn der Anblick jenes Segels, das vor ihm flieht! Er stiert ihm nach mit der ganzen Kraft seiner Augen. Aber wehe! Es wird kleiner, immer kleiner. Eben noch war er mit den andern Matrosen auf dem Deck und hatte Theil am Leben und am Licht. Und jetzt! Er glitt blos aus, er fiel, und nun ist es vorbei mit ihm.

      Jetzt ist er ein Spielball der Fluthen. Sie weichen und gleiten unter ihm dahin, steigen empor und umtosen ihn, spritzen ihre Gischt auf ihn, wirbelten ihn herum, tauchen ihn unter und zeigen ihm die Finsternisse der Tiefe, umstricken seine Füße mit unentwirrbaren, unbekannten Gewächsen, dringen durch alle Poren, durch Mund und Nase in ihn hinein und wetteifern ihn zu verhöhnen, zu verderben.

      Wohl wehrt er sich gegen ihren Haß. Er bietet alle seine schwachen Kräfte auf, die unerschöpflichen Naturgewalten zu bekämpfen. Er schwimmt.

      Wo ist denn das Schiff? Da hinten, kaum noch sichtbar im fahlen Dämmerlicht des Horizonts.

      Der Sturm rast weiter, die Fluthen dringen stärker auf ihn ein. Er richtet die Augen empor und sieht nur noch die fahlen Wolken.

      Es fliegen wohl Vögel über dem unendlichen Wasserschwall, wie die Engel einherschweben über all der Noth des Erdendaseins; aber was können sie thun, ihm zu helfen? Das fliegt, steigt und zwitschert, und er, er stöhnt und seufzt.

      Jetzt bricht die Nacht herein. Stundenlang schwimmt er schon; seine Kräfte gehen zu Ende. Das Schiff, das Ding, in dem Menschen waren, ist verschwunden. Er ist allein in der grauenvollen, dämmrigen Oede. Er sinkt. Er hebt sich, windet und krümmt sich. Er fühlt unsichtbare Mächte, die ihn hinabreißen wollen, und ruft.

      Menschen sind nicht da. Wo ist Gott?

      Er ruft. Um ihn und über ihm ist nur der Raum, das Wasser, Algen, Klippen, der Himmel; aber die sind alle taub und stumm.

      Da packt ihn die Verzweiflung. Des unnützen Kampfes müde, entschließt er sich zu sterben und versinkt in die Tiefe der Vernichtung.

      Diesem Manne, der hilflos auf dem Meere untergeht, gleicht auch der Unglückliche, den das erbarmungslose Gesetz zu geistiger und moralischer Vernichtung verdammt.

      Auch die Seele, die, von der Gesellschaft über Bord geworfen, sich selbst überlassen bleibt, kann ihr Leben verlieren, und wer wird sie wieder erwecken?

      IX. Neue Mißhandlungen

      Als Jean Valjean das Zuchthaus verlassen durfte, als er die sonderbaren Worte vernahm: »Du bist frei!« durchbebte ihn ein unsägliches Wonnegefühl, und ihm war, als dringe endlich ein Strahl belebendes Licht tief in ihn hinein. Aber es währte nicht lange, so verblaßte der Schein. Der Gedanke an die Freiheit hatte ihn entzückt, er hatte gewähnt, nun beginne für ihn ein neues Leben. Bald aber merkte er, was für eine Freiheit das ist, die einen gelben Paß mitbekommt. ^

      Die neuen Erfahrungen begannen schon im Zuchthaus selber. Nach seiner Berechnung mußte sich sein ersparter Verdienst aus hundertundeinsiebzig Franken belaufen. Freilich hatte er die Sonn- und Festtage abzuziehen vergessen, was einen Abzug von ungefähr vierundzwanzig Franken bedeutete. Wie dem aber auch sei, es wurden ihm noch andre Abzüge gemacht, soviel, daß er schließlich nur hundertundneun Franken fünfzehn Sous ausgezahlt bekam.

      Er hatte diese Berechnung nicht verstanden und meinte, ihm sei Unrecht geschehen, oder um es ohne Umschweife zu sagen, er wäre geprellt worden.

      An dem Tage, nachdem er in Freiheit gesetzt worden war, sah er in Grasse vor einer Destillation Leute, die Waarenballen abluden. Er bot seine Dienste an, und da die Arbeit drängte, wurde er ohne Weiteres engagirt, Er griff tapfer zu und sein Arbeitgeber schien mit ihn zufrieden zu sein. Da kam ein Gendarm des Weges, sah ihn und fragte nach seinen Papieren. Er mußte also seinen gelben Paß vorlangen. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Kurz zuvor hatte er einen von den Arbeitern gefragt, wieviel sie bei dieser Beschäftigung pro Tag verdienten. »Dreißig Sous«, lautete der Bescheid. Am Abend meldete er sich, da er genöthigt war, am nächsten Morgen in aller Frühe weiter zu marschieren, bei seinem Arbeitgeber und bat um Bezahlung. Dieser sprach kein Wort und gab ihm nur fünfzehn Sous. Er protestirte, erhielt aber die Antwort: »Für so Einen, wie Dich, ist's genug.« Er wollte sich sein Recht nicht nehmen lassen. Da sah ihn der Destillateur scharf an und sagte: »Möchtest Du denn wieder ins Zuchthaus zurück?«

      Auch hier konnte er sich als geprellt betrachten.

      Hatte ihn der Staat, die Gesellschaft im Großen betrogen, so wurde er jetzt im Kleinen benachteiligt.

      Die Entlassung bedeutete noch nicht die Freiheit. Kommt man aus dem Zuchthaus heraus, so hat man damit noch nicht die Verurtheilung abgeschüttelt.

      So war es ihm in Grasse ergangen. Weiter oben haben wir gesehen, wie er in Digne aufgenommen worden war.

      X. Das Erwachen

      Also als die Domuhr zwei schlug, erwachte Jean. Er erwachte, weil das Bett zu gut war. Nahe an zwanzig Jahre waren dahingegangen, seitdem er in einem Bett geschlafen, und obschon er sich nicht ausgekleidet hatte, war die Empfindung doch zu neu, als daß sie nicht seinen Schlaf hätte stören sollen.

      Er hatte etwas über vier Stunden geschlummert. Seine Müdigkeit war vergangen. Es lag nicht in seiner Art, viel Zeit mit Schlafen hinzubringen.

      Er machte die Augen auf und ließ seine Blicke im Dunkeln um sich herumschweifen, dann schloß er sie, um wieder einzuschlafen.

      Wenn den Tag über vielerlei Gedanken und Gefühle den Geist bestürmt haben, kann man am Abend wohl einschlafen; erwacht man aber, so ist dies nicht mehr möglich. Das erste Mal kommt der Schlaf leichter, als das zweite. Diese Erfahrung machte jetzt auch Jean Valjean. Er konnte nicht wieder einschlafen und fing an nachzudenken.

      Er befand sich in einer Gemüthsverfassung, wo man nur verworrener Gedanken fähig ist. In seinem Hirn schwirrte alles hin und her und durcheinander; Altes und Neues nahm die mannigfaltigsten Gestalten und Proportionen an und verschwand dann wieder eben so rasch. Aber unter den vielen Gedanken, die seinen aufgeregten Geist beschäftigten, war einer, СКАЧАТЬ