Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 34

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ Ganzen aber doch etwas schläfrig und matt. Im ersten Kindesalter verlor er schon seine Eltern. Seine Mutter starb an einem vernachlässigten Milchfieber, sein Vater, der gleichfalls Baumputzer war, an den Folgen eines Sturzes. Es blieb ihm nur noch eine Schwester, die älter war, als er, eine Wittwe mit sieben Kindern. Diese Schwester hatte Jean Valjean erzogen und ihn, so lange sie einen Mann hatte, ernährt. Aber der Mann starb, als das älteste von den Kindern erst acht und das jüngste ein Jahr alt war. Nun vertrat Jean Valjean, der sein fünfundzwanzigstes Jahr erreicht hatte, die Stelle des Vaters und ernährte seine Schwester. Dies betrachtete er als eine selbstverständliche Pflicht und wurde sogar ärgerlich, wenn man ihm wegen seiner Gutmütigkeit Lob spendete. So brachte er seine Jugend in schwerer, schlecht bezahlter Arbeit hin. Mit einer »guten Freundin« war er nie gesehen worden. Er hatte keine Zeit, an die Frauen zu denken.

      Des Abends kam er mit zerschlagenen Gliedern nach Hause und aß, ohne ein Wort zu sprechen, seine Suppe. Oft fischte ihm seine Schwester, Mutter Jeanne, das Beste aus seinem Napfe vor der Nase heraus, das Stück Fleisch, den Speck, das Herz von dem Kohl und gab es ihren Kindern, und er aß dabei ruhig weiter, vorn übergeneigt, den Kopf fast im Napfe, um den seine langen Haare herumhingen, und schien nichts zu sehen. In Faverolle wohnte unweit von Valjeans Hütte eine Bäuerin, Marie-Claude genannt. Zu dieser Frau kamen bisweilen die ewig hungrigen Valjean'schen Kinder und holten, angeblich im Namen ihrer Mutter, eine Pinte Milch auf Borg, um die sie sich dann hinter irgend einer Hecke, oder in einem andern Versteck balgten, wobei sie sich die Schürzen tüchtig begossen. Hätte die Mutter Wind bekommen von diesen Spitzbübereien, so hätten die Missethäter erbarmungslose Hiebe besehen. Aber der sonst so barsche und brummige Jean Valjean pflegte hinter dem Rücken der Mutter die Milch der Frau Marie-Claude zu bezahlen und die Kinder entgingen der Züchtigung.

      Er verdiente als Baumputzer achtzehn Sous den Tag, nachher verdang er sich als Schnitter, als Handlanger, Hirt, Hausknecht. Er quälte sich redlich und seine Schwester arbeitete ihrerseits auch nach Kräften, aber sieben Kinder sind nicht leicht durchzubringen. Allmählich umklammerte das Elend die bejammernswerte Familie immer fester. Da geschah es einst, daß ein strenger Winter das Land heimsuchte und Jean keine Beschäftigung fand. Die Familie hatte kein Brot, buchstäblich kein Brot. Dabei sieben Kinder!

      An einem Sonntag Abend schickte sich Maubert Isabeau, der Bäcker an dem Kirchenplatz in Faverolles, eben an, sich zur Ruhe zu begeben, als er ein starkes Geräusch vernahm, das von dem vergitterten Schaufenster seines Ladens herkam. Er kam noch zu rechter Zeit, um einen Arm zu sehen, der durch die soeben zertrümmerte Vergitterung und die Glasscheibe in den Laden langte und ein Brot herausholte. Isabeau stürzte eilig hinaus, hinter dem Dieb her, der spornstreichs davonrannte, und holte ihn ein. Das Brot hatte der Mann weggeworfen, aber sein Arm war noch ganz blutig. Es war Jean Valjean.

      Dies trug sich im Jahre 1795 zu. Jean Valjean wurde wegen nächtlichen Diebstahls mit Einbruch in bewohntem Hause vor Gericht gestellt. Er besaß ein Gewehr, das er trefflich zu brauchen verstand, denn er wilderte gern, was ihm jetzt großen Nachteil brachte. Gegen Wilddiebe besteht ein berechtigtes Vorurtheil. Der Wilddieb ist ebenso wie der Schmuggler, sehr nahe mit dem Räuber verwandt. Indessen trennt diese Leute noch eine weite Kluft von dem abscheulichen Mörder in den Städten. Der Wilddieb lebt im Walde, der Schmuggler im Gebirge oder auf dem Meere. In den Städten kann der Mensch in Folge der Sittenverderbniß blutdürstig werden; im Gebirge, auf dem Meere, im Walde wohl scheu und verschlossen, jedoch ohne stets alle Menschlichkeit abzustreifen.

      Jean Valjean wurde schuldig erklärt. Der Wortlaut des Strafgesetzbuches ließ keine mildernde Deutung zu. Unsre Civilisation hat furchtbare Strafen, diejenigen insbesondere, wo kraft eines Richterspruches eine menschliche Existenz Schiffbruch erleidet. Trauervoller Augenblick, wo die Gesellschaft sich abwendet und die nicht wieder gut zu machende Verstoßung eines denkenden Wesens vollzieht! Jean Valjean ward zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurtheilt.

      Am 22. April 1796 wurde in Paris der Sieg ausgerufen, den bei Montenotte der Obergeneral der in Italien kämpfenden Armee davon getragen, jener General, den die Botschaft des Direktoriums an den Rath der Fünfhundert Buona-Parte nennt; an demselben Tage wurde im Gefängniß Bicêtre eine große Kette Galeerensträflinge gebildet, in die auch Jean Valjean eingefügt wurde. Ein ehemaliger, jetzt neunzigjähriger Schließer entsinnt sich noch sehr gut jenes Unglücklichen, der in der Nordecke des Hofes angeschmiedet wurde. Er saß, wie alle Andern, auf der Erde. Er schien nicht zu begreifen, was mit ihm vorging; nur dessen wurde er inne, daß es etwas Schreckliches war. Vielleicht hob sich auch von all den unklaren Gedanken, die in seinem armen, unwissenden Hirn herumwirbelten, derjenige etwas deutlicher ab, daß die ihm angethane Grausamkeit alles Maß überschreite. Während ihm hinter dem Kopfe mit kräftigen Hammerschlägen der Bolzen seines Halseisens eingetrieben wurde, weinte er, weinte so heftig, daß es seine Worte erstickte und nur von Zeit zu Zeit stieß er hervor: »Ich war Baumputzer in Faverolles.« Dann hob er, während er weiter schluchzte, die rechte Hand in die Höhe und senkte sie, jedes Mal etwas tiefer wie vorher, als wenn er sie nacheinander auf sieben Kinder verschiedner Größe legen wollte, und aus diesen Handbewegungen schloß man, daß er nur gefehlt hatte, weil er für sieben Kinderchen Nahrung und Kleidung hatte beschaffen wollen.

      Er wurde nach Toulon geschickt, wo er nach einer siebenundzwanzigtägigen Reise, die Kette am Halse, auf einem Karren, eintraf. Hier wurde er in die rothe Jacke gesteckt, und sein ganzes Leben, einschließlich seines Namens, ausgelöscht: Er war nicht mehr Jean Valjean, sondern Nummer 24601. Was wurde aus der Schwester und den sieben Kindern? Wer fragt nach so etwas? Was wird aus den paar Blättern des Baumes, den die Säge von seiner Wurzel getrennt hat?

      Es ist immer dieselbe Geschichte, die armen Wesen, ihres Ernährers und Führers beraubt, gingen verloren auf dem Wege, auf dem die Menschheit einherwandert. Sie verließen ihre Heimat. Die Kirche, in der sie gebetet, das Feld, auf dem sie gespielt, vergaß sie; Jean Valjean selber vergaß sie nach einigen Jahren. Die Wunde in seinem Herzen vernarbte einfach. Kaum daß er während seiner ganzen Sträflingszeit ein einziges Mal von seiner Schwester Nachricht bekam. Dies geschah, wenn ich nicht irre, zu Ende des vierten Jahres seiner Gefangenschaft. Auf welchem Wege diese Botschaft zu ihm gelangte, weiß ich nicht mehr. Irgend Jemand, der sie beide gekannt hatte, war seiner Schwester begegnet. Sie wohnte in Paris, in einer armseligen Straße bei der Kirche Saint-Sulpice, in der Rue du Geindre. Sie hatte nur noch das jüngste Kind, einen Knaben bei sich. Wo die anderen waren, wußte sie wohl selber nicht. Alle Morgen ging sie in eine Druckerei in der Rue Sabot, wo sie als Falzerin und Hefterin beschäftigt war. Sie mußte um sechs Uhr Morgens da sein, noch ehe im Winter der Tag anbricht. In demselben Gebäude war eine Schule, wo sie jeden Tag ihren siebenjährigen Jungen hinbrachte. Da sie aber um sechs Uhr in die Druckerei mußte und die Schule erst um sieben geöffnet wurde, so wartete das Kind auf dem Hofe eine Stunde lang im Finstern und in der Kälte. In die Druckerei wollte man ihn nicht hereinlassen, weil er im Wege sei. Die Arbeiter sahen des Morgens das arme kleine Wesen, wie es kaum fähig die Augen aufzuhalten vor Müdigkeit, auf dem Pflaster saß, oder über seinen Korb gebeugt, in einer Ecke schlief. Wenn es regnete, erbarmte sich seiner die alte Portierfrau und ließ es herein in ihre armselige Wohnung, wo nur ein schlechtes Bett, ein Spinnrad und zwei Stühle standen. Da schlummerte das Kind in einer Ecke, dicht an die Katze geschmiegt, um nicht so zu frieren. Um sieben Uhr wurde die Schule aufgemacht, und der Kleine konnte hinein. Dies war es, was man Jean Valjean erzählte. Es war der einzige Blick, den er aus seinem Gefängniß auf das Schicksal seiner Lieben werfen durfte; dann hörte er nie wieder von ihnen sprechen.

      Gegen Ende des vierten Jahres wurde Jean Valjean die Gelegenheit geboten, zu entspringen. Seine Kameraden halfen ihm, wie dies in einem solchen Ort des Elends gewöhnlich ist. Er entkam und irrte zwei Tage lang frei umher – vorausgesetzt, daß man es Freiheit nennt, wenn Einer wie ein wildes Thier gehetzt wird, jeden Augenblick sich angstvoll umwendet, beim geringsten Geräusch zusammenschrickt, sich vor allem Möglichen fürchtet, vor einem rauchenden Schornstein, einem Menschen, der vorbeigeht, einem bellenden Hunde, einem galloppierenden Pferde, vor dem Stundenschlag der Kirchturmuhr, vor dem Tageslicht, weil er dabei gesehen werden kann, vor der Nacht, weil er dann nichts sieht, vor den Chausseen, den Wegen, den Gebüschen, vor dem Schlaf. Am СКАЧАТЬ