Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ schon bekannte Fremde, der Wandrer, den wir vorhin auf der Suche nach einem Obdach beobachtet haben.

      Er trat ein, that noch einen Schritt und blieb stehen, ohne die Thür hinter sich wieder zuzumachen. Den Tornister auf dem Rücken, den Stock in der Hand, das entschlossene grimmige Gesicht vom Kaminfeuer beleuchtet, war er eine furchtbare, unheimliche Erscheinung.

      Frau Magloire hatte nicht einmal so viel Kraft übrig, um laut aufzuschreien und stand wie angewurzelt mit offnem Munde da.

      Fräulein Baptistine hatte sich beim Eintritt des Vagabunden nach ihm umgewendet. Sie fuhr zusammen vor Schreck, wandte aber dann allmählich das Gesicht nach dem Kamin hin, wo ihr Bruder saß, und alsbald nahmen wieder ihre Züge die gewohnte Ruhe und Heiterkeit an.

      Der Bischof faßte den Ankömmling ruhig ins Auge.

      In dem Augenblick, als er den Mund aufthat, wohl um nach dem Begehr des Fremden zu fragen, stützte Dieser beide Hände auf seinen Stock, ließ seine Augen über den greisen Herrn und die beiden Frauen irren und sprach, ohne die Anrede des Bischofs abzuwarten, mit lauter Stimme:

      »Die Sache ist die. Ich heiße Jean Valjean. Ich bin ein ehemaliger Galeerensklave. Ich habe neunzehn Jahre im Bagno verlebt. Vor vier Tagen bin ich in Freiheit gesetzt worden und jetzt auf dem Wege nach Pontarlier, meinem Bestimmungsort. Vier Tage marschiere ich nun schon, von Toulon aus. Heute habe ich achtundvierzig Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Diesen Abend, wo ich in diesem Ort angekommen bin, habe ich in einem Gasthaus einkehren wollen, aber sie haben mich hinausgewiesen, von wegen meinem gelben Paß, den ich im Stadthaus vorgezeigt habe. Das mußte ich nämlich. Dann bin ich wieder in eine Herberge gegangen. Da hat's wieder geheißen: Raus mit Dir. Keiner hat mich haben wollen. Dann bin ich nach einem Gefängniß gegangen. Der Schließer hat mir nicht aufgemacht. Dann bin ich in eine Hundehütte gekrochen. Da ist der Hund gekommen, hat mich gebissen und mich weggejagt, gerade als wäre er ein Mensch. Es war als wüßte er, was für Einer ich bin. Dann bin ich querfeldein gegangen und wollte unter freiem Himmel übernachten. Der Himmel war aber nicht frei, er hing voll Wolken und ich dachte, es würde regnen, und einen Gott, der den Regen nicht herunterfallen läßt, mir zu Gefallen, giebt's ja doch nicht. Da bin ich wieder nach der Stadt zurückgegangen und wollte mir einen Thorweg suchen. Auf dem Platz hier habe ich mich auf eine Steinbank niedergelegt Da ist eine Frau gekommen, hat mir dies Haus gezeigt und hat gesagt: Klopfe mal da an. Das habe ich gethan. Was ist das für ein Haus? Eine Herberge? Ich habe Geld. Hundertneun Franken und fünfzehn Sous. Was ich mir in neunzehn Jahren, in meiner Sträflingszeit, mit meiner Arbeit verdient habe. Ich kann alles bezahlen. Mir soll's nicht drauf ankommen. Ich habe ja Geld. Ich bin sehr müde, achtundvierzig Kilometer, und hungrig. Darf ich hier bleiben?«

      »Frau Magloire,« sagte der Bischof, »noch ein Gedeck!«

      Der Vagabund trat drei Schritte, an die Lampe heran, die auf dem Tische stand. »So ist das nicht,« hob er wieder an, »Sie verstehen mich gewiß nicht. Ich bin ein Galeerensklave, ich komme aus dem Bagno.« Er zog ein großes gefaltetes Papier aus der Tasche. »Hier,« und er faltete es aus einander, »mein Paß. Ein gelber. Das hat den Zweck, daß ich überall, wo ich hingehe, weggejagt werde. Wollen Sie ihn lesen? Ich kann lesen. Ich hab's im Bagno gelernt. Da ist eine Schule, da können die hingehen, die's wollen. Da können Sie's lesen. »Jean Valjean, aus dem Gefängniß entlassener Sträfling, gebürtig aus ... Das ist Ihnen egal, ob Sie das wissen oder nicht ... ist neunzehn Jahre im Bagno gewesen. Fünf Jahre wegen Diebstahl mit Einbruch, vierzehn Jahre, weil er vier Mal hat entspringen wollen. Ein sehr gefährliches Subjekt.« So! nun wissen Sie's. Jedermann hat mich rausgeschmissen. Wollen Sie mich aufnehmen? Ist das hier eine Herberge? Kriege ich hier was zu essen und Unterkunft für die Nacht? Haben Sie einen Stall?«

      »Frau Magloire, beziehen Sie das Bett im Alkoven mit neuen Laken.«

      Wir haben schon auseinandergesetzt, wie die beiden Frauen zu gehorchen pflegten. Frau Magloire ging also hinaus, das zu thun, was ihr geheißen war.

      »Herr Valjean, nehmen Sie Platz und wärmen Sie Sich. Wir speisen sofort, und während der Essenszeit wird Ihr Bett zurecht gemacht.

      Jetzt begriff der Vagabund. Auf seinem bisher finstern und grimmigen Gesicht war plötzlich eine unsagbare Verwundrung, Zweifel, Freude zu lesen. Mit einer Ueberstürzung, als wäre er irrsinnig geworden, stieß er die Worte hervor:

      »Wahrhaftig! Sie behalten mich hier! Sie jagen mich nicht fort? Einen ehemaligen Sträfling? Sie sagen: Herr Valjean, nicht Du? Mach, daß Du fortkommst, Du Hund Du! So sagen sie immer zu mir. Ich glaubte wirklich, Sie würden mich rausjagen. Deswegen habe ich ja auch gleich gesagt, wer ich bin. Das ist mal eine gute Frau, die mich hierher gewiesen hat. Ich kriege was zu essen! Und ein Bett mit Matratze und Laken wie alle andern Leute! Ein Bett! Neunzehn Jahre habe ich in keinem Bett gelegen! Sie sagen nicht, daß ich wieder fortgehn soll. Ihr seid gute Leute. Aber ich habe Geld. Ich will alles richtig bezahlen. Verzeihung, Herr Gastwirt, wie heißen Sie? Ich bezahle, so viel Sie wollen. Sie sind ein braver Mann, Sie sind doch Gastwirt, nicht wahr?

      »Ich bin ein Priester, der hier wohnt.«

      »Ein Priester! Ein guter braver Priester! Dann verlangen Sie kein Geld von mir? Sie sind der Pfarrer von der großen Kirche da drüben? Nun natürlich! Jetzt erst sehe ich Dummkopf das Käppchen,«

      Während seiner Rede hatte er Tornister und Stock in eine Ecke gestellt, den Paß wieder eingesteckt und sich gesetzt. Fräulein Baptistine betrachtete ihn mit freundlichen Blicken. Er fuhr fort.

      »Sie sind menschlich, Herr Pfarrer, Sie haben keine Verachtung gegen mich. Wie gut das ist, so ein guter Priester! Also haben Sie's nicht nöthig, daß ich was bezahle?«

      »Nein! Behalten Sie Ihr Geld. Wieviel haben Sie? Sagten Sie nicht hundertneun Franken?«

      »Und fünfzehn Sous!«

      Hundertneun Franken und fünfzehn Sous. Und wieviel Zeit haben Sie gebraucht, das zu verdienen?«

      »Neunzehn Jahre!«

      »Neunzehn Jahre!«

      Der Bischof seufzte tief.

      Der Fremde fuhr fort. Ich habe noch mein ganzes Geld. Seit vier Tagen habe ich nur fünfundzwanzig Sous ausgegeben, und die habe ich in Grasse verdient. Da wurden Wagen abgeladen und dabei habe ich geholfen. Da Sie Abbé sind, so muß ich Ihnen sagen, wir hatten auch einen Geistlichen im Gefängniß. Und einmal habe ich auch einen Bischof zu sehen gekriegt. So Einer, den Sie Ew. Bischöfliche Gnaden nennen. Er war aus Marseille. Das ist ein Pfarrer, der über den andern Pfarrern ist. Entschuldigen Sie, ich drücke mich schlecht aus, aber was versteht Unser Einer von so was! – Er hat die Messe gelesen, mitten im Bagno, vor einem Altar, er trug ein spitzes goldnes Ding auf dem Kopf. Das glänzte mal im Sonnenlicht: Wir waren an drei Seiten aufgereiht, uns gegenüber die Kanonen mit angezündeter Lunte. Wir konnten nicht gut sehn, er war zu weit ab, da hinten. Und was er gesagt hat; verstand man auch nicht. Das ist ein Bischof.«

      Während er noch sprach, war der Bischof aufgestanden und hatte die offen gebliebne Thür zugemacht.

      In demselben Augenblick kam auch Frau Magloire mit dem Gedeck wieder zurück.

      »Möglichst nahe am Kamin!« befahl der Bischof. Und zu seinem Gast gewendet: »In der Nacht weht ein kalter Wind in den Alpen. Sie friert gewiß, Herr Valjean?«

      Jedes Mal, wenn er mit seiner freundlichen Stimme das höfliche »Herr« aussprach, leuchtete es auf in dem Gesicht des Unglücklichen. Der Klang dieses Wortes wirkt auf einen Sträfling, wie der Anblick eines Glases Wasser, das man einem Verdurstenden darreicht. Wer in der Schande steckt, lechzt nach Achtung.

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