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СКАЧАТЬ seines Volkes. Auch wenn er selbst ihm diese Bezeichnung niemals gegeben hätte, so änderte es nichts daran, dass diese Reise alles verändern würde. Seiner Heimat, seinem Leben musste er auf ewig den Rücken zukehren und auch wenn ihn das nicht allzu sehr schmerzte, so kam es ihm doch vor, als würde er seine tote Frau und seine Tochter verraten. Als würde er ihr Andenken schänden und sie verlassen, auch wenn er wusste, dass er die Erinnerung an sie überall hin mit sich tragen würde.

      Er fühlte sich wie ein steinerner Zeuge, der wieder lernen musste, zu gehen. Jeder Schritt schmerzte, jeder Atemzug schien seine verkrampfte Brust sprengen zu wollen. Die Freiheit, der sein Begleiter entgegen schritt, war für ihn unerreichbar. Dabei wusste er nicht, ob er sie wirklich erreichen wollte. Auch wenn es lediglich ein Fristen war, so wollte er sein altes Leben nicht hinter sich lassen. Die Erinnerung, die Liebe, die er in sich trug, wollte er nicht zurücklassen und die Trauer, die diesen anhaftete, hielt ihn gefangen. Dennoch strebten seine Beine neben dem Zwerg her und dem Tageslicht entgegen. Die Freude darüber wollte sich ihm nicht zeigen und nicht einmal eine Erleichterung, dass er diesen tristen, beängstigenden Ort verlassen würde, wollte ihn erfüllen. Er war leer. Leerer noch als am Morgen, da er seine Arbeit aufnehmen sollte. Es war als wäre er die ganze Zeit geflohen und nun müsste er sich eingestehen, dass er nicht vor sich fliehen konnte, und gab es auf zu laufen. Es war wie ein ferner Traum und so ließ er sich treiben. Ziellos wie ein in den Fluss gefallener Zweig und so schwer wie ein sinkender Stein, der in tiefer Trauer zu ertrinken drohte.

      „Willst du mich nicht führen, mein hochgewachsener Freund?“, meinte Almar in einem sorglosen Ton, als wisse er nicht, dass er soeben dem Tod ein weiteres Mal entronnen war und sich auf der Flucht befand.

      Wie zuvor brauchte der Handwerker eine Weile bis er aus seinen Gedanken aufwachte und die Frage des Zwerges ihn erreichte. Seine übliche, verwunderte Miene, verzog sich zu einem leicht beschämten Ausdruck völliger Ratlosigkeit.

      „Ehrlich gesagt sind wir zu tief in den Gängen. Hier kenne ich mich nicht aus. Tut mir leid, aber wir werden den Weg schon finden. Einfach immer bergauf.“ Mit bescheidenem Erfolg versuchte sich Tibur an einem zuversichtlichen Lächeln.

      „Und ob wir den finden!“ Almar lachte belustigt. „Ich hatte nur gedacht, nachdem du gute vier Wochen lang hier jeden Tag hinuntergekommen bist, würdest du den Weg kennen.“ Der Zwerg klang belustigt über die Vorstellung wie wenig sich sein neu gewonnener Freund in seiner eigenen Heimatstätte auskannte.

      „Ich kenne allerdings den Weg nur bis dorthin, wo wir uns das erste Mal begegnet waren“, sprach der Zwerg weiter, als er merkte, dass ihm Tibur nichts entgegnen wollte. „Das sollte wohl reichen, damit wir hier herausfinden“, gab sich der Zwerg völlig unbesorgt und versuchte Tibur mit seiner Unbeschwertheit anzustecken. Doch er musste alsbald merken, dass es ihm nicht gelingen wollte. Dort wo der Steinmetz weilte, war er zu fern von allem, als dass die Zuversicht des Zwerges ihn erreichen konnte.

      „Das wird es wohl“, entgegnete Tibur tonlos und sein gealtertes Gesicht verzog sich zu einem gutmütigen Lächeln als wollte er dem Zwerg zeigen, dass dieser sich nicht um ihn zu sorgen brauchte.

      So gerne der auflebende Zwerg es glauben wollte, so ließ er sich doch nicht von den bescheidenen Täuschungsversuchen über­zeugen. Doch noch sah er keinen Weg, sich für seine Befreiung zu bedanken und seinem Freund – er war gerne bereit den an sich fremden Menschen als solchen zu bezeichnen – seine Hilfe darzubieten. So blieb ihm nichts anderes übrig, als vorerst den Weg aus diesem Tunnellabyrinth zu suchen. Er konnte sich noch an jede Windung, jede Abzweigung des Ganges erinnern, durch den die Hünen ihn in sein Verlies gebracht hatten. Nicht nur weil sie es für unnötig gehalten hatten, ihm die Augen zu verbinden, konnte er jeden Stein wiedererkennen. Viel genützt hätte es ohnehin nicht, denn er war ein Kind der Erde. Sein Leben lang hatte er unter der Erde zugebracht und immer waren es steinerne Gänge gewesen, die seine Wege umschlungen hatten. So wie einer der im Wald aufwächst sich nie in einem solchen verlaufen könnte, so tat es auch niemals ein Zwerg, wenn er sich im Schoß seiner geliebten Mutter Erde befand. Jeder Gang hatte seinen eigenen unverwechselbaren Geruch. Nicht nur die feuchte Luft, die den Duft des Steines in sich trug, verriet ihm, wo sie dran waren. Sicherlich – im Vergleich zu seiner Heimatsstätte – war der Geruch von abgestandenem Wasser an diesem Ort wahrlich einnehmend, und doch waren es andere Gerüche, die Almar leiteten. So wie die Stimmen des Waldes fast, so sprach der Stein zu ihm. Nicht mit Worten, nicht einmal wirklich hörbar und doch so, dass sich der Zwerg der Geschichte des Berges nicht entziehen konnte. Die Feuchtigkeit trug diese Gerüche nur noch deutlicher aus dem Felsen heraus. Es waren die Adern des Berges, die Almar unwiderstehlich wahrnahm. Erze, Steine, Salze und unzählige andere Elemente und Verbindungen malten ihr eigenes Bild im wachen Geist des Zwerges, der nicht blind, nicht taub und unachtsam für die Erzählungen des ihn umgebenden Felses war. Jeder Gang verriet ihm seine Geheimnisse. Nicht nur, dass er bemüht sein sollte, den Weg zu finden, so ärgerte er sich zudem mit welch Unverstand die Menschen ihre Gänge in den Felsen gebissen hatten. Er roch förmlich die blinde Wut, mit der sie gegen seine Mutter Erde vorgegangen waren. Nicht nur die vielen ächzenden Stützen waren bleibende Spuren die er deutlich lesen konnte. Die Menschen hatten sich in dem Felsen festgebissen, ohne von ihrem Willen abzuweichen, hatten sie sich durch die festen Schichten gekämpft, anstatt – so wie es die Zwerge stets taten – der Stimme des Gesteins zu lauschen und sich von ihm den Weg in die Tiefe zeigen zu lassen.

       Obwohl die Gänge der Zwerge deutlich großzügiger waren – auch wenn es wegen ihrer bescheideneren Größe nicht nötig wäre –, so ließen sie dem Berg dennoch sein hartes Gestein, um die zahlreichen Gänge tragen zu können. Hier aber erkannte der Zwerg wieder einmal die Unfähigkeit der Menschen nachzugeben. Selbst wenn es zu ihrem Nutzen gewesen wäre. Aber die Menschen – wie es ihnen ihre Königin immer predigte – waren weder bereit zu teilen, noch sich anzupassen. Sie wollten herrschen. Nicht nur über ihr Reich, nein, auch über die Natur und alle Wesen, die dort lebten. Doch man konnte die Erde, die Natur vielleicht bekämpfen, wenn man denn wirklich so blind und dumm sein wollte, man könnte sie sogar in den Niedergang treiben, aber siegen könnte man nicht. Es war einfach kein Kampf, selbst wenn die Menschen es so sehen wollten. Aber es würde mit dem eigenen Untergang enden. Während der Zwerg weiter dem Pfad unter der Erde folgte, schürte sich erneut seine Wut gegen das Volk der Menschen und er wusste, dass diese sich viele Feinde machten. Mit leicht betrübter Miene beäugte er von Zeit zu Zeit den armselig neben ihm her schreitenden Menschen. Seltsam war für ihn, dass obwohl all diese Wut in ihm aufstieg, er nicht anders konnte, als Mitleid für seinen Weggefährten zu empfinden. Er fragte sich, ob er ihm alles erzählen sollte, was er wusste. Doch er entschied sich dagegen, da die Last, die Tibur mit sich schleppte, groß genug war. Vielleicht würde der Krieg, der schon bald heraufziehen würde, diesen weit weniger berühren, als Almar es sich vorstellen konnte. Denn wie hatte Tibur gesagt: Er wolle die Freiheit nicht, weil er sie nicht mehr verlieren können wollte. Das war nicht sein Krieg, auch wenn er mit jenem den Weg teilte, der ihn in sein Land bringen konnte. Almar würde seiner Königin berichten, was er zu berichten hatte. Mehr lag nicht in seiner Macht. Die Königin würde die Entscheidung treffen. Aber er ahnte bereits, wie sie lauten würde. Dieses Wissen ließ seine Schritte schwerer werden, als er es je für möglich gehalten hatte.

      Tibur merkte nicht wie die zahllosen ineinander mündenden Gänge sie beide fortwährend höher trugen. Er schritt so selbst­verständlich, so teilnahmslos neben dem Zwerg her, wie in den Tagen zuvor hinter den Wächtern. Seine Gedanken waren aber noch mehr aufgewühlt und ungeordnet. Er wusste, dass er hier herauswollte, schließlich hatte er seit Tagen und Wochen den Moment herbeigesehnt, da er nicht mehr hier hinunter musste, und doch war er für jeden Schritt dankbar, den er noch in dieser abgeschiedenen Dunkelheit weilen konnte. Nur das flackernde Licht, das sie mit sich trugen und die scheinbar unbeschwerten Worte des Zwerges begleiteten ihn. Es schien als könnte der Zwerg – nun da er zu sprechen angefangen hatte – nicht mehr schweigen.

      Aber Tibur störte es wenig. Es hatte etwas Beruhigendes an sich. Der Zwerg bedrängte ihn nicht, forderte nicht seine Aufmerk­sam­keit, sondern begleitete СКАЧАТЬ