Mein Leben und Streben. Karl May
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mein Leben und Streben - Karl May страница 5

Название: Mein Leben und Streben

Автор: Karl May

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754175415

isbn:

СКАЧАТЬ mußte durch Messerschnitte nach den Lippen suchen, um der Kranken wenigstens ein wenig Milch einflößen zu können. Sie lebt heute noch, ist die heiterste von uns allen und niemals wieder krank gewesen. Man sieht noch jetzt die Narben, die ihr der Arzt geschnitten hat, als er nach dem Mund suchte.

      Diese schwere Zeit war, als Mutter wieder kam, noch nicht ganz vorüber, mir aber brachte ihr Aufenthalt in Dresden großes Glück. Sie hatte sich durch ihren Fleiß und ihr stilles, tiefernstes Wesen das Wohlwollen der beiden Professoren Grenzer und Haase erworben und ihnen von mir, ihrem elenden, erblindeten und seelisch doch so regsamen Knaben erzählt. Sie war aufgefordert worden, mich nach Dresden zu bringen, um von den beiden Herren behandelt zu werden. Das geschah nun jetzt, und zwar mit ganz überraschendem Erfolge. Ich lernte sehen und kehrte, auch im übrigen gesundend, heim. Aber das Alles hatte große, große Opfer gefordert, freilich nur für unsere armen Verhältnisse groß. Wir mußten um all der nötigen Ausgaben willen das Haus verkaufen, und das wenige, was von dem Kaufpreise unser war, reichte kaum zu, das Nötigste zu decken. Wir zogen zur Miete. — —

      Und nun zu der Person, die in seelischer Beziehung den tiefsten und größten Einfluß auf meine Entwicklung ausgeübt hat. Während die Mutter unserer Mutter in Hohenstein geboren war und darum von uns die "Hohensteiner Großmutter" genannt wurde, stammte die Mutter meines Vaters aus Ernsttal und mußte sich darum als "Ernsttaler Großmutter" bezeichnen lassen. Diese Letztere war ein ganz eigenartiges, tiefgründiges, edles und, fast möchte ich sagen, geheimnisvolles Wesen. Sie war mir von Jugend auf ein herzliebes, beglückendes Rätsel, aus dessen Tiefen ich schöpfen durfte, ohne es jemals ausschöpfen zu können. Woher hatte sie das Alles? Sehr einfach: Sie war Seele, nichts als Seele, und die heutige Psychologie weiß, was das zu bedeuten hat. Sie war in der tiefsten Not geboren und im tiefsten Leide aufgewachsen; darum sah sie Alles mit hoffenden, sich nach Erlösung sehnenden Augen an. Und wer in der richtigen Weise zu hoffen und zu glauben vermag, der hat den Erdenjammer hinter sich geschoben und vor sich nur noch Sonnenschein und Gottesfrieden liegen. Sie war die Tochter bitter armer Leute, hatte die Mutter früh verloren und einen Vater zu ernähren, der weder stehen noch liegen konnte und bis zu seinem Tode viele Jahre lang an einen alten, ledernen Lehnstuhl gefesselt und gebunden war. Sie pflegte ihn mit unendlicher, zu Tränen rührender Aufopferung. Die Armut erlaubte ihr nur das billigste Wohnen. Das Fenster ihrer Stube zeigte nur den Gottesacker, weiter nichts. Sie kannte alle Gräber, und sie bedachte für sich und ihren Vater nur den einen Weg, aus ihrer dürftigen Sterbekammer im Sarge nach dem Kirchhofe hinüber. Sie hatte einen Geliebten, der es brav und ehrlich mit ihr meinte; aber sie verzichtete. Sie wollte nur ganz allein dem Vater gehören, und der brave Bursche gab ihr Recht. Er sagte nichts, aber er wartete und blieb ihr treu.

      Droben auf dem Oberboden stand eine alte Kiste mit noch älteren Büchern. Das waren in Leder gebundene Erbstücke verschiedenen Inhaltes, sowohl geistlich als auch weltlich. Es ging die Sage, daß es in der Familie, als sie noch wohlhabend war, Geistliche, Gelehrte und weitgereiste Herren gegeben habe, an welche diese Bücher noch heut erinnerten. Vater und Tochter konnten lesen; sie hatten es beide von selbst gelernt. Des Abends, nach des Tages Last und Arbeit, wurde das Reifröckchen *) angebrannt, und eines von Beiden las vor. In den Pausen wurde das Gelesene besprochen. Man hatte die Bücher nahe schon zwanzigmal durch, fing aber immer wieder von vorn an, weil sich dann immer neue Gedanken fanden, die besser, schöner und auch richtiger zu sein schienen als die früheren. Am meisten gelesen wurde ein ziemlich großer und schon sehr abgegriffener Band, dessen Titel lautete:

      Der Hakawati

      d.i.

      der Märchenerzähler in Asia, Africa, Turkia, Arabia,

       Persia und India sampt eyn Anhang mit Deytung,

       explanatio und interpretatio auch viele Vergleychung

       und Figürlich seyn

      von

       Christianus Kretzschmann

       der aus Germania war.

       Gedruckt von Wilhelmus Candidus

       A. D: M. D. C. V.

      ~ ~ ~

      *) Kleines Oellämpchen.

      Dieses Buch enthielt eine Menge bedeutungsvoller orientalischer Märchen, die sich bisher in keiner andern Märchensammlung befanden. Großmutter kannte diese Märchen alle. Sie erzählte sie gewöhnlich wörtlich gleichlautend; aber in gewissen Fällen, in denen sie es für nötig hielt, gab sie Aenderungen und Anwendungen, aus denen zu ersehen war, daß sie den Geist dessen, was sie erzählte, sehr wohl kannte und ihn genau wirken ließ. Ihr Lieblingsmärchen war das Märchen von Sitara; es wurde später auch das meinige, weil es die Geographie und Ethnologie unserer Erde und ihrer Bewohner rein ethisch behandelt. Doch dies hier nur, um anzudeuten.

      Der Vater starb infolge einer Reihe von Blutstürzen. Die Pflege war so anstrengend, daß auch die Tochter dem Tode nahe kam, doch überstand sie es. Nach verflossener Trauerzeit kam May, der treue Geliebte, und führte sie heim. Nun endlich, endlich wirklich glücklich! Es war eine Ehe, wie Gott sie will. Zwei Kinder wurden geboren, mein Vater und vor ihm eine Schwester, welche später einen schweren Fall tat und an den Folgen desselben verkrüppelte. Man sieht, daß es an Heimsuchungen, oder sagen wir Prüfungen, bei uns nicht fehlte. Und ebenso sieht man, daß ich nichts verschweige. Es darf nicht meine Absicht sein, das Häßliche schön zu malen. Aber kurz nach der Geburt des zweiten Kindes trat jenes unglückliche Weihnachtsereignis ein, welches ich bereits erzählte. Der brave junge Mann stürzte des Nachts mit den Broten in die tiefe Schneeschlucht und erfror. Großmutter hatte mit ihren beiden Kindern an den Christtagen nichts zu essen und erfuhr erst nach langer Zeit der Qual, daß und in welch schrecklicher Weise sie den geliebten Mann verloren hatte. Hierauf kamen Jahre der Trauer und dann die schwere Zeit der napoleonischen Kriege und der Hungersnot. Es war Alles verwüstet. Es gab nirgends Arbeit. Die Teuerung wuchs; der Hunger wütete. Ein armer Handwerksbursche kam, um zu betteln. Großmutter konnte ihm nichts geben. Sie hatte für sich und ihre Kinder selbst keinen einzigen Bissen Brot. Er sah ihr stilles Weinen. Das erbarmte ihn. Er ging fort und kam nach über einer Stunde wieder. Er schüttete vor ihr aus, was er bekommen hatte, Stücke Brot, ein Dutzend Kartoffeln, eine Kohlrübe, einen kleinen, sehr ehrwürdigen Käse, eine Düte [sic] Mehl, eine Düte [sic] Graupen, ein Scheibchen Wurst und ein winziges Eckchen Hammeltalg. Dann ging er schnell fort, um sich ihrem Dank zu entziehen. Sie hat ihn nie wieder gesehen; Einer aber kennt ihn gewiß und wird es ihm nicht vergessen. Dieser Eine schickte auch noch andere, bessere Hilfe. Einem abseits wohnenden Oberförster, den man als ebenso wohlhabend, wie edeldenkend kannte, war die Frau gestorben. Sie hatte ihm eine sehr reichliche Anzahl Kinder hinterlassen. Er wünschte Großmutter zur Führung seiner Wirtschaft zu haben. Sie hätte in dieser Zeit der Not nur zu gern eingewilligt, erklärte aber, sich von ihren eigenen Kindern unmöglich trennen zu können, selbst wenn sie einen Platz, sie unterzubringen, hätte. Der brave Mann besann sich nicht lange. Er erklärte ihr, es sei ihm gleich, ob sechs oder acht Kinder bei ihm äßen; sie würden alle satt. Sie solle nur kommen, doch nicht ohne sie, sondern mit ihnen. Das war Rettung in der höchsten Not!

      Der Aufenthalt in dem stillen, einsamen Forsthause tat der Mutter und den Kindern wohl. Sie gesundeten und erstarkten in der besseren Ernährung. Der Oberförster sah, wie Großmutter sich abmühte, ihm dankbar zu sein und seine Zufriedenheit zu erringen. Sie arbeitete fast über ihre Kraft, fühlte sich aber wohl dabei. Er beobachtete das im Stillen und belohnte sie dadurch, daß er ihren Kindern in jeder Beziehung dasselbe gewährte, was die seinen bekamen. Freilich war er Aristokrat und eigentlich stolz. Er aß mit seiner Schwiegermutter allein. Großmutter war nur Dienstbote, doch aß sie nicht in der Gesinde- sondern mit in der Kinderstube. Als er aber nach längerer Zeit einen Einblick in ihr eigenartiges Seelenleben erhielt, nahm er sich ihrer auch in innerer Beziehung an. Er erleichterte ihr die große Arbeitslast, erlaubte ihr, ihm und seiner Schwiegermutter des Abends aus ihren Büchern vorzulesen, СКАЧАТЬ