Название: Spaziergang zum Dschungelkönig. Reisestories aus vier Kontinenten
Автор: Kai Althoetmar
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
isbn: 9783752914528
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Der ganze Suchtrupp rennt in die Richtung, aus der der Schuß kam. Die drei Frauen strahlen in Erwartung voller Kochtöpfe. Nach etwa fünfhundert Metern finden wir den Jäger. Er stiert auf den Boden. Das Wild ist angeschossen entkommen. Wir folgen der Blutspur und den Hufabdrücken. Immer wieder verliert sich die Spur im Buschgras, immer wieder entdeckt der Fährtenleser neue Tropfen Blut. Aber wir drehen uns im Kreise, verlieren den Jäger erneut aus den Augen. Fast eine Stunde des Suchens und Herumirrens vergeht.
Plötzlich ein zweiter Schuß. Erneuter Galopp durch die Savanne. Minuten später stehen wir schweißnaß am Ort des Geschehens: der zweite Schuß aus dem alten englischen Jagdgewehr saß besser. Unter einem Baum krümmt sich ein ausgewachsener Grant-Gazellenbock waidwund auf dem Boden, streckt alle Viere zur Seite, die Augen drücken Todesangst und Todeskampf aus. Der Jäger steht regungslos daneben. Kein Gnadenschuß - es könnte die Polizei endgültig alarmieren, und Munition ist sowieso kostbar.
Der Bock, in der Seite und am Hals getroffen, zuckt und zappelt noch, er röchelt nicht, er schreit geradezu. Vergeblich versucht er sich aufzurichten. Mit seinen spießartigen Hörnern könnte er jeden von uns schwer verletzen, wenn nicht gar mit ins Jenseits nehmen. Minuten vergehen, bis der Jäger das Tier mit beiden Händen am Gehörn packt und durch das Savannengras zu einem rasch aufgeschichteten Haufen abgeschnittener Zweige schleift. Er beginnt es zu schächten. Mit dem Buschmesser fährt er in den Rumpf der Gazelle, bis hin zu den Geschlechtsteilen. Noch immer ist der Bock nicht tot. Jetzt nimmt auch der Fährtenleser sein Messer und schneidet dem Tier die Kehle durch. Das Zucken hat ein Ende.
***
Staub wirbelt auf, johlend jagen die Jungen auf dem Schulhof einem mit Kordel zusammengehaltenen Lumpenklumpen nach - dem Fußball. Die Mädchen stehen abseits. Pause an der Internats- und Dorfschule von Longido, dem mit 25 Beschäftigten größtem Arbeitgeber im Ort. Die fast fünfzig Schüler der siebten Klasse strömen in die Baracke. Geschichtsstunde. Auf dem Lehrplan steht der Erste Weltkrieg. Amossy Ngereza doziert über General Paul von Lettow-Vorbeck und den Krieg im damaligen Deutsch-Ostafrika, die 100.000 Toten, die der deutsche Ostafrika-Feldzug hinterließ, den Sieg der Briten 1918 und die Hungersnöte nach dem Krieg.
Der 42jährige Lehrer für Swahili, Erdkunde und Geschichte schreibt nichts an die Tafel, schaut in kein Buch und kein Manuskript. Er ist blind. Den Schülern diktiert er Verlauf und Folgen des Krieges in Stichworten, aber die wenigsten schreiben mit. Es fehlt an Schreibheften, eine Welt- oder Geschichtskarte gibt es auch nicht. Die Geschichte Europas wird in Longido neu geschrieben. Während des Ersten Weltkriegs, so lernen die Schüler, sei Bismarck deutscher Reichskanzler gewesen, und außer Großbritannien habe das deutsche Kaiserreich keine Kriegsgegner gehabt.
Amossy ermuntert die Klasse, den Gästen aus Deutschland Fragen zu stellen. Erst traut sich niemand. Dann halb geflüsterte Wortmeldungen: Leben in Deutschland auch so viele Bauern und Hirten wie in Longido? Ist es flach oder bergig in Europa? Gibt es Löwen in Deutschland?
***
In Minutenschnelle zieht der Jäger der Grant-Gazelle das braun-weiße Fell ab. Den Kopf hackt er mit dem Buschmesser vom Rumpf ab, Darm und Magen des Tieres werden aufgeritzt und entleert. Ich sichte derweil den Horizont. Vorläufig sind keine vierbeinigen Grasverächter zu sehen. Es stinkt nach Blut, Gedärmen und unverdautem Savannengras. Die anderen beginnen die Nieren der Gazelle roh zu essen, brechen die schlanken Beine des Bocks mit bloßen Händen entzwei und pulen mit Stöckchen das nahrhafte Knochenmark heraus.
Nach dem Stehimbiß wird die Beute zerlegt. Es ist bald sechs Uhr. Wann kreuzen die ersten Hyänen, die wenig furchtsamen Gesundheitspolizisten der Savanne, am Tatort auf? „We're not afraid of hyenas“, meint Daniel trocken. Fast jeden Abend ist das eigenartige Kichern der Hyänen in Longido zu hören, die Löwen halten etwas mehr Abstand zu ihren Erzfeinden, den Massai.
Die Getreidesäcke sind voll blutiger Brocken Gazellenfleisch. Fünfzig bis sechzig Kilo dürfte die Ausbeute wiegen. Die Frauen schleppen am schwersten. Nur der Kopf der Gazelle samt Hörnern, der Magen- und Darminhalt und ein großer Blutfleck bleiben am Schlachtplatz zurück. Es dämmert. Am Äquator ist die Dämmerstunde kurz. Zwei, drei Kilometer legen wir raschen Schrittes zurück. Der Mount Longido ist unser Kompaß. Jetzt könnte ruhig der Fernseh-Daktari mit seinem Landrover aufkreuzen und uns nach Hause fahren. Aber von Ferne ist schon Ziegengemecker zu hören. Im Dunkeln erreichen wir die Nationalstraße. Nervöse Blicke nach links und rechts. Es ist aber kein Auto in Sicht, Polizei schon gar nicht.
Später erfahre ich, daß vor wenigen Tagen aus einem Viehpferch vor unserem Haus ein Kalb gerissen worden ist, vermutlich von einem der Leoparden, die den Mount Longido unsicher machen. Wer nicht hungern will, der wildert.
***
Jahre später. Esto ist längst tot. Unter der Schirmakazie, wo die Ziegelsteine gepreßt wurden, liegt er begraben. Noch lange hat er sich auf der Ladefläche seines Toyota-Pickups herumchauffieren lassen, um seine Projekte in Longido voranzutreiben. Unermüdlich suchte er Sponsoren, Spender, Helfer. Am Dorfeingang steht sein Erbe. Das Community Center - ein unauffälliges Informationszentrum über die Massai, ihre Nomadenkultur und das langsame Verschwinden ihrer Lebensweise. Ein paar junge Einheimische bieten Schmuck und Souvenirs für Touristen an: Kalebassen, ausgehöhlte und getrocknete Flaschenkürbisse, bunte Perlenketten und anderen Massai-Schmuck. Und Lehrwanderungen zu den bomas. Ausflüge zu den traditionellen Massai, Ausflüge in eine Welt von gestern.
Kerzen für den Teufel
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