Martin Eden: Vollständige deutsche Ausgabe. Jack London
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Название: Martin Eden: Vollständige deutsche Ausgabe

Автор: Jack London

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173213

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СКАЧАТЬ Abgrund zwischen ihnen wurde größer als je bei dem Gedanken, daß es Menschen gab, die nie für ihr Brot hatten arbeiten müssen. Er sah plötzlich den Adel des Menschen, der nie arbeitete. Wie eine Bronzestatue ragte er vor ihm auf, hochmütig und mächtig. Er selbst hatte gearbeitet; seine ersten Erinnerungen schon schienen mit Arbeit verknüpft zu sein. Und seine ganze Familie hatte gearbeitet. Gertrude zum Beispiel! Waren ihre Hände nicht hart von der endlosen Hausarbeit, so waren sie von der Wäsche geschwollen und rot wie Rindfleisch. Und seine Schwester Marian! Sie hatte letzten Sommer in der Konservenfabrik gearbeitet, und ihre hübschen, schmalen Hände waren über und über mit Narben von den Tomatenmessern bedeckt. Dazu hatte sie im Winter zuvor zwei Fingerspitzen durch die Schneidemaschine in der Tütenfabrik verloren. Er gedachte der harten Hände seiner Mutter, als sie im Sarge lag. Und sein Vater hatte bis zum allerletzten Atemzug gearbeitet, und als er starb, war die Hornhaut an seinen Händen wohl einen halben Zoll dick gewesen. Ihre Hände waren weich, ebenso wie die Hände ihrer Mutter und ihrer Brüder. Dieses letzte kam ihm wie ein Überfall, es zeigte so furchtbar deutlich die Hoheit ihrer Kaste und den ungeheuren Abstand zwischen ihr und ihm.

      Mit einem bitteren Lachen ließ er sich auf das Bett fallen und zog sich die Schuhe aus. Er war ein Narr. Er hatte sich von dem Gesicht und den weißen, weichen Händen einer Frau berauschen lassen. Und plötzlich erschien ein neues Bild auf der schmutzigen geweißten Wand. Er sah sich selbst vor einer düsteren Mietskaserne stehen. Es war eine Nacht im Osten Londons, und vor ihm stand Margey, eine kleine Fabrikarbeiterin von fünfzehn Jahren. Er hatte sie nach dem »Bohnenfest« heimbegleitet. Sie wohnte in dem finsteren Gebäude, das selbst als Schweinekoben zu schlecht war. Er reichte ihr die Hand zum Abschied, und sie hob ihm den Mund entgegen, damit er sie küßte. Aber er wollte sie nicht küssen. Er fürchtete sich irgendwie vor ihr. Da aber schloß sich ihre Hand mit fieberhaftem Druck über der seinen, er fühlte, wie ihre Schwielen gegen die seinen rieben, und eine Woge innigen Mitleids wallte ihn ihm auf. Er sah den sehnsüchtigen, hungrigen Ausdruck in ihren Augen, und wie die kleine, unterernährte Gestalt aus ihrer Kindlichkeit wild und gehetzt zur Reife drängte. Da schlang er mit unendlicher Nachsicht die Arme um sie, beugte sich zu ihr hinab und küßte sie auf den Mund. Er hörte noch den kleinen Freudenschrei, den sie ausstieß, und er fühlte, wie sie sich wie eine Katze an ihn klammerte. Arme, verkümmerte Kleine! Er starrte weiter auf die Vision dessen, was vor langer, langer Zeit geschehen war. Das Blut rollte schneller durch seine Adern, wie es in jener Nacht getan, als sie sich an ihn klammerte und sein Herz vor Mitleid schwoll. Es war ein graues Bild, schmutziggrau, und trübe rieselte der Regen auf die Pflastersteine. Dann aber erstrahlte die Wand in Glorie, das Bild verschwand, und statt seiner leuchtete IHR blasses Antlitz unter der goldenen Haarkrone, fern und unerreichbar wie ein Stern.

      Er nahm den Browning und den Swinburne vom Stuhl und küßte die Bücher. Trotzdem hat sie mich aufgefordert, wiederzukommen, dachte er. Wieder warf er einen Blick in den Spiegel und sagte dann laut, mit tiefem Ernst:

      »Martin Eden, gleich morgen früh gehst du in die Volksbibliothek und liest darüber nach, wie man sich zu benehmen hat. Verstanden?«

      Er drehte das Gas aus, und die Federn kreischten unter seinem Gewicht.

      »Aber du darfst nicht mehr fluchen, Martin. Hörst du, Alter, du darfst nicht mehr fluchen«, sagte er laut.

      Dann schlief er ein und hatte Träume, die sich an Kühnheit nur mit den Träumen eines Opiumrauchers messen konnten.

      Fünftes Kapitel

      Am nächsten Morgen erwachte er aus seinen rosigen Träumen in einer dampfigen Luft, die nach Seifenlauge und schmutziger Wäsche roch und von den schreienden Disharmonien eines zerquälten Lebens vibrierte. Als er sein Zimmer verließ, hörte er Wasserplätschern, scharfes Schelten und eine schallende Backpfeife: seine Schwester ließ ihren Ärger an einem ihrer vielen Kinder aus. Das Schreien des Kindes durchbohrte ihn wie ein Messer. Er war sich bewußt, daß das alles, ja selbst die Luft, die er atmete, niedrig und widerwärtig war. Wie anders, dachte er, ist doch die Atmosphäre von Schönheit und Ruhe in dem Heim, das Ruth bewohnt. Dort ist alles Geist, hier alles Materie, elende Materie.

      »Komm her, Alfred!« rief er dem weinenden Kinde zu und griff gleichzeitig in die Hosentasche, wo er sein Geld lose mit sich trug, großzügig und sorglos, wie er immer und überall im Leben war. Er drückte dem kleinen Burschen ein Fünfundzwanzig-Cent-Stück in die Hand und hielt ihn einen Augenblick in seinen Armen, bis er aufhörte zu schluchzen. »So, jetzt läufst du hin und kaufst dir Malzbonbons, und gib deinen Geschwistern auch etwas ab. Aber paß auf, daß du die kriegst, von denen man am längsten etwas hat.«

      Seine Schwester hob das gerötete Gesicht vom Waschzuber und sah ihn an.

      »Zehn Cent wären auch genug gewesen«, sagte sie. »Aber das sieht dir ähnlich, keine Ahnung vom Wert des Geldes. Das Kind überfrißt sich ja nur.«

      »Laß nur, Trudel!« sagte er gutmütig, »um mein Geld kümmere ich mich schon selbst. Wenn du nicht so viel zu tun hättest, würde ich dir einen Gutenmorgenkuß geben.«

      Er wäre gern liebevoll zu seiner Schwester gewesen, die gut war und ihn, wie er wußte, auf ihre Art liebte. Aber sie wurde gleichsam mit den Jahren immer weniger sie selbst und immer schwerer zu verstehen. Die harte Arbeit, die vielen Kinder und das ewige Genörgel des Mannes hatten sie verändert, dachte er. Ihm schien plötzlich, als werde ihr ganzes Wesen von welkem Gemüse, dampfender Seifenlauge und dem schmutzigen Kleingeld geprägt, das sie am Ladentisch kassierte.

      »Pack dich und iß dein Frühstück«, sagte sie barsch, obwohl sie sich innerlich über seine Bemerkung freute, denn von dem ganzen Nomadenstamm der Brüder war er immer ihr Liebling gewesen.

      »Ich möchte wirklich einen Kuß von dir«, sagte sie in einer plötzlichen Herzensregung.

      Mit Daumen und Zeigefinger strich sie sich den tropfenden Seifenschaum zuerst vom einen Arm und dann vom andern. Er legte die Arme um ihren plumpen Leib und küßte ihre naßkalten Lippen. Sie bekam Tränen in die Augen, nicht weil sie soviel dabei fühlte, sondern weil sie von der ewigen Überanstrengung geschwächt war. Sie schob ihn von sich, aber er hatte ihre tränenfeuchten Augen noch gesehen.

      »Nimm dir selbst das Essen aus den Ofen«, sagte sie hastig. »Jim wird jetzt auch aufgestanden sein. Ich mußte wegen der Wäsche so früh heraus. Aber mach, daß du so bald wie möglich aus dem Hause kommst. Tom ist gegangen, und kein anderer kann den Wagen fahren als Bernard. Das wird kein guter Tag heute.«

      Martin ging schweren Herzens in die Küche, während das Bild ihres roten Gesichtes und ihrer vernachlässigten Gestalt sich wie ätzende Säure in sein Hirn fraß. Sie könnte ihn vielleicht lieben, wenn sie nur Zeit dazu hätte, sagte er sich. Aber sie arbeitete sich tot. Bernard Higginbotham war ein Schuft, daß er seine Frau sich so abrackern ließ. Andererseits jedoch fühlte er, daß nichts Schönes in dem Kuß gewesen war. Es war richtig, es war an sich etwas Ungewöhnliches. Seit vielen Jahren hatten sie sich nur geküßt, wenn er von einer Fahrt kam oder auf Fahrt ging. Aber der Kuß hatte nach Seifenschaum geschmeckt, und er hatte bemerkt, daß ihre Lippen seltsam schlaff waren. Es war kein frischer, kräftiger Druck von Lippe zu Lippe gewesen, wie ein Kuß sein sollte, es war der Kuß einer müden Frau, die so lange müde gewesen ist, daß sie vergessen hat, wie man küßt. Er dachte daran, wie sie als junges Mädchen gewesen war, als sie nach hartem Tagewerk in der Wäscherei ganze Nächte hindurch tanzen konnte und sich nicht im geringsten fürchtete, direkt vom Ball an die Plackerei des neuen Tages zu gehen. Und dann dachte er an Ruth und an die kühle Süße, die auf ihren Lippen sein mußte, so wie sie in ihrem ganzen Wesen war. Ihr Kuß mußte wie ihr Händedruck oder wie ihr Blick sein, fest und freimütig. In Gedanken wagte er es, sich ihre Lippen auf den seinen vorzustellen, und so lebhaft war seine Einbildungskraft, daß ihm in Gedanken schwindelte und er ein Gefühl СКАЧАТЬ