MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Thomas Ostwald
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СКАЧАТЬ Eine Szene des Grausens und unbeschreiblicher Verwirrung folgte jetzt: ich höre noch die Schreie der Verzweiflung, der herzbrechenden Angst der Passagiere, das Gebrülle der von den Flammen umzingelten Tiere vor meinen Ohren; eine große Zahl von Personen sah ich auf das Verdeck stürzen, von Schrecken erstarrt, viele fürchterlich verbrannt; mehrere fielen tot nieder, erstickt oder in Folge der Brandwunden, oder wurden ohnmächtig vor Entsetzen. Während ich half, die Schaluppe, in der wir uns gerettet haben, fertig zu machen, stürzte eine Dame von den Passagieren aufs Verdeck. Sie hatte keine weitere Kleidung als ihr Nachthemd an und war furchtbar verbrannt. Dreimal wurde sie in die Schaluppe gebracht; man schrie ihr in der Eile zu, man werde ihr Kleider genug geben, wenn die Schaluppe einmal auf dem Wasser sei; aber das Gefühl der Scham war mächtiger in ihr als die Lebenslust, sie blieb zurück und muss umgekommen sein. – Der Tag stieg herauf, bevor die Amazone unterging: ich sah es deutlich, als die Sainte-Barbe explodierte und eine ungeheure Masse von Geschützstücken und Trümmern in die Luft schleuderte. – Als wir 25 bis 30 Meilen gerudert waren, bemerkten wir ein Schiff, das wir mit aller Gewalt anriefen. Ich bin überzeugt, dass wir gesehen wurden: eine Laterne geriet in Bewegung, als ob man untersuchen wolle, von welcher Seite das Geschrei komme; aber das Schiff fuhr weiter, ohne sich um uns zu bekümmern.“

      Nach Angaben in Illustrated News war die Amazone das größte in England aus Holz gezimmerte Dampfschiff. Sie hatte eine Tragkraft von 3.000 Tonnen, war 310 Fuß lang, hatte 50 Passagiere und eine Ladung von etwa 100.000 Pfund Wert an Bord; das Schiff selbst hatte über 100.000 Pfund gekostet und war nicht versichert. Das Unglück während des Brandes war gesteigert dadurch, dass die Rettungsboote unzweckmäßig und zu fest am Schiff befestigt waren. Unter den Umgekommenen befindet sich auch eine englische Notabilität, Elliot Warburton, der im Auftrage der Atlantic and Pacific Juncton-Company mit den Indianerstämmen in Darien ein friedliches Einvernehmen anzubahnen versuchen wollte. Gerettet wurden von den 161 Personen an Bord nur 46; 115 kamen um.

      Anmerkung: Gabriel Ferry (v. Bellamare) ist der Verfasser der trefflichen, meisterhaft zu nennenden Schilderungen: „Szenen aus dem Leben in Mexiko“, welche seit Jahren schon den Journalen und Feuilletons, die sich von Übersetzungen aus dem Französischen ernähren, hoch willkommen waren. A.d.R.

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      1913 erschien in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (Nr. 257, 16. Sept.) im Feuilletonteil ein Artikel über Gabriel Ferry-de-Bellemate von Alfred Kitt. Der Autor würdigt darin das literarische Schaffen des französischen Dichters und gibt einen Überblick über die wichtigsten Werke:

      Ferrys hervorragendste Schöpfung ist „Le Coureur de bois“, ein auch in den Deutsch sprechenden Landen durch zahlreiche ältere und neuere Übersetzungen und Jugend-Ausgaben verbreitetes Buch. Diese Übertragungen – eine solche ist auch in Reclams Universalbibliothek enthalten – geben indessen alle kein richtiges Bild der klassisch korrekten, schwungvollen Sprache des Originals. Unstreitig ein Meisterwerk in seiner Art, vielleicht der beste ethnographische Abenteuerroman, war der „Waldläufer“ ein halbes Jahrhundert lang das Entzücken einer für das Außerordentliche einer fremdartigen Lebenssphäre empfänglichen Leserwelt, vor allem der – heute noch wie ehedem – für Romantik schwärmenden Jugend. Und mit vollem Recht. Seine mit großem Geschick ersonnene und in dramatischer Lebendigkeit durchgeführte Fabel fesselt unsere Aufmerksamkeit von der ersten bis zur letzten Zeile. In vollendeten Strichen sind da Menschen und Sitten gezeichnet, die vor Cooper, Sealsfield und Ferry in Europa unbekannt waren und heute einer längst begrabenen Zeit angehören. Drei Haupttypen werden vorgeführt: Der kriegerische Indianer, der einstige König der amerikanischen Wälder und Savannen, der Repräsentant jener sympathischen, einem unverdienten Untergange anheimgefallenen rothäutigen Jägervölker; der kühne Goldsucher oder Gambusino; der Trapper, dem Freiheit und Raum zum Leben so unentbehrlich sind wie die Luft, die er atmet. Diese typischen Gestalten begegnen sich in einer spannenden Erzählung, die in prächtigen Episoden inmitten der Einöden Nordmexikos sich abspielt. Beim Lesen dieser lebensprühenden, suggestiven Seiten beschleichen selbst den nüchternen, allem Romantischen abholden modernen Kultur- und Gehirnmenschen unversehens das – nach Maeterlinck in der Tiefe des Herzens, in den dunkelsten menschlichen Instinkten schlummernde – Heimweh nach dem Urwald und der Überdruss an dem einförmigen zivilisierten Dasein, dessen Interessen ihm für eine Weile kleinlich erscheinen wollen, gemessen an den mächtigen Emotionen des urwüchsigen Lebens in der Wildnis.

      Zwei weitere bedeutende Schriften Bellemares sind die „Scenes de la vie sauverge“ und „Scenes de la vie militaire au Mexique“, Sammlungen von Reisebildern und Novellen, die sich wiederum durch eine Fülle von Kultur- und Sittengemälden und nicht minder durch die Schönheit der Naturschilderungen auszeichnen. Was unser Autor dank seiner vorzüglichen Beobachtungsgabe im damaligen Mexiko Merkwürdiges an Landschaftsbildern, Institutionen, Gewohnheiten, an guten und schlimmen Eigenschaften der Bewohner erlauscht und gesehen, das gibt er hier mit unbestechlicher Wahrheitsliebe wieder. Der Schmuggler; der vom Golddurst in die Wüste getriebene Gambusino; der halbwilde Vaquero oder Rinderhirt und Pferdebändiger; der einer machtlosen Justiz wie dem einsamen Reisenden gleichen Schrecken einflössenden Salteador oder Bandit; der rauhe Frontiermann; der verwegene, auf dem Meeresgrunde nicht selten den Hai im Kampfe bestehende Perlenfischer – alle diese von Ferry zum ersten Mal geschilderten abenteuerlichen Figuren prägen sich dem Gedächtnis des Lesers unauslöschlich ein. Eine Aufgabe etwas anderer Art löst ein viertes Hauptwerk Bellemares: „Costal’Indien“. Aus dem Munde alter Guerillos, die am mexikanischen Unabhängigkeitskriege teilgenommen, hatte er allerlei Denkwürdiges vernommen und auch sonst in allen seinen Phasen den Kampf Mexikos gegen den spanisch-pfäffischen Despotismus kennen gelernt, welchen im Jahre 1810 der Priester Hidalgo begann, und der nach zehnjähriger Dauer die Freiheit des Landes herbeiführte. Die Ereignisse dieses Krieges nahm sich nun der Romancier im „Costal“ zum Vorwurf. In vorbildlicher Weise durchdringen sich da Wirklichkeit und Dichtung, folgen Phantasiebilder auf geschichtliche Gemälde, die in ihrer Wucht bisweilen den Zeiten der Heroen entlehnt zu sein scheinen. Der Historiker, der Sittenschilderer und der Künstler haben gleichen Anteil an dem trefflichen Buche, das sich den Erzeugnissen Walter Scotts würdig zur Seite stellt.

      Von Karl May bearbeitete Ausgabe

      Neuausgabe in den Gesammelten Werken, Karl-May-Verlag

      Auch „Les Squatters“ und „Les Gambusinos“ weisen des Verfassers Vorzüge auf: Die Lebendigkeit und Korrektheit des Stils, die Naturtreue der Lokalfarben, das Talent, der reichen Tropennatur üppige Stimmungsbilder abzulauschen, seltsame Volkstypen, in eine spannende Geschichte verwoben, anschaulich darzustellen. Neue bemerkenswerte Züge fügen jedoch diese beiden Novellen dem Bilde Ferrys nicht hinzu.

      Nur acht Bände hat Bellemare geschrieben. Sie genügten, um ihn zu einem packenden Erzähler und – was nochmals besonders betont sei – zu einem ausgezeichneten Prosaisten zu stempeln, der als solcher, weit eher als seine bekannteren Zeitgenossen Sue und Dumas, Anspruch hat auf das Lob des Kenners. Dafür spricht auch der Umstand, dass die geachtetste Zeitschrift Frankreichs, die „Revue des Deux Mondes“, mehreren Schöpfungen des hochbegabten Autodidakten Aufnahme gewährte. Ferrys künstlerische Gebilde verdanken ihre Wahrheit und ihren Farbenreichtum nicht allein der Phantasie und der Sprachkunst ihres Urhebers, sondern auch der Autopsie: Eodem animo scripsit quo vidit. Wenn ihn auch die Literaturgeschichte nicht nach Verdienst gewürdigt hat, so wurde sein Schaffen dennoch von Erfolg gekrönt. Und so lange der Sinn für das Romantische und Ungewöhnliche nicht ausgerottet ist, wird ein magischer Reiz ausgehen vom Schauplatz der Gefahren, der Wagnisse und des schrankenlosen Individualismus, von der grandiosen Heimat und Zeit des roten Kriegers, des Trappers und des Bisons, und so lange wird auch auf Jugend und Volk eine verführerische Macht ausüben das unvergleichliche Epos einer nur in der Überlieferung noch lebenden wilden Welt: „Der Waldläufer“ von Gabriel Ferry.

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