Название: Worin besteht mein Glaube
Автор: Лев Толстой
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752995701
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Im Evangelium Luk. Kap. 6 Vers 37–49 stehen diese Worte unmittelbar nach der Lehre über das Nichtwiderstreben dem Übel und über das Vergelten des Bösen mit Gutem. Unmittelbar nach den Worten: seid barmherzig, gleichwie euer Vater im Himmel, – heisst es: richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet; verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Heisst das nicht, ausser der Verdammung des Nächsten, dass wir keine Gerichte bilden und nicht durch solche unseren Nächsten verurteilen sollen? – fragte ich mich jetzt. Und ich brauchte mir nur diese Frage zu stellen, damit mein Herz und meine Vernunft mir sofort eine bejahende Antwort erteilten.
Ich weiss wie eine solche Auffassung dieser Worte anfangs betroffen macht. Auch auf mich machte sie diesen Eindruck. Um zu zeigen wie weit entfernt ich von einer solchen Auffassung war, will ich eine beschämende Torheit eingestehen. Lange nachher – nachdem ich bereits gläubig geworden und das Evangelium als ein göttliches Buch las, sprach ich bei Begegnungen mit meinen Freunden, Prokuroren, Richtern, scherzend: und ihr richtet noch immer und es ist doch gesagt: richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet Ich war so überzeugt, dass diese Worte nichts anderes bedeuten könnten, als das Verbot des Verleumdens, dass ich mir gar nicht bewusst war welch' eine Heiligtumspötterei ich beging, indem ich solches sagte. Ich war so weit gekommen, dass ich, in der Überzeugung, diese klaren Worte hätten eine andere als ihre wahre Bedeutung sie scherzend in dieser ihrer wahren Bedeutung aussprach.
Ich will ausführlich erzählen, wie in mir jeder Zweifel vernichtet ward darüber, dass diese Worte nicht anders aufgefasst werden könnten, als in dem Sinne, dass Christus die Errichtung aller menschlichen Gerichte verbiete, und dass er mit diesen Worten nichts anderes habe sagen können.
Das, was mich wunderte, nachdem ich das Gesetz über das Nichtwiderstreben dem Übel in seiner geraden Bedeutung aufgefasst, war, dass die menschlichen Gerichte nicht nur mit demselben nicht übereinstimmen, sondern ihm gerade entgegengesetzt sind, gleichwie sie mit der ganzen Lehre im Widerspruch stehen, und dass deshalb Christus, wenn er an diese Gerichte gedacht hätte, sie hätte verwerfen müssen.
Christus sagt: widerstrebet nicht dem Übel. Der Zweck der Gerichte ist: das Widerstreben dem Übel. Christus schreibt vor, man solle Böses mit Gutem vergelten. Die Gerichte vergelten Böses mit Bösem. Christus sagt, man solle keinen Unterschied machen zwischen Bösen und Guten. Die Gerichte haben keine andere Bestimmung, als den Unterschied zwischen Bösen und Guten aufzustellen. Christus sagt, man solle allen vergeben; vergeben, nicht einmal, nicht siebenmal, sondern vergeben ohne Ende; die Feinde lieben, Gutes tun denen, die uns hassen. – Die Gerichte vergeben nicht, sondern sie strafen; sie tun nicht Gutes, sondern Böses denen, die sie Feinde der Gesellschaft nennen. So dass es dem Sinne nach sich herausstellte, dass Christus die Gerichte hätte verbieten müssen. Vielleicht aber, dachte ich, hatte Christus nichts mit den weltlichen Gerichten zu tun und dachte nicht an sie. Ich sehe jedoch, dass dies nicht anzunehmen ist: Christus ist von dem Tage seiner Geburt an bis zu seinem Tode mit den Gerichten zusammengestossen: des Herodes, der Hohenpriester, des Synedrions. Und ich sehe in der Tat, dass Christus oft von den Gerichten geradezu als von einem Übel spricht. Seinen Jüngern sagt er, sie würden gerichtet werden, und sagt ihnen, wie sie sich bei dem Gerichte zu verhalten haben. Von sich selbst sagt er, man würde Gericht über ihn halten, und zeigt selbst, wie man sich zu den menschlichen Gerichten zu verhalten habe. Also dachte Christus an jene menschlichen Gerichte, die ihn und seine Jünger verurteilen sollten und die Millionen von Menschen verurteilten und stets verurteilen. Christus sah dies Übel und wies gerade darauf hin. Bei der Vollziehung des gerichtlichen Ausspruchs an der Ehebrecherin verwirft er geradezu das Gericht und zeigt, dass der Mensch nicht richten könne, weil er selbst schuldig sei. Und denselben Gedanken spricht er wiederholt aus, indem er sagt, dass man mit dem Balken im eigenen Auge nicht den Splitter im Auge des andern sehen dürfe – dass der Blinde den Blinden nicht sehen könne. Er erklärt sogar was aus einer solchen Verirrung entstehen würde: der Schüler würde werden wie der Meister.
Es könnte jedoch sein, dass Christus, indem er solches in Bezug auf die Verurteilung der Ehebrecherin ausspricht und durch das Gleichnis mit dem Splitter auf die allgemeine menschliche Schwachheit hinweist, dennoch es nicht verbietet sich an die menschliche Gerechtigkeitspflege zu wenden, um Schutz gegen die Bösen zu suchen; ich sehe jedoch, dass eine solche Annahme durchaus unhaltbar ist.
In der Bergpredigt wendet sich Christus an alle und spricht: und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem lasse auch den Mantel. Folglich verbietet er allen das Rechten.
Vielleicht aber spricht Christus bloß von der persönlichen Beziehung jedes einzelnen zum Gerichte, ohne die Gerechtigkeitspflege selbst zu verwerfen, und lässt in der christlichen Gemeinde Leute zu, die andere in eigens dazu gegründeten Verfassungen richten? Ich sehe jedoch, dass auch dies nicht anzunehmen ist. Christus befiehlt in seinem Gebete allen Menschen ohne Ausnahme den andern zu vergeben, auf dass auch ihnen ihre Schuld vergeben werde. Und er wiederholt diesen Gedanken viele Male.
Folglich muss jeder Mensch im Gebete und bevor er eine Gabe bringt, allen vergeben. – Wie kann also ein Mensch, der seinem Glauben nach allen stets vergeben muss, andere richten und verdammen? Und daraus erkenne ich, dass, Christi Lehre nach, es keinen christlichen strafenden Richter geben kann.
Vielleicht aber erkennt man aus dem Zusammenhang, in welchem die Worte: richtet nicht und verdammet nicht, mit andern Worten stehen, dass Christus, wenn er an dieser Stelle sagt: richtet nicht, nicht an die menschlichen Gerichte gedacht hat? Dies ist jedoch auch nicht der Fall, im Gegenteil, es ist dem Zusammenhang der Rede nach klar, dass Christus, wenn er sagt: richtet nicht, gerade von den Gerichten und Verfassungen spricht. Nach Matth. und Luk., bevor er ausspricht: richtet nicht und verdammet nicht, sagt er: widerstrebet nicht dem Übel, ertraget das Böse, tut Gutes allen. Und vor diesen Worten wiederholt er, nach Matth., die Worte des jüdischen Kriminalgesetzes: Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Und nachdem er sich also auf das Kriminalgesetz berufen, sagt er: Ihr aber tuet nicht so, sondern widerstrebet nicht dem Übel, und dann erst sagt er: richtet nicht. Christus spricht also gerade vom menschlichen Kriminalgesetz und gerade dieses ist es, das er mit den Worten: richtet nicht, verwirft.
Ausserdem sagt er, nach Lukas, nicht nur: richtet nicht, sondern: richtet nicht und verdammet nicht. Die Hinzufügung dieses Worts, das beinahe denselben Sinn hat, muss doch etwas bedeuten. Die Hinzufügung dieses Wortes kann nur einen Zweck haben: die Erläuterung des Sinnes, in dem jenes erste Wort zu verstehen ist.
Wenn er hätte sagen wollen: richtet nicht euren Nächsten, dann hätte er letzteres Wort hinzugefügt Er aber fügt ein Wort hinzu, welches heisst: verdammet nicht. Und nach diesem spricht er: so werdet ihr nicht verdammt werden; vergebet allen, so wird auch euch vergeben werden.
Vielleicht aber hat Christus dennoch nicht an die Gerichte gedacht, indem er das sagte, und ich finde meinen eigenen Gedanken in seinen Worten, die eine ganz andere Bedeutung haben? –
Ich forsche danach, wie die ersten Jünger Christi, die Apostel, auf die menschlichen Gerichte sahen, ob sie dieselben anerkannt und gutgeheissen haben?
Im Kap. 4, 11–12, spricht der Apostel Jakobus: Afterredet nicht unter einander, lieben Brüder. Wer seinem Bruder afterredet und urteilet seinen Bruder, der afterredet dem Gesetz und urteilet das Gesetz. Urteilest du aber das Gesetz, so bist du nicht ein Täter des СКАЧАТЬ