Название: Der Nachlass
Автор: Werner Hetzschold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752924022
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„Du willst nicht Schauspieler werden!“ Thomas kann es nicht fassen, nicht begreifen, dass sein bester Freund, für den es offensichtlich nur diesen Beruf gab, unvermittelt aufgibt und sich für die Theaterwissenschaften entschließt. Wie kannst du auf diesen Beruf verzichten, ohne dich ihm zu stellen?“
Ich habe eben erkannt, dass mein Talent nicht ausreicht. Einfach Selbsterkenntnis geübt - und meine Konsequenzen gezogen.“
„Immer habe ich uns beide gemeinsam auf der Schule gesehen. In meinen Träumen werden wir beide berühmte Schauspieler. Wir spielen an den größten Häusern...“ Thomas will seinen Faden weiterspinnen, wird jedoch von seinem Freund jäh unterbrochen.
„Der Realität halten die Träume oft nicht Stand, zerfließen wie Schaum, lösen sich in nichts auf. Es ist schon besser, Realist statt Träumer zu sein. So bleiben viele Enttäuschungen dem Realisten erspart“
Schweigend blickten sich die beiden Freunde lange an, dann sagte Volker in die Stille: Meine Mutter hat sich von ihrem Freund getrennt. Sie fühlte sich von ihm eingeengt, vereinnahmt, konnte nicht mehr sie selbst sein. Zumindest war das ihre Ansicht.
„Aber ich fand, die beiden passten gut zusammen, nur dass er um vieles älter war als sie.“
„So groß war der Altersunterschied gar nicht. Und ich mochte Johannes. Wir verstanden uns sehr gut. Immer sah ich in ihm einen älteren Freund, blickte zu ihm auf.“
„Und warum ist es auseinander gegangen?“
„Meine Mutter hat Schluss gemacht. Sie hat einen anderen Typ kennengelernt. Nur mit dem Neuen habe ich nichts gemeinsam. Er kommt auch kaum her.“
„Aber deine Mutter und du - ihr seid euch doch ähnlich, auch was die Interessen betrifft. Und wenn du nicht mit ihm auf einer Wellenlänge liegst, wie kommt sie dann mit ihm zurecht?“
„Vielleicht verbindet sie nur das Bett. Ich weiß es nicht, was sie an ihm findet. Und sie kann es mir auch nicht sagen. Immer weicht sie aus, wenn ich sie danach frage. Ich kann mir nur vorstellen, bei Johannes stimmte nicht mehr die Chemie mit der ihren überein; und mit dem Neuen spielt sie Synthese. Ich bin wirklich gespannt, wie lange dieses Verhältnis dauern wird. Und jetzt sprechen wir über etwas anderes.“
Wieder schiebt sich das große Schweigen zwischen die beiden Freunde.
Die Villa ist Thomas vertraut. Er wartet auf seinen großen Auftritt. Wie er so wollen außer ihm zwanzig junge Menschen die Prüfung bestehen. Dass sie Talent haben, wurde ihnen nach der Eignungsprüfung bescheinigt; ob sie erfolgreich sein werden, wird sich nach dieser Prüfung erweisen. Alle Prüflinge wissen, maximal werden fünf von ihnen die Aufnahmeprüfung bestehen, die anderen können sich im nächsten Jahr erneut zur Aufnahmeprüfung melden.
Wieder verlassen traurige, enttäuschte Gesichter den Prüfungsraum. Wie die anderen auch zählt Thomas die Glücklichen, die Gewinner. Bisher waren es zwei, und mehr als die Hälfte der Teilnehmer ist bisher geprüft worden. So hoffen die noch zu Prüfenden, dass sie zu den Auserkorenen, zu den Ausgewählten, zu den Auserwählten zählen.
Er hört seinen Namen. Thomas erhebt sich von seinem Stuhl, geht auf die Tür zu, hinter der die Prüfungskommission thront.
„Toi, toi, toi“, wird ihm zugeflüstert.
„Ich drücke die Daumen.“
Was soll das?“, denkt Thomas. „Sie wünschen mir Erfolg! Ist das ehrlich gemeint? Denn wenn ich Erfolg habe und genommen werde, nimmt ihre Chance ab, zu den Siegern zu zählen.“
Die Prüfungskommission tritt in der alten Besetzung an. Diesmal werden auch keine Fragen gestellt. Thomas nennt die Rollen, die er gestalten möchte. Er sagt gestalten und nicht spielen, weil gestalten für ihn mehr mit Kreativität zu tun als spielen. Irgendwie empfindet er gestalten seriöser, ernsthafter als spielen. Diesmal hat er sich sogar für eine Arbeiterrolle entschieden - für den Arbeiter in Friedrich Wolfs Stück „Professor Mamlock“.
Thomas steht auf der Bühne. Vor sich sieht er die Prüfungskommission. Die Blicke jedes einzelnen Prüfers fühlt er auf sich gerichtet. Er spürt seine Aufregung, er spürt, wie sie zunimmt an Intensität, wie sie dabei ist ihn aus seinem seelischen Gleichgewicht zu bringen. Er versucht in den Augen der Prüfer zu lesen, wie sie ihm gesonnen sind, ob er ihnen gleichgültig ist, ob sie schon prüfungsmüde sind.
„Nun beginnen Sie schon“, sagt der Leiter der Schauspielschule.
Thomas spürt, wie die Aufregung, die Angst von ihm weichen. Seine Texte beherrscht er. Nicht einen Versprecher handelt er sich ein. Alles klappt wie am Schnürchen. Seine Umgebung nimmt er nicht mehr wahr. Er lebt in seiner Rolle. Er schlüpft in die Gestalt des Arbeiters ...
Er beendet den letzten Satz, hat das Empfinden, aus einem Traum zu erwachen. Langsam findet er in die Wirklichkeit zurück. Unschlüssig bleibt er auf der Bühne stehen, wartet. Die Stimme des Leiters der Schauspielschule ruft ihn in die Realität zurück.
„Kommen Sie bitte nach vorn, junger Mann und nehmen Sie Platz.“
Der Leiter zeigt auf den Stuhl, der mitten vor der Prüfungskommission in Richtung Prüfungskommission steht.
Sitzend vernimmt Thomas das Urteil. Er glaubt seinen Ohren nicht zu trauen: Nach der Eignungsprüfung wurde ihm eine tragfähige, sonore Stimme bescheinigt; diesmal ist von einer belegten Stimme die Rede. Ein ungutes Gefühl beschleicht ihn.
„Junger Mann, wir empfehlen Ihnen, sich in Berlin zu bewerben. Dort sind solche Typen wie Sie gefragt. Bestimmt haben Sie dort Erfolg.“
Thomas versteht die Welt nicht mehr. Er wird abgelehnt, gleichzeitig aber wird ihm geraten, sich in Berlin zu bewerben. Wenn ihn Leipzig nicht nimmt, wieso sollte ihn Berlin dann nehmen? Entweder ich bin begabt oder unbegabt! Thomas gerät ins Grübeln.
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