Schrecklich war, was Roland empfand. Stumm vor
Schmerz geht er vom Drachenfels herab, besteigt sein
Roß, reitet nach Rolandseck hinauf, entläßt seine Diener,
wählt sich droben einen Felsensitz, wo er herabschauen
kann nach Nonnenwerth, und schaut herab
nach der Geliebten, jeden Tag, und Mond um Mond,
und Jahr um Jahr, lebt als Einsiedler und murmelt Ge-
bete, wenn drunten im Tale die Klosterglocke klingt.
Bisweilen erblickt er die Nonne Hildegund, die aus
Trauer um ihn das ewig unlösbare Gelübde tat – bis
er einst sie lange nicht mehr sieht, bis ein Leichenzug
ihm sagt, daß sie geschieden aus dem irdischen Leben
und zum ewigen Frieden eingegangen. Und bald danach
ist Roland erblichen gefunden worden und ihr
dahin nachgegangen, wo alle liebenden Seelen im
Schoße der ewigen Liebe sich wieder einigen.
105. Die Knappschaft im Lüderich
Wie zum Bau des Kölner Domes der Drachenfels
einen großen Teil seines Gesteins lieferte, so auch lieferte
der Lüderich über Vollberg, der ein Eigentum
des Domkapitels in Köln war, sein Gestein, aber ein
edleres als der Drachenfels, zum großen Dombau, wie
die Sage geht. Der Schoß des Lüderichs gebar unermeßliche
Ausbeute seines Bergbaues, und auch früher,
schon in den Heidenzeiten, daher ward auch die
spätere christliche Knappschaft im Lüderich angesteckt
von heidnischem Wesen und allerlei Frevel.
Noch ist eine Stelle dort zu finden, welche der Heidenkeller
heißt, und die Sage kündet und deutet darauf
hin, daß der Bergbau im Lüderich Heidentum und
Christentum wohl eine Zeitlang gegenseitig bekämpft
habe, ehe es zusammenschmolz und das Christentum
den völligen Sieg errang. So gottlos war die Knappschaft,
daß sie die Räder an Karren und Göpeln aus
holländischen Käsen machten, daß sie runde Weizenbrote
den Berg hinabkollern ließen, denen etwa das
Bild der heiligen Hostien aufgedrückt war, und hinterdrein
riefen: Fall dich tot! Herrgott! fall dich tot!,
dann Steine hinterdrein schickten und schrien: Teufel!
lauf dem Herrgott nach! lauf dem Herrgott nach! –
Über solche und zahllose andere Frevel erwachte end-
lich der rächende Zorn des Himmels. Einem frommen
Hirten, der auf sonniger Trift des Lüderichs seine
Schafe weidete, erklang eine Stimme aus der Höhe:
Hirte, treibe weg vom Lüderich! – Den Herren des
Bergbaues erschien verlockend ein Jagdtier, dem sie
nacheilten, es flüchtete in die Höhle des Heidenkellers,
jene folgten, und da brachen mit einem Male
unter Donnerkrachen alle Schachte zusammen und erschlugen
die ganze Knappschaft; die Schachte ersoffen,
die Stollen wurden unfahrbar, und das Wasser,
das an einer Stelle aus dem Geklüft eines verschütteten
Stollens hervordrang, war rot vom Blute der Erschlagenen,
und immer noch quillt es, und immer
noch ist dessen Farbe rot wie Blut.
106. Die letzte Saat
Bei Mülheim, nahe dem Rhein, lag vorzeiten ein Kloster
namens Dünnwald, das war in Streit geraten über
hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen
Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie
der Junker sprachen dieses große Grundstück als Eigentum
an, doch hatte es der Junker im Besitz, aber
alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht
geführten Rechtsstreites, die Anwälte, die Fürsprecher,
die Richter, die Schöffen, die Schreiber. Da bot
endlich der Junker Hall von Schleebusch gütlichen
Vergleich an und sprach zu den frommen Vätern des
Klosters Dünnwald: Fromme Väter, ich bin des langen
Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt.
Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle
Zeiten des Klosters Eigen sein, nur eins bedinge ich:
noch einmal eine, und zwar die letzte Aussaat. Ist die
zur Ernte reif und gediehen und eingebracht, so begebe
ich mich jedes Anspruchs an die hundert Morgen.
– Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch
frommem Entschluß, sprach der Abt, doch seid Ihr
wohl so gnädig, dieses Versprechen uns schriftlich zu
geben. – Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt
geschrieben und ausgefertigt, und der Junker hing
sein Siegel in Wachs daran, und der Abt des Klosters
das seine, und das große Konventsiegel kam auch
noch hinzu, und das des Priors, und noch zwölf Siegel
erbetener ritterlicher Zeugen, und war ein sehr schöner
Brief, diese Schenkungsurkunde СКАЧАТЬ