Erzählungen. Rainer Maria Rilke
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Название: Erzählungen

Автор: Rainer Maria Rilke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783753133133

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СКАЧАТЬ dem Vater, der Mutter, dem oder jenem Oheim »aus dem Gesicht geschnitten«, und wenige schieden ohne die erhabene Weissagung, der Knabe wird sich gewiß auch in der Schule seinerzeit sehr brav erweisen. Der Kleine hatte diesen Ausdruck hellseherischer Bewunderung oft genug vernommen. Und ohne viel Mühe, ja, ohne eigentlich zum Bewußtsein seines Erfolges zu kommen, überstand er die Volksschule, kletterte mit rühmenswerter, etwas pedantischer Sicherheit die acht Sprossen der Gymnasialleiter aufwärts und ging dann noch ein Jahr in den Hörsälen der Universität ein und aus, worauf er in der Stille der väterlichen Schreibstube verloren ging. Eines Tages munkelte man, der junge M. werde die Leitung des Geschäftes aus den Händen seines alternden Erzeugers nehmen, und kurz darauf geschahs. Der Vater starb bald, und der neue Herr wußte das Ansehen des Hauses zu wahren durch strenge Pünktlichkeit und ziemlichen Fleiß. Oft vernahm der unschlüssige Kaufmann aus dem Munde seiner Freunde, daß man sich erzähle, er habe große Unternehmungen vor, und staunender Bewunderung voll über den ihm zugeschriebenen Tatendrang begann er wirklich so manchen von seinen unterschobenen Plänen auszuführen; und so mancher gelang. So ging Jahr um Jahr hin. Die Verwirklichung der ihm vom Gerede der Menge zugesprochenen Absichten hatte seinen Wohlstand bedeutend vergrößert und nichts war natürlicher, als daß die Munkelmänner sich von der bevorstehenden Verlobung M.'s manches zuraunten. Das Gerücht kam zu seinen Ohren; er wandte von da ab fast unwillkürlich seine Aufmerksamkeit der bezeichneten Braut zu, und in wenigen Wochen rieselte das säuselnde »Ja« der Erwählten in den rauschenden Brummbaß des jungen Gatten. Er hatte auch diesmal nicht die Erwartung der Leute getäuscht; er war ja doch ein Charakter!

      Längere Zeit planten die guten Bürger in M.'s Wohn- und Vaterstadt den Bau eines Theaters. Nun weiß jedermann, daß noch kein Bühnenhaus aus gutem Willen, sondern sogar die allereinfachsten wenigstens aus schlechten Brettern errichtet worden sind. Von dem ersteren Material besaßen die Leute genug, zur Beschaffung des letzteren fehlte das Geld. Die fürsorglichen Stadtväter setzten die gerunzelten Stirnen früh morgens auf, und es wurde übel genug vermerkt, wenn einer das Zeichen ernster Würde abends beim Biertisch aufzubehalten vergaß.

      Wie ein Frühlingssturm flog da einst das Gerücht durch die Stadt, M. habe beschlossen, das zum Baue des Musentempels nötige Geld vorzustrecken. Und wie der Lenzwind die Vogelstimmen wachweckt, so rief diese Nachricht allenthalben klangreiches Lob hervor. Eine Abordnung des Stadtrates, das tauige Winterapfelgesicht des Herrn Bürgermeisters an der Spitze, trat wenige Stunden später in die Stube des Gönners. Das Oberhaupt dankte von beständigem Freudeglucksen unterbrochen für das hochherzige Geschenk. M. stand eine Weile ratlos da. Bald aber erriet er den Sinn dieser Freudebezeugung. Ein leichter Schatten zog über seine Stirne. Schon wollte er sich dieser Zumutung erwehren; dann aber fiel ihm ein, daß er durch diese scheinbare Wankelmütigkeit sich und sein Haus schädigen könne, und mit sauer-süßem Lächeln nahm er den Kontrakt entgegen, auf welchem eine nicht unbedeutende Summe verzeichnet stand. So wuchs der Ruhm und Ruf M.'s von Jahr zu Jahr. Seit man in ihm nun auch den Kunstfreund erkannt hatte, erzählte man bald von dem, bald von jenem einheimischen Talent, das durch M.'s hochherzige Unterstützung gefördert worden sei.

      Nur ein einzig mal hätte der ›Charakter‹ die Erwartungen der Leute fast betrogen. Man sprach heimlich von einem »freudigen Ereignisse«, das im Hause M. »bevorstehe«. Und neugierige Blicke folgten der jungen Frau, sobald sie sich auf der Straße zeigte. Der edle Kaufherr gab sich denn auch alle redliche Mühe, die Menge recht bald zufriedenzustellen. Allein diesmal ward ihm das Glück untreu. Mit unwilligem Staunen stellten die guten Bürgerinnen fest, daß die M. noch immer anschließende Jacken trage, und daß da nichts »los sein« könne. Dann tuschelten sie leise und doch vernehmlich genug, eine Franzensbader Kur könne nichts schaden. Und siehe da, als Herr M. auch diesmal wie hätte es anders sein können die öffentliche Meinung zu der seinigen gemacht hatte, hielt sein Weibchen ganz genau nur die vorgeschriebene Zeit ein, um an die Stelle der anschließenden Jacken einen Radmantel treten zu lassen. Der ›Charakter‹ war gerettet.

      Der Ruf des Ehrenmannes M. war bald über die Marken der Stadt gedrungen. Lang sprach man schon von einem Orden. Der bekannte Kaufherr tat jetzt auch die nötigen Schritte, und es ward ihm nicht zu schwer, in einigen Monaten mit vollem Knopfloch und leerem Gerede den ergebenen Gratulanten seinen innigen Dank zu sagen.

      Auf einer winterlichen Geschäftsreise zog sich M. eine heftige Verkühlung zu, die ihn aufs Krankenlager warf. Ein Lungendefekt, von dem sein Arzt schon vor zwanzig Jahren gefaselt hatte, machte sich jetzt geltend. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Seine Frau besuchte ihn mit zurückhaltender Teilnahme. Der Kranke will Ruhe, pflegte sie zu sagen, wenn sie im gemütlichen Wohnzimmer neben den von Trost überfließenden Nachbarinnen saß.

      Eines Morgens wurde der Schwerkranke aus schwülen Fieberträumen durch lärmende Stimmen emporgerissen. Er fuhr auf, starrte irren Blicks umher und fragte mit matter Stimme die Barmherzige Schwester, was das solle. Und als diese schwieg und ihm Ruhe gebot, läutete er seinen alten Diener herbei und stellte ihm dieselbe Frage.

      Der hielt auch nicht hinterm Berge, kratzte sich den Kopf und polterte:

      »Mein Gott, das dumme Pack sagt alleweil, der Herr ist schon tot; denen solls der Teufel ausreden ...« und er schlürfte wieder hinaus.

      Der Fiebernde schaute ihm groß nach.

      Dann legte er sich auf die linke Seite und schlief ein...

      Er war eben ein Charakter.

      Und doch in den Tod

      Ein Augustmorgen ging goldsohlig an mir vorbei in den Wald.

      Ich lag da im krausen, glitzernden Moose und schaute ihm nach. Ich sah, wie er lichtgrüne Reflexe auf den silberweißen Kies schleuderte, als streute er Malachitkrystalle um sich her. Und ich vernahm seinen leisen, leichten Schritt, der die staunenden Blumen erweckte aus dem langen, lieblichen Schlummer.

      Ich streckte die Arme weit aus und (er)blickte jetzt nur die hohen Lärchenwedel, die sich leise wiegten her, hin her, hin, als sollten sie den blauen Himmel blank scheuern. Und er war doch so klar!

      Jetzt regneten mir silberne Pünktchen in die Augen, dicht, immer dichter, bis eine Fülle von Glanz auf ihnen wuchtete. Da schloß ich die Lider. Licht war in meiner Seele und ich atmete tief und ruhig das starke, würzige Waldarom ...

      Und da knackten die Äste. Ich rührte mich nicht. Aber ich dachte dunkel und verschwommen:

      Ein Reh gewiß. Und ich stellte mir unwillkürlich das braune zartgelenkige Tier vor, wie es neugierig und zaghaft mit großem, schwarzem Auge aus grünem Blätterrahmen zu mir herüber staunt ...

      Es knackte wieder.

      Aber das waren menschliche Schritte.

      Ich ward nüchtern. Mit jenem unwillkürlichen Schreck, den man empfindet, wenn ein Fremder uns in Träumen überrascht, richtete ich mich empor.

      Ich musterte die Runde.

      Nichts.

      Da doch. Hinter dem Buschwerk: Eine Gestalt. Ein Mann. Sein Gesicht sah ich nicht. Er trägt einen grauen Rock. Ein Jäger, denk ich. Ich will mich wieder zurücklehnen. Aber ich habe doch keine Ruhe.

      Lautlos, als hätte ich Angst, erhebe ich mich. Und da im Augenblick starrt mich ein Gesicht an, ein verzerrtes verhärmtes Gesicht, mit zwei unsteten, glimmenden Augen ... Eine Hand hält er hoch. Und diese Hand mein Gott diese Hand preßt eine kleine Schußwaffe an den flachen Schlaf ...

      Der Mann hat mich bemerkt. Schlaff fällt ihm der Arm herab.

      Ein kaltes СКАЧАТЬ