Die Mythen der Bibel . Walter Brendel
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Название: Die Mythen der Bibel

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783966511902

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СКАЧАТЬ Staatsanwalt des Städtchens reagierte kritischer: Er ließ die Terracotta-Statue beschlagnahmen und im rechtsmedizinischen Labor untersuchen. Und siehe da: Es war echtes Blut - von einem Mann! Hatte sich Fabio aus Versehen verletzt? War sein Blut getropft? Einen DNA-Vergleichstest verweigerte er. Die Erklärungen für vermeintlich übernatürliche Marientränen sind vielfältig:

      Manchmal halten Gläubige optische Täuschungen, flackerndes Kerzenlicht auf glänzenden Lasuren, für glitzernde Tränen. In den Niederlanden waren die Bluttränen das Harz, das als Klebstoff für die Kunstaugen diente und in der Sonne schmolz. Tränen auf Heiligenbildern entstehen durch Kondenswasser, manchmal kommen sie durch undichte Dächer oder Mauern - die meisten sind jedoch einfach nur Betrug. In Kanada brachte ein Mann sein mit Schweineschmalz vermischtes Blut an einer Marienstatue an, die kräftig weinte, wenn der Raum geheizt wurde. Der italienische Chemiker Luigi Garlaschelli von der Universität Pavia hat das Phänomen der weinenden Madonna nachgestellt: Man nehme eine hohle Statue aus porösem Material wie Gips oder Keramik, glasiere sie mit einer undurchlässigen Beschichtung, fülle dann (heimlich) die Statue mit Flüssigkeit und schabe (wieder heimlich) um die Augen etwas Glasur ab. Hat sich das poröse Material mit der Flüssigkeit vollgesogen, treten an gewünschter Stelle tränenartige Tropfen aus. Der Trick dabei: Ist der Hohlraum hinter den Augen klein genug, lassen sich kaum Spuren finden, wenn die ganze Flüssigkeit ausgetreten ist.

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      Auf wundersame Weise rollen Tränen von einigen Marienbildern herab. Was steckt hinter diesem Phänomen?

      Unter dem Titel „Vier Jahre Nulldiät“ beschreibt ein Artikel des Wochenmagazins „Der Spiegel“ im Juli 2008 ein mittelalterlich anmutendes Szenario: Es handelt sich um den Fall einer Berliner Architektin, die in der Karwoche 2004 die Wundmale Christi empfangen haben will. Eine Anhängerin der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners, die im Namen Jesu aus Händen und Füßen blutet und seit ihrer Verwandlung angeblich keinen Bissen mehr gegessen hat. Eine weltgewandte Frau Anfang dreißig, die von sonderbaren Sinneswahrnehmungen und visionären Zeitreisen auf den Berg Golgatha berichtet.

      Der Fall der blutenden Steiner-Jüngerin aus jüdischer Familie entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ebenso atypische wie mustergültige Wiederbelebung einer uralten Vorlage. Stigmata (griechisch: Zeichen) stehen für die drastischen Seiten des katholischen Glaubens: Menschen, die mit den Malen Jesu gezeichnet werden – mit Hand-, Fuß- und Brustwunden. manchmal auch mit dem Abdruck der Dornenkrone oder des Kreuzes. Menschen, die an den Leidenstagen des Herrn immer wieder neu bluten, zugleich verzückende Visionen erleben, keine Nahrung mehr brauchen und mitunter heilende Fähigkeiten erlangen: Ähnliche schaurig-faszinierende Superlative scheint nur der Exorzismus zu bieten.

      Die Traditionslinie beginnt mit Franziskus von Assisi, dem abtrünnigen Kaufmannssohn und 1228 heiliggesprochenen Gründer des nach ihm benannten Bettelordens.

      Kurz nach seinem Tod im Jahre 1226 verfasst sein Ordensbruder Elias von Cortona einen Brief, der der Welt ein „neues Wunder“ verkündet: „Lange vor seinem Tode erschien unser Vater und Bruder als ein Gekreuzigter, der an seinem Körper die fünf Wunden trug, die in Wahrheit die Stigmata Christi sind. Denn seine Hände und Füße trugen Male, wie wenn Nägel von oben nach unten hineingeschlagen worden wären, welche die Wunden offenlegten und schwarz waren wie Nägel: die Seite erschien wie von einer Lanze durchbohrt, und oft floss Blut aus ihr.“

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      Volksheilige: Franziskus (um 1181-1226) soll auf dem Berg Alverna die Wundmale Christi empfangen haben: Altargemälde (um 1300) von Giotto di Bondone. Die oberpfälzische Bauernmagd Therese Neumann litt ab 1926 unter Stigmatisation, wobei Blut aus Händen und Augen ausgetreten sein soll

      Die später verfassten Heiligenviten liefern genaue Angaben über das „Wo“ und „Wie“. Ihnen zufolge ereignete sich das Mirakel um das Fest der Kreuzeserhöhung (gefeiert zum Andenken an die Wiedererlangung eines Teils des Kreuzes Christi im Jahr 628), im September 1224. als sich Franziskus auf dem Berg Alverna in die Leiden Jesu versenkte. Auf dem Höhepunkt der Andacht erschien ihm ein gekreuzigter Engel mit sechs Flügeln - und ließ ihn mit Nägelmalen in Händen und Füßen zurück.

      Seither gebiert jede Epoche eigene blutende Träger der Christusmale - getreu den Worten des Auferstandenen, der sich seinen Jüngern durch die Echtheit seiner Wunden zu erkennen gibt (Lukas 24,39): „Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst.“ Die Zahlenangaben variieren stark. 321 Fälle listet der Arzt Antoine Imbert-Gourbeyre 1894 auf, darunter 40 Männer. Seine Sammlung umfasst allerdings auch "innere Stigmata“: unsichtbare „Wunden“, die sich lediglich in Schmerzen äußern.

      Der Jesuit Herbert Thurston (1856-1939) - einer der renommiertesten Kenner der Materie - spricht von 50 bis 60 vollständig Stigmatisierten. Neben Franziskus von Assisi nennt er nur einen weiteren Mann: Padre Pio, den 2002 heiliggesprochenen Kapuzinermönch aus Apulien, der die Wunden 1918 vor einer Statue des Gekreuzigten empfängt. Doch wer sind all jene Menschen, Katholiken in der Mehrzahl, die nach frommer Lesart als Auserwählte Gottes gelten müssen? Und: Wie haltbar ist der Glaube an blutige „Wunder“ aus der Sicht des 21. Jahrhunderts?

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      Todesmal: Laut Johannesevangelium soll ein römischer Soldat seine Lanze in die Seite des Gekreuzigten gestoßen haben. Blut und Wasser flossen aus - ein Zeichen, dass Jesus gestorben war

      Wer Betrug wittert, stößt mühelos auf eine „schwarze Liste“, die vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit reicht. Auf ihr finden sich längst vergessene Kurzzeit- „Heilige“ wie die portugiesische Dominikanerin Maria de la Visitacion, deren Christuswunden um 1587 von der Inquisition abgewischt werden. Argwohn trifft indes auch Padre Pio - Italiens verehrten Nationalheiligen, durch dessen Wunden Weggefährten angeblich sogar Zeitung lesen konnten. Glaubt man dem Historiker Sergio Luzzatto, wandte sich der Pater hilfesuchend an eine Apotheke in Foggia - um dort zunächst hautverätzende Karbolsäure und schließlich eine ebenso bedenkliche Ration des schmerzstillenden Gifts Veratrin zu ordern.

      Weitere, übergreifende Beobachtungen verstärken die Zweifel am göttlichen Ursprung des Blutwunders. So sind die Jesusmale bis in die jüngste Gegenwart nie dort erschienen, wo sie sich - nach neuen historischen Erkenntnissen - tatsächlich befunden haben mussten: nicht in den Handflächen, sondern nahe der Handwurzel, zwischen Elle und Speiche. der einzigen Stelle, die eine sichere Befestigung am Kreuz garantierte.

      Ähnliche Vorbehalte beziehen sich auf die Glaubwürdigkeit der Begleitvisionen. Arm an Zeitkolorit, teils historisch falsch und - wie das Aussehen der Wunden – verdächtig nah an zeitlich verhafteten Erbauungstexten und bildlichen Darstellungen: Dieses Forscherurteil gilt mithin selbst für die berühmten Schauungen der seliggesprochenen Dülmener Nonne Anna Katharina Emmerick (1774-1824). Was der romantische Dichter Clemens Brentano einst am Bettrand der Gezeichneten notierte, diente 180 Jahre später als Vorlage für Mel Gibsons umstrittenen Film „Die Passion Christi“.

      Das Endprodukt erweist sich als ebenso grausame wie schillernde Detailorgie - bis hin zur Darstellung einer Geißelung, die sich in dieser Extremform, als Blutrausch aus Widerhaken und umherfliegenden Fleischstücken, nicht in der Bibel findet.

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      Fanatiker: Auf den Philippinen lassen sich gläubige Christen an Karfreitag für kurze Zeit ans Kreuz schlagen. Damit die Wunden nicht ausreißen, werden die Gekreuzigten mit Seilen gesichert

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