Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Название: Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

Автор: Johann Gottfried Herder

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066398903

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СКАЧАТЬ unser Gott nicht einen Gott der Heyden genannt und erwiesen?

      Dritter Abschnitt.

       Inhaltsverzeichnis

      Sokrates soll drey Feldzüge mitgemacht haben. In dem ersten hatte ihm sein Alcibiades die Erhaltung des Lebens und der Waffen zu danken, dem er auch den Preis der Tapferkeit, welcher ihm selbst zukam, überließ. In dem zweyten wich er wie ein Parther, fiel seine Verfolger mitten im Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als ihm eingejagt wurde und trug seinen Freund Xenophon, der vom Pferde gefallen war, auf den Schultern aus der Gefahr des Schlachtfeldes. Er entgieng der grossen Niederlage des dritten Feldzuges eben so glücklich wie der Pest, die zu seiner Zeit Athen zweymal heimsuchte.

      Die Ehrfurcht gegen das Wort in seinem Herzen, auf dessen Laut er immer aufmerksam war, entschuldigte ihn Staatsversammlungen beizuwohnen. Als er lange genung glaubte gelebt zu haben, bot er sich selbst zu einer Stelle im Rath an, worinn er als Mitglied, Altermann und Oberhaupt gesessen, und wo er sich mit seiner Unschicklichkeit in Sammlung der Stimmen und andern Gebräuchen lächerlich, auch mit seinem Eigensinn, den er dem unrechten Verfahren einer Sache entgegen setzen muste, als ein Aufrührer verdächtig gemacht haben soll.

      Sokrates wurde aber kein Autor, und hierinn handelte er übereinstimmig mit sich selbst. Wie der Held von der Leuctrischen Schlacht keine Kinder nöthig hatte; so wenig brauchte Sokrates Schriften zu seinem Gedächtnisse. Seine Philosophie schickte sich für jeden Ort und zu jedem Fall. Der Markt, das Feld, ein Gastmal, das Gefängnis waren seine Schulen; und das erste das beste Quodlibet des menschlichen Lebens und Umganges diente ihm den Saamen der Wahrheit auszustreuen. So wenig Schulfüchserey er in seiner Lebensart beschuldigt wird, und so gut er auch die Kunst verstand die besten Gesellschaften selbst von jungen rohen Leuten zu unterhalten, erzählt man gleichwol von ihm, daß er ganze Tage und Nächte unbeweglich gestanden, und einer seiner Bildsäulen ähnlicher als sich selbst gewesen. Seine Bücher würden also vielleicht wie diese seine Soliloquien und Selbst-Gespräche ausgesehen haben. Er lobte einen Spatziergang als eine Suppe zu seinem Abendbrodt; er suchte aber nicht wie ein Peripatetiker die Wahrheit im Herumlaufen und hin- und hergehen.

      Daß Sokrates nicht das Talent eines Scribenten gehabt, liesse sich auch aus dem Versuche argwohnen, den er in seinem Gefängnisse auf Angabe eines Traums in der lyrischen Dichtkunst machte. Bey dieser Gelegenheit entdeckte er in sich eine Trockenheit zu erfinden, der er mit den Fabeln des Äsops abzuhelfen wuste. Gleichwol gerieth ihm ein Gesang auf den Apoll und die Diana.

      Vielleicht fehlte es ihm auch in seinem Hause an der Ruhe, Stille und Heiterkeit, die ein Philosoph zum Schreiben nöthig hat, der sich und andere dadurch lehren und ergötzen will. Das Vorurtheil gegen Xantippe, das durch den ersten Claßischen Autor unserer Schulen

      Xantippe war ein' arge H – –

       und 10 mal 10 macht hundert nur.

      Sokrates soll in der Bigamie gelebt haben; Xantippe die Mutter des Lamprocles, und Myrto (welche ihm Gesner abspricht) die Mutter des Sophroniscus und Menexenus gewesen seyn.

       ansteckend und tief eingewurzelt worden, hat durch die Acta Philosophorum nicht ausgerottet werden können, wie es zum Behuf der Wahrheit und Sittlichkeit zu wünschen wäre. Unterdessen müssen wir fast ein Hauscreutz von dem Schlage annehmen, um einen solchen Weisen als Sokrates zu bilden. Die Reitzbarkeit seiner Einfälle konnte vielleicht aus Mangel und Eckel daran von Xantippen nicht behänder gedämpft werden als durch Grobheiten, Beleidigungen und ihren Nachtspiegel. Einer Frau, welche die Haushaltung eines Philosophen führen, und einem Mann, der die Regierungsgeschäfte unvermögender Großviziere verwalten soll, ist freylich die Zeit zu edel, Wortspiele zu ersinnen und Blumen zu reden. Mit eben sowenig Grunde hat man auch als einer Verläumdung einer ähnlichen Erzählung von Sokrates eigener Heftigkeit wiedersprochen, mit der er sich auf dem Markte bisweilen die Haare aus dem Haupte gerauft und wie außer sich gewesen seyn soll. Gab es nicht Sophisten und Priester zu Athen, mit denen Sokrates in einer solchen Verstellung seiner selbst reden muste? Wurde nicht der sanftmüthige und herzlich demüthige Menschen-Lehrer gedrungen ein Wehe über das andere gegen die Gelehrten und frommen Leute seines Volkes auszustossen?

      In Vergleichung eines Xenophons und Platons würde vielleicht der Styl des Sokrates nach den Meissel eines Bildhauers ausgesehen haben und seine Schreibart mehr plastisch als malerisch gewesen seyn. Die Kunstrichter waren mit seinen Anspielungen nicht zufrieden, und tadelten die Gleichnisse seines mündlichen Vortrages bald als zu weit hergeholt, bald als pöbelhaft. Alcibiades aber verglich seine Parabeln gewissen heiligen Bildern der Götter und Göttinnen, die man nach damaliger Mode in einem kleinen Gehäuse trug, auf denen nichts als die Gestalt eines ziegenfüßigen Satyrs zu sehen war.

      Hier ist ein Beyspiel davon. Sokrates verglich sich mit einem Arzte, der in einem gemeinen Wesen von Kindern die Kuchen und Leckerbissen verbiethen wollte. Wenn diese Hofbecker, sagte er, den Arzt vor einem Gerichte verklagen möchten, das aus lauter Kindern bestünde: so wäre sein Schicksal entschieden. Man machte zu Athen so viel Anschläge an der Ruhe der Götter Theil zu nehmen, und gleich ihnen weise und glücklich zu werden, als man heut zu Tage macht nach Brodt- und Ehren-Stellen. Jeder neue Götzendienst war eine Finanzgrube der Priester, welche das öffentliche Wohl vermehren sollte; jede neue Secte der Sophisten versprach eine Encyclopedie der gesunden Vernunft und Erfahrung. Diese Projecte waren die Näschereyen, welche Sokrates seinen Mitbürgern zu vereckeln suchte.

      Athen, das den Homer als einen Rasenden zu einer Geldbusse verdammt haben soll, verurtheilte den Sokrates als einen Missethäter zum Tode.

      Sein erstes Verbrechen war, daß er die Götter nicht geehrt und neue hätte einführen wollen. Plato läßt ihn gleichwol in seinen Gesprächen öfterer bey den Göttern schwören als ein verliebter Stutzer bey seiner Seele oder ein irrender Ritter bey den Furien seiner Ahnen lügt. In den letzten Augenblicken seines Lebens, da Sokrates schon die Kräfte des Gesundbrunnens in seinen Gliedern fühlte, ersuchte er noch aufs anständigste seinen Kriton einen Hahn zu bezahlen und dem Äskulap zu opfern. Sein zweytes Verbrechen war ein Verführer der Jugend gewesen zu seyn, durch seine freye und anstössige Lehren.

      Sokrates antwortete auf diese Beschuldigungen, mit einem Ernst und Muth, mit einem Stolz und Kaltsinn, daß man ihn nach seinem Gesichte eher für einen Befehlshaber seiner Richter, als für einen Beklagten hätte ansehen sollen.

      Sokrates verlor, sagt man, einen giftigen Einfall, und die gewissenhaften Areopagiten die Gedult. Man wurde also hierauf bald über die Strafe einig, der er würdig wäre, so wenig man sich vorher darüber hatte vergleichen können.

      Ein Fest zu Athen, an dem es nicht erlaubt war ein Todesurtheil zu vollziehen, legte Sokrates die schwere Vorbereitung eines dreyssigtägigen Gefängnisses zu seinem Tode aut.

      Nach seinem Tode soll er noch einem Chier, Namens Kyrsas erschienen seyn, der sich unweit seines Grabes niedergesetzt hatte und darüber eingeschlafen war. Die Absicht seiner Reise nach Athen bestand, Sokrates zu sehen, der damals nicht mehr lebte; nach dieser Unterredung also mit desselben Gespenste, kehrte er in sein Vaterland zurück, das bey den Alten wegen seines herrlichen Weins bekannt ist.

      Plato macht die freiwillige Armuth des Sokrates zu einem Zeichen seiner göttlichen Sendung. Ein grösseres ist seine Gemeinschaft an dem letzten Schicksale der Propheten und Gerechten. Ein Bildsäule von Lysippus war das Denkmal, das die Athenienser seiner Unschuld und dem Frevel ihres eigenen Blutgerichts setzen liessen.

       Schlußrede.

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