Название: Gesammelte Werke
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121103
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»Nein, das tu' ich nicht. Wirklich nicht! Sie wissen sich selber nicht zu würdigen. Das kommt daher, daß Sie immer in dem kleinen Flecken da gelebt haben, aber wenn Sie in Chicago wären oder irgendeiner anderen großen Stadt, dann würde man schon zu schätzen wissen, glauben Sie mir, was an Ihrer, äh, an Ihrem wunderbaren Sinn für seelische Werte und so weiter ist.«
»Oh – Chicago! Herrje! Ich würde ja Todesängste ausstehen!«
»Na, ich werd' Sie einmal dorthin mitnehmen und Ihnen die Stadt zeigen müssen! Ich glaub', dann würden die Leute über ihren schlimmen alten Prediger aber zu reden anfangen!«
Sie lachten beide von Herzen.
»Aber ernsthaft, Lulu, was ich wissen möcht' – äh – Oh! Was ich Sie fragen wollte: Meinen Sie, ich sollte rauskommen und Mittwoch-Gebetsmeetings abhalten?«
»Ach, ich glaub', das wär' schrecklich nett.«
»Aber, sehen Sie, ich muß auf der alten Draisine herauskommen.«
»Das ist wahr.«
»Und Sie können keine Ahnung haben, wie angestrengt ich jeden Abend im Seminar studieren muß.«
»O ja, das kann ich mir vorstellen!«
Sie seufzten beide in Mitgefühl, er legte seine Hand auf die ihren, dann seufzten sie wieder, und er entfernte seine Hand fast spröde.
»Aber natürlich möcht' ich mich in keiner Weise schonen. Es ist das Vorrecht des Pastors, sich für seine Gemeinde zu opfern.«
»Ja, das ist wahr.«
»Aber andererseits, bei den Straßen, wie sie hier sind, besonders im Winter und überhaupt, und wo die meisten von der Gemeinde weit draußen auf Farmen leben und überhaupt – da ist es schwer für sie, hereinzukommen, was?«
»Das ist wahr. Die Straßen werden schlecht. Ja, ich glaub', Sie haben recht, Bruder Gantry.
»Ach! Lulu! Und ich ruf Sie immer bei Ihrem Vornamen! Sie werden noch machen, daß ich mir schrecklich ungezogen vorkomm', wenn Sie mich so zurechtweisen und nicht Elmer nennen!«
»Aber Sie sind doch der Geistliche, und ich bin ganz einfach niemand.«
»Oh, doch, Sie sind schon wer!«
»O nein, ich bin niemand.«
Sie lachten recht herzlich.
»Hören Sie, Lulu, Kindchen. Denken Sie dran, daß ich noch immer 'n Junge bin – genau fünfundzwanzig in diesem Monat – nur so fünf oder sechs Jahre älter als Sie. Jetzt versuchen Sie, mir Elmer zu sagen, und probieren Sie, wie's klingt.«
»Oh, je! Das würd' ich mich nicht trauen!«
»Also, versuchen Sie's!«
»Ach, ich könnte nicht! Sich das nur vorzustellen!«
»Angsthase!«
»Das bin ich nicht.«
»Jawohl sind Sie's!«
»Nein, ich bin's nicht!«
»Ich will's haben!«
»Na – Elmer, also! So, jetzt!«
Sie lachten vertraulich, und in dieser ungestümen Fröhlichkeit ergriff er ihre Hand, preßte sie und rieb sie an seinem Arm. Er ließ sie nicht los, aber es war nichts anderes als ein sehr, sehr freundschaftlicher und kaum intensiver Druck, mit dem er sie festhielt, während er säuselte:
»Sie haben wirklich keine Angst vor dem armen alten Elmer?«
»Ja, doch, ein ganz klein wenig!«
»Ja, warum denn?«
»Ach, Sie sind so groß und stark und würdig, als ob Sie viel, viel älter wären, und dann haben Sie so eine dröhnende Stimme – ach, ich hör' sie ja gern, aber ich krieg' immer Angst dabei – ich glaub' immer, Sie müssen auf mich losfahren und sagen, ›Sie schlimmes kleines Mädel‹, und daß ich dann beichten muß. Ja! Und dann sind Sie auch noch so schrecklich gebildet, Sie wissen solche lange Wörter, und Sie können alle die Sachen mit der Bibel erklären, die ich nie begreifen kann. Und außerdem sind Sie natürlich ein richtiger geweihter Baptistengeistlicher.«
»Mm, äh – aber verhindert mich das, außerdem noch ein Mann zu sein?«
»Ja, das tut's! Bißchen!«
Dann war nichts Spielerisches mehr, sondern ein finsteres Drängen in seiner Stimme:
»Dann können Sie sich also nicht vorstellen, daß ich Sie küss'? … Schauen Sie mich an! … Schauen Sie mich an, sag' ich Ihnen! … So! … Nein, schauen Sie nicht wieder weg. Nanu, Sie werden ja rot! Sie liebes, armes, herziges Ding! Sie können sich vorstellen, daß ich Sie küss' –«
»Ich sollt' aber nicht!«
»Schämen?«
»Ja!«
»Hören Sie, Liebe. Sie halten mich für so schrecklich erwachsen, und natürlich muß ich auch auf alle Leute Eindruck machen, wenn ich auf der Kanzel steh', aber Sie können das ja durchschauen und – ich bin wirklich nur ein großes schüchternes Kind und hab' Ihre Hilfe so notwendig. Wissen sie, Liebe, Sie erinnern mich an meine Mutter –«
5
Frank Shallard redete im Schlafzimmer auf Elmer ein, während sie sich vor dem Abendessen wuschen – sie waren das erstemal allein, seitdem Lulu und Miß Baldwin sie zur Bains-Farm gefahren hatten, wo sie die Nacht vor dem Danksagegottesdienst schlafen sollten.
»Hören Sie, Gantry – Elmer. Ich glaub', es hat nicht gut ausgesehen, wie Sie Miß Bains in der Kirche ins Hinterzimmer genommen und dort behalten haben – es muß eine halbe Stunde gewesen sein – und wie ich hineingekommen bin, seid Ihr beide aufgesprungen und habt schuldbewußt ausgesehen.«
»Huhu, unser kleiner Freund Franky ist also richtig ein altes Weib, das sich in alles hineinmischt!«
Der Raum, in dem sie die Nacht verbringen sollten, war eine große dämmerige Höhle unter dem Dach. Der Krug auf dem schwarzen Nußbaumwaschtisch war goldgetüpfelt und überreichlich mit den unmöglichsten Knöspchen geschmückt. Elmer stand da und glotzte, seine kräftigen Unterarme waren nackt und trieften, er spritzte seine Finger über dem Teppich aus, bevor er nach dem Handtuch griff.
»Ich bin kein Mensch, der sich in alles hineinmischt, das wissen Sie, Gantry. Aber Sie sind der Priester hier, und es ist Ihre Pflicht, wegen der Wirkung auf die anderen, auch den Anschein des Bösen zu vermeiden.«
»Schlimm für den, der Schlimmes denkt. Vielleicht haben Sie das auch schon mal gehört!«
»O ja, Elmer, ich glaube, ich werd's wohl schon gehört haben!«
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