Название: Sinclair Lewis: Die großen Romane
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121196
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Nach seinen Auslassungen über Frauenrechtlerinnen fragte er sie plötzlich nach persönlichen Dingen. Seine Freundlichkeit und Festigkeit nahmen sie gefangen, und sie ließ ihn als Menschen gelten, der ein Recht darauf hatte, zu wissen, was sie zu denken und anzuziehen, zu essen und zu lesen pflegte. Er war etwas Positives. Er war aus einem unbestimmt umrissenen Fremden ein Freund geworden, dessen Geplauder etwas Neues und Wichtiges war. Sie bemerkte, wie gesund und kräftig seine Brust war. Seine Nase, die zuerst unregelmäßig und groß schien, war mit einem Male männlich.
Aus dieser beschaulichen Behaglichkeit wurde sie aufgeschreckt, als Marbury auf sie losstürzte und in aller Öffentlichkeit brüllte: »Sagt mal, was denkt ihr beide denn, was macht ihr denn da? Wahrsagen oder Flirten? Lassen Sie sich von mir warnen, Carola, der Doktor ist ein eingeschworener Junggeselle. Kommt jetzt, Herrschaften, bewegt mal die Beine. Wir wollen was hören oder tanzen oder irgend was Nettes machen.«
Sie hatte bis zum Abschied keine Gelegenheit, mit Dr. Kennicott zu sprechen.
»Es ist mir ein großes Vergnügen gewesen, Sie kennenzulernen, Fräulein Milford. Kann ich Sie mal sehen, wenn ich wieder in die Stadt komme? Ich bin ziemlich oft hier – Patienten ins Krankenhaus bringen und so weiter.«
»Ja, aber –«
»Wo wohnen Sie?«
»Sie können Herrn Marbury fragen, wenn Sie wieder hier sind – wenn Sie's wirklich wissen wollen!«
»Wissen wollen? Sie werden schon sehen!«
2
Von der Liebe Carolas und Will Kennicotts ist wenig zu erzählen, was nicht an jedem Sommerabend in jeder dunklen Straße gehört werden könnte.
Sie hatten einander ehrlich gern – sie waren beide ehrliche Menschen. Es enttäuschte sie, daß er so am Geldverdienen hing, sie war aber überzeugt, daß er seine Patienten nicht belüge und mit den medizinischen Zeitschriften Schritt halte. Was mehr als ihre Sympathie erweckte, war seine Jungenhaftigkeit auf ihren Wanderungen.
Sie gingen von St. Paul den Fluß entlang nach Mendota, Kennicott in Mütze und weichem Seidenhemd elastischer aussehend, Carola mit einer Pudelmütze aus weichem Samt, in einem blauen Sergekleid mit einem übertrieben, aber gefällig breiten umgelegten Leinenkragen, mit zierlichen Fesseln über derben Schuhen. Die High Bridge überquert den Mississippi, von einem niedrigen Ufer zu einer Klippenreihe ansteigend. Carola lehnte sich über das Geländer der Brücke; in köstlicher eingebildeter Angst schrie sie, es schwindle ihr vor der Tiefe; und es war eine besonders angenehme Befriedigung, einen starken Mann bei sich zu haben, der sie zurückriß in Sicherheit, und nicht eine logische Lehrerin oder Bibliothekarin, die keifte: »Aber, wenn Sie Angst haben, warum gehen Sie dann nicht vom Geländer weg?«
Von den Felsen auf der anderen Flußseite sahen Carola und Kennicott auf St. Paul und seine Hügel zurück – ein herrlich geschwungener Bogen von der Kuppel der Kathedrale bis zur Kuppel des Staatskapitols.
Die Flußstraße führte an felsigen Abhängen, tiefen Schluchten, an Wäldern, die jetzt im September flammten, vorbei nach Mendota: weiße Mauern und ein Turm zwischen Bäumen, an einem Hügel gelegen, eine alte Welt in stillem Frieden. Und für dieses neue Land ist der Ort auch wirklich alt. Hier steht das trotzige Steinhaus, das General Sibley, der König der Pelzhändler, im Jahre 1835 erbaut hat. Es wirkt, als wäre es Jahrhunderte alt. In seinen ruhigen Zimmern fanden Carola und Kennicott Bilder aus den früheren Tagen, die das Haus gesehen hatte – blaue Schwalbenschwanzröcke, schwerfällige Red-River-Wagen mit kostbaren Pelzladungen, Unionsoldaten mit Backenbärten, mit Käppis und Säbeln.
Das bedeutete für sie gemeinsame amerikanische Vergangenheit, und es war denkwürdig, weil sie es zusammen entdeckt hatten. Sie sprachen vertraulicher, persönlicher, als sie weiterwanderten. Sie überschritten den Minnesota River in einer Ruderfähre. Sie stiegen den Hügel zu dem runden Steinturm von Fort Snelling hinauf. Sie sahen den Zusammenfluß des Mississippi und des Minnesota und gedachten der Männer, die vor achtzig Jahren hierhergekommen waren – neu-englische Holzfäller, York-Händler, Soldaten von den Maryland-Bergen.
»Es ist ein gutes Land, und ich bin stolz darauf. Machen wir daraus, was diese Alten sich erträumt haben«, sagte der sonst unsentimentale Kennicott.
»Ja!«
»Kommen Sie. Kommen Sie nach Gopher Prairie. Zeigen Sie uns was. Machen Sie die Stadt – also – machen Sie sie künstlerisch. Sie ist kolossal hübsch. Aber ich geb' zu, wir sind nicht gerade künstlerisch. Wahrscheinlich sieht der Holzhof nicht aus wie ein griechischer Tempel. Aber gehen Sie ran. Lassen Sie's uns ändern!«
»Das würde ich gern tun. Später!«
»Jetzt! Gopher Prairie wird Ihnen gefallen. Wir haben in den letzten Jahren alles mögliche mit Rasen und Gärten gemacht, und es ist so gemütlich – die großen Bäume und – und die besten Leute von der Welt. Und tüchtig. Sicher hat Luke Dawson –«
Carola hörte nur halb auf die Namen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie je wichtig für sie werden sollten.
»Sicher hat Luke Dawson mehr Geld als die meisten von den Protzen in der Summit Avenue; und Fräulein Sherwin von der Hochschule ist ein richtiges Wunder – die liest Lateinisch, wie ich Englisch; und Sam Clark, der Eisenhändler, der ist blendend – es gibt keinen Menschen im Staat, mit dem man besser jagen könnte; und wenn Sie Bildung haben wollen, da ist außer Vida Sherwin Reverend Warren da, der Kongregationalisten-Prediger, und Professor Mott, der Schulinspektor, und Guy Pollock, der Anwalt – es heißt, der schreibt richtige Gedichte, und – und Raymie Wutherspoon, der ist auch kein Trottel, wenn man ihn mal wirklich kennt, und er singt fabelhaft. Und – und da ist noch eine ganze Menge anderer. Lym Cass. Nur hat natürlich keiner von denen Ihre – Kultur, wie man sagen könnte. Kommen Sie! Wir sind bereit, uns von Ihnen führen zu lassen!«
Sie saßen am Ufer unter der Tablettmauer der alten Festung, ganz unbeobachtet. Er legte seinen Arm um ihre Schulter; müde nach dem Spaziergang, ein wenig fröstelnd, sich seiner Wärme und Kraft bewußt, lehnte sie sich behaglich an ihn.
»Sie wissen, daß ich in Sie verliebt bin, Carola!«
Sie antwortete nicht, aber sie berührte den Rücken seiner Hand mit forschendem Finger.
»Sie sagen, ich bin so lausig materialistisch. Wie kann ich anders werden, wenn ich Sie nicht hab', um aufgerüttelt zu werden?«
Sie antwortete nicht. Sie konnte nicht denken.
»Sie sagen, ein Arzt könnte eine Stadt heilen, wie er einen Menschen heilt. Also, heilen Sie die Stadt von allen Schmerzen, wenn sie überhaupt welche hat, und ich will Ihr medizinisches Besteck sein.«
Sie faßte seine Worte nicht auf, sie hörte nur die Entschlossenheit darin.
Sie war entsetzt, aufgeregt, als er sie auf die Wange küßte und rief: »Es hat keinen Sinn, zu reden und zu reden und zu reden. Sagen Ihnen meine Arme nichts – jetzt?«
»Ach, bitte, bitte!« Sie überlegte, ob sie böse sein sollte, aber der Gedanke huschte vorüber, und sie merkte, daß sie weinte.
Dann saßen sie sechs Zoll voneinander entfernt und taten, als wären sie nie näher aneinander gewesen, während sie versuchte, sachlich zu sein:
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