"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25). Alban Rüttenauer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу "Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25) - Alban Rüttenauer страница 25

СКАЧАТЬ die in den Wirren die tragenden Konstanten bleiben: JHWH, Land, wir (=Volk). Die innere Entfremdung von Gott infolge der politischen Niederlage hat nun auch in religiöser Beziehung eine gewaltige Lücke hinterlassen, die durch irgendetwas ausgefüllt werden mußte. Der Prophet hat es nicht mit religiös gleichgültigen, verweltlichten Menschen zu tun, sondern im Gegenteil mit Menschen mit einem allgemeinen religiösen Bedürfnis, das sich einen anbetungswürdigen Gegenstand sucht. Von diesem Gegenstand erhoffen sie eine Verbesserung ihrer Situation, nachdem sie sich in der Hoffnung, die sie auf JHWH gesetzt haben, enttäuscht sehen.

      Für das Empfinden des Volkes, so verdeutlicht die Redensart, bedeutet die politische Niederlage, daß Gott das Land verlassen haben muß. Auch der Prophet berichtet innerhalb der Vision, wie die Herrlichkeit Gottes den Tempel verläßt, allerdings aus freiem Entschluß und nicht aufgrund einer Niederlage, sondern abgestoßen von dem götzendienerischen, ungerechten und verantwortungslosen Treiben in Tempelnähe. Dies mindert aber gerade nicht seine Gegenwärtigkeit (u.a. auch im Gericht), sondern läßt sie außerdem Formen annehmen, durch die auch die Verbannten an ihr teilhaben können.

      Der Inhalt der Redensart ist so gehalten, daß er einen spannungsvollen Gegensatz zum übrigen Visionsgeschehen aufbaut. Der Spruch läuft auf das Land als Zielwort zu. Darin zeigt sich, welchen Vorrang für das Volk das Politische hat. Der Tempel wird im Spruch nicht erwähnt. Nichts an ihm deutet darauf hin, daß er in Tempelnähe seinen ursprünglichen Ort hat. Die Vision dagegen versetzt den Propheten unmittelbar an den Tempel und läßt vom Land ihrerseits so gut wie nichts sehen. Für den Propheten hat ebenso sicher das Religiöse um seiner selbst willen den Vorrang, und nicht als Mittel zur Erreichung eigener Interessen. Die Redensart spricht von Gott als von einem Gott, der nicht sieht, weil seine Gegenwärtigkeit in den Nöten der Zeit vermißt wird. Gleichzeitig werden die Sprecher vorgeführt wie Menschen, die gar nicht gesehen werden wollen und das Dunkel heimlicher Gemächer aufsuchen. Dem allen gegenüber erscheint Gott in der Vision als ein Alles sehender Gott, vor dem das Dunkelste und Geheimste nicht verborgen bleibt. Für das Volk in der Redensart bedeutet die Niederlage im Lande, daß Gott ein ohnmächtiger Gott ist, der das Land verlassen und damit sein Volk preisgegeben haben mußte. Statt dessen zeigt die Vision einen Gott, der nicht nur im Himmel einen von seinem irdischen Wohnsitz unabhängigen Standort besitzt, sondern der auch auf der Erde sich frei und unabhängig von den Menschen bewegen kann und infolge dessen so etwas wie eine Allgegenwart besitzt.112

      Zimmerli hat 8,12 u. 9,9 als rein illustrierende Redensarten eingestuft.113 Die genauere Analyse zeigt aber, daß auch sie in einen weiter zu fassenden dialogischen Zusammenhang einzuordnen sind. Die Antwort erfolgt nicht in Form einer Rede mit einzelnen Argumentationsschritten, sondern in dem umgebenden Visionsgeschehen selbst, das ohne viel rhetorischen Aufhebens der Wirklichkeitsdeutung in den Redensarten den Spiegel vorhält.114 So wird schon hier bei der Besprechung der ersten Redensart der Verdacht geweckt, daß die Redensarten auch über den beschränkten Rand unmittelbarer Hin- und Widerrede hinaus tiefer mit dem allgemeinen Gang des Buches verbunden sind, als dies bisher wahrgenommen, oder zumindest dargestellt wurde.115 Das abschließende Gericht ist über das Land noch nicht hingegangen. Erst nach diesem Gericht, das die Exilierten nur noch aus sicherer Entfernung wahrnehmen, wird an eine Rückkehr ins Land und an eine Wiederherstellung des Volkes zu denken sein.

      49 Nach Prüfung aller bisherigen Erklärungen dieses Verstummungsbefehls, der den Propheten doch nicht buchstäblich verstummen läßt, kam seinerzeit R.R. Wilson, „An Interpretation of Ezekiel’s Dumbness“, 101, zu dem Ergebnis, ihn so zu verstehen, daß Ezechiel kein Mittler mehr zwischen Volk und Gott sein durfte: „In this dispute Ezekiel is forbidden to be a mediator. He can no longer promote dialogue between the two parties. He can no longer intercede with Yahweh on behalf of the people to make sure that they receive a fair trial. He can no longer argue the people’s case with Yahweh. The implication of iii 26 is that in the dialogue which Yahweh carries on with his people through the prophet, communication can now move in only one direction: from Yahweh to the people.“ Pohlmann interpretiert den Verstummungsbefehl als durch die Diaspora-Redaktion nachträglich eingefügte Abwertung der ersten Golah. Vgl. K.-F. Pohlmann, Hesekiel, 77: „Die Erstexilierten sind keine von Jahwe bevorzugte Sondergröße; in keiner Weise stehen sie vor Jahwe besser da als das sonstige Israel.“ Er sieht hierin einen Bezug zur Weigerung Gottes, auf die Befragung durch die Ältesten einzugehen: „Deswegen soll sich Ezechiel den Ältesten verweigern, die durch ihn Jahwe zu befragen suchen (20,1f.31).“ Wenn man historisch nicht so konkret werden möchte, und sich vom Vorliegen einer so tendenziösen Redaktion nicht überzeugen läßt, kann man immer noch davon ausgehen, daß das Ezechielbuch als literarisches Werk mehr auf Fernwirkung als auf Nahwirkung berechnet ist, d.h. daß die Reden Ezechiels sich mehr an die Leser als an die vorgestellten Adressaten richten.

      50 M.C. Srajek, „Constituiton and Agency“, 148: „Someone of Ezekiel’s caliber will not easily trust a vision or dream, but will rather seek for theological reasons either to dismiss the vision or to accept it.“

      51 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel, 1259: „Hier zeigt übrigens 25,3 mit seiner Parallelisierung von ‘Heiligtum’, ‘Land Israels’ und ‘Haus Juda’ deutlich, daß Jerusalem, Juda und Land Israel als konzentrische Kreise verstanden sind und daß man ‘Israel’ auf keinen Fall auf das Nordreich im Unterschied zu Juda deuten darf.“ Um die Eigenschaft der Begriffe als konzentrische Kreise deutlich werden zu lassen, muß Zimmerli allerdings die Reihenfolge derselben in 25,3 in seiner Deutung umstellen, um ‘Land Israel’ ans Ende setzen und das ‘Heiligtum’ durch Jerusalem ersetzen zu können.

      52 W. Zimmerli, Ezechiel, 1260: „Es ist in alldem ganz deutlich, daß Ezechiel in seiner Verkündigung immer wieder das Gottesvolk als Ganzes sieht, ob er sich nun im einzelnen an seine Exilsumgebung wendet, ob er Jerusalem und Juda vor Augen hat oder ob er die Gesamtvolksgeschichte in ihrer ganzen Weite zu Gehör bringt.“

      53 Unter Berufung auf L. Rost stellt W. Zimmerli, Ezechiel, 1259 fest, „daß die Bezeichnung Judas mit dem Namen ‘Israel’ bei den Propheten seit dem ausgehenden 8. Jahrh., in dem das Nordreich unterging, nachzuweisen ist.“

      54 W. Zimmerli, Ezechiel, 1258: „es fällt auf, wie nachdrücklich im Buche des Judäers Ezechiel von ‘Israel’ geredet ist.“

      55 W. Zimmerli, Ezechiel, 1258: „Den insgesamt 186 Vorkommen von image stehen ganze 15 Belege für image gegenüber.“ Dagegen zählt er, 1260, zum Vergleich bei Jeremia 125 Israel-Nennungen gegen 183 Juda-Nennungen.

      56 W. Zimmerli, Ezechiel, 1259: „ Nach allem bleiben für einen in seiner Motivierung nicht durchsichtigen synonymen Wechsel von der Israel- zur Judabenennung nur die Stellen 8,1 […] und 8,17, wo vom Sündigen des Hauses Juda […] die Rede ist.“

      57 R. Nay, Jahwe im Dialog, bes. 147-181. Die Möglichkeit dazu findet er durch die Erzählung von der Seraja-Gesandtschaft in Jer 51,59 bestätigt. Für das Verständnis der Großvision Kapitel 8 - 11 ergeben sich damit für ihn weitreichende Konsequenzen. So will er das Visionsgeschehen an verschiedenen Stellen unterbrochen sehen, an denen der Prophet zum direkten Dialog mit den vor ihm versammelten Ältesten zurückkehrt. Dieses geschieht nach ihm in 9,8, wo der Prophet angesichts der geschauten Zerstörung Jerusalems zum ersten Mal aufschreit. Dieser Schrei soll von den Ältesten im Exil gehört werden, die Zeugen seiner ekstatischen Entrückung sind. Darum wäre der Ausspruch in 11,3 in Wirklichkeit eine Äußerung eben dieser Ältesten, mit der sie auf den Schrei reagieren. Die VV. 11,4-12 bildeten ihrerseits die prophetische Antwort auf den Ältesten-Spruch. Sie unterbrächen die Vision, da prophetische Verkündigung nach Nay in einer solchen keinen Platz hat. In V. 13 soll Pelatjahu während dieser Verkündigung und damit im Exil sterben und dadurch den Propheten erneut zu einem СКАЧАТЬ