Название: "Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25)
Автор: Alban Rüttenauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschung zur Bibel
isbn: 9783429060084
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Man könnte vier Stufen unterscheiden in dem durch das Sehen ermöglichten Wandlungsprozeß nach Ez:
1. Das Sehen, das ein bestimmtes Urteil unumgänglich macht.
2. Reflexion über Behinderung oder Erleichterung eines rechten Sehens.
3. Die Veränderung einer bestimmten Verhaltensweise oder Einstellung, die das Urteil herausfordert.
4. Die rechte Gotteserkenntnis als höchstes Ziel.
In 8,12 ist von einem Nicht-Sehen die Rede: Gott sieht nicht die Sprechenden. Der Grund ist seine fehlende Gegenwart im Land. Diese macht sein Sehen unmöglich. Er kann nach Meinung der Sprechenden nicht sehen. Dieses Sehen bzw. Nicht-Sehen-Können ist im Verständnis der Sprechenden ein äußerlicher Vorgang, der die unmittelbare Gegenwart voraussetzt. Als Antwort auf diese Meinung der Sprecher kehren sich im Ezechielbuch im Gefolge die vermeinten Verhältnisse in ihr Gegenteil um. Nun ist es Gott, der alles sieht, weil er alles durchschaut, und im ez Sinne alles versteht. Das Nicht-Sehen in 12,6 drückt symbolisch die Blindheit des Fürsten und mittelbar auch des ganzen Volkes aus. Das Volk sieht nicht, weil es nicht versteht, und, wenn man Odell folgt, in gewisser Weise auch nicht gegenwärtig ist, indem es sich hinter Ersatzriten zurückzieht, um auch einer persönlichen Entscheidung auszuweichen, wie sie aus einem richtigen Sehen erfolgen müßte.
Das Interessante hierbei ist, daß Sehen und Verstehen in eine besondere Beziehung zum Land gesetzt werden. Für die Sprecher der Redensart in 8,12 ist die Gegenwart Gottes im Land Bedingung und Voraussetzung für das Sehen und Wahrnehmen des religiösen Kultes. Durch die prophetische Antwort wird auch dieses Verhältnis umgekehrt: Das Sehen und Begreifen der eigenen Schuld, sowie die Einsicht in das einzig wahre Gottesverhältnis wird zur Voraussetzung für die Rückkehr ins Land und den wesentlichen - nicht bloß zufälligen - von Gott gewährten Besitz des Landes. Was erst Voraussetzung war - die Gegenwart im Land - wird selbst, auch für das Volk, infrage gestellt, und muß seinerseits erst Ziel und Gegenstand einer Neu-Vergewisserung werden, die durch neu erlerntes Sehen und Verstehen ermöglicht wird.
1. f) Die Sinnkrise des Volkes
Die Ältesten reihen sich mit ihrem bemerkenswerten Spruch in eine Folge unterschiedlicher Situationen und Vorgänge ein, an denen ganz unterschiedliche Menschen beteiligt sind. Nur die
Die einzige mit Namen genannte Person unter ihnen, Jaasanja, Sohn Schafans, ist nicht ermittelbar. Die weinenden Frauen, wie die 25 Männer mit dem Rücken zum Tempel, die auf die Ältesten folgen, bleiben jeweils anonym. Das Götzenbild am nördlichen Eingang, das vorher erwähnt wird, steht für sich allein ohne anwesende Personen.109 Historisch verifizierbare Angaben sind also in der Komposition so gut wie nicht enthalten,110 oder wenigstens schwer nachweisbar.
Es konnte ein mit der Ältesten-Gruppe verbundener Bezug zur Sinai-Offenbarung und zum Ruf des Mose nach einem prophetischen Volk wahrscheinlich gemacht werden. Das Exil wird damit indirekt mit der Wüstenwanderung verglichen. Das Verhalten der Ältesten führt exemplarisch vor Augen, wie weit das Volk noch von dem Ideal eines solchen prophetischen Volkes entfernt ist und damit von der Möglichkeit eines zweiten Exodus. Auf der anderen Seite soll eben gerade diese Möglichkeit allmählich vorbereitet werden.
Mit Hilfe von Bildern und Szenen in einer dichterisch kunstvoll ausgearbeiteten Komposition bringt der Prophet zur Anschauung, wieviel Widersprüchlichkeiten und Unwahrhaftigkeiten in der Anhänglichkeit an den Tempel zusammenkommen können. Diese durch den Tempel vermittelte Gottesbeziehung also, die zwar geschichtliche Vorgänge begleitet, aber nicht unmittelbar an ihnen ablesbar ist, ist dasjenige Element, worin die Sprechersituation am ehesten zu suchen ist. Der Tempel ist auch der „Ort“, an dem das Gericht beginnt, um von dort weiter auszustrahlen (9,6). Der Wechsel von Haus Israel (8,11 u. 8,12) zu Haus Juda (8,17), sowie ihre gemeinsame Nennung in 9,9 läßt sich am ehesten als das literarische Stilmittel erklären, durch komplementäre Ergänzung die Gesamtheit des Volkes hervorzuheben. Im 11. Kapitel wird die Erzählung zumindest dem Anschein nach historischer.
Das einzige Gewisse, was gesagt werden kann, ist, daß Ezechiel exemplarische Verhaltensweisen des Volkes durch die Vision in räumlicher Nähe zum Tempel geschehen läßt. Bei einer so vorsichtigen Formulierung bleiben verschiedene Möglichkeiten gewahrt. Das exemplarische Verhalten läßt sich sowohl als einheitlicher Ritus, als auch als Abfolge einzelner völlig selbständiger Handlungen verstehen. Neben der häufig genannten Möglichkeit, daß Ez in Jerusalem geschehene Dinge durch die Vision mit dem Exil verbindet, ist auch grundsätzlich mit der weniger oft genannten Möglichkeit zu rechnen, daß er Exilserfahrungen (Tammuz-Verehrung!, sonst nirgendwo im AT erwähnt) nach Jerusalem projiziert.
Das Geschehen am Tempel mit seiner Zusammenschau von Handlungen, die an verschiedenen Orten des Tempels stattfinden und das möglicherweise gleichzeitig, trägt auch in sich den Charakter einer Vision. Die mit der Versetzung nach Jerusalem begonnenen Raumwechsel pflanzen sich weiter fort. Man weiß nicht, wie man sich das ganze Geschehen ohne diesen visionären Rahmen vorstellen sollte. Denn dieser hält nicht nur Jerusalem und Exil zusammen, sondern verbindet auch innerhalb Jerusalems die einzelnen Abschnitte. Keels Feststellung, daß bei Ez die räumliche Komponente die zeitliche überwiege111, wird vielleicht nirgendwo sonst so deutlich wie in der Visionseinheit 8-11. Der Charakter der ganzen Vision ist so gehalten, daß zugunsten einer konsequenten räumlichen Bewegung die zeitlichen Gesetze zumindest stellenweise außerkraft gesetzt oder relativiert werden.
Die Redensart in 8,12 ist dabei so allgemein formuliert, bedient sich einer so einfachen und klaren Sprache, drückt eine mögliche Empfindung der Zeit so direkt aus, daß zu vermuten steht, daß sich nicht nur die Ältesten, sondern überhaupt weite Teile der Bevölkerung darin wiederfinden konnten. In ihrem Inhalt läßt diese Redensart keinen Gegensatz zwischen Jerusalemern und Exulanten erkennen. Sie wird zwar nur in Jerusalem ausgesprochen, doch die Sprecherbezeichnung „Älteste“ schlägt die Brücke auch zu den Exulanten, unter denen sich auch Älteste befinden, wie 8,1 erkennen läßt. Während die Redensart 8,12 liturgisch verankert ist, wird die Variante 9,9, wie noch ausführlicher zu zeigen sein wird, in einen sozialkritischen Zusammenhang gerückt. Diese räumliche, personelle und inhaltliche Variabilität der Redensart befähigt sie, die Thematik auszusprechen und einzuführen, die das Volk bewegt. Hier geht es nicht mehr bloß um Gerichtsankündigung, hier kommen Menschen zu Wort, die bereits Gericht an sich erfahren haben und nun nach dessen Sinn und der weiteren Zukunft fragen. Es sind nicht bloße Einzelstimmen, die sich hier melden, es ist letztlich das Volk selbst, das nach der äußeren Katastrophe auch in eine innere Sinnkrise gerät, durch die nichts weniger als die eigene Identität auf dem Spiel steht. Die Frage, deren Beantwortung durch diese Redensart wie alle weiteren notwendig gemacht wird, ist die, wie das Volk nach seinen Niederlagen und Verlusten einerseits noch als Volk überleben СКАЧАТЬ