Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat. Pierre Bayard
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Название: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Автор: Pierre Bayard

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783888978562

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СКАЧАТЬ Daudet einig zu finden; ein so seltenes Zusammentreffen kann nur in nächster Nähe der Gewißheit stattfinden. Wir können beruhigt sein: die Sonne scheint, wenn beide doch es zugleich verkünden.«[5]

      So ist also die Meinung anderer entscheidend, um seine eigene Ansicht zu formulieren, ja, man kann sich sogar vollständig auf sie stützen, sodass man – nehmen wir an, das ist für Valéry der Fall – keine einzige Zeile des Textes gelesen haben muss. Das Dumme an diesem blinden Vertrauen in andere Leser ist nur, wie er unumwunden eingesteht, dass es schwierig ist, im Kommentar durch Genauigkeit zu glänzen:

      Sieht man über Valérys Zynismus hinweg und trägt stattdessen seiner Ernsthaftigkeit Rechnung, so muss man zugeben, dass die paar Seiten über Proust, die auf diese Einleitung folgen, einen Kern Wahrheit enthalten, denn sie zeigen etwas, das wir immer wieder selbst feststellen können, nämlich dass es keineswegs nötig ist, seinen Gesprächsgegenstand zu kennen, um sich korrekt darüber zu äußern.

      Dieser ist Proust gewidmet, um den man in einer Hommage wohl nicht ganz herumkommt. Nachdem er ihn zu allen anderen Schriftstellern in Beziehung gesetzt hat, von denen er zuvor sprach, hebt Valéry nun doch dessen Besonderheit hervor, ausgehend von der gewiss Proust’schen Vorstellung, dass sein Werk sich auszeichnet durch den »Überfluß an Verknüpfungen, die das geringste Bild so ungezwungen in der eigenen Substanz des Autors fand«. Dieser Fingerzeig auf die Proust’sche Art, die unendlich kleinen Verbindungen jedes Bildes in Szene zu setzen, stellt einen doppelten Vorteil dar. Als Erstes ist es nicht nötig, Proust gelesen zu haben, um dafür empfänglich zu sein, und um dies festzustellen, kann man ihn aufschlagen, auf welcher Seite man will. Darüber hinaus ist dieses Vorgehen strategisch angemessen, da es darauf hinausläuft, den Akt des Herauspflückens selbst und damit also den Verzicht auf das Lesen zu legitimieren.

      Tatsächlich kann Valéry sehr geschickt erklären, wie die Anziehungskraft von Prousts Werk mit seiner außerordentlichen Eigenschaft zusammenhängt, dass man ihn auf jeder beliebigen Seite aufschlagen kann:

      ∗

      Wenn die Würdigung Prousts Valéry dazu dient, seine Vorstellung vom Lesen darzulegen, so wird ihm ein anderer bedeutender Zeitgenosse, Anatole France, die Gelegenheit bieten, sein wahres Gesicht zu zeigen und diesmal nicht nur auf den Autor, sondern auch gleich noch auf den Text zu verzichten.

      Als Valéry im Jahr 1927 als Nachfolger von Anatole France in die Académie Française aufgenommen wird und dadurch in die Verlegenheit kommt, dessen Nachruf zu verfassen, tut er alles, um der Aufgabe, die er sich in der Einleitung seiner Rede selbst stellt, nicht nachzukommen:

      Wollte Anatole France im Gedächtnis oder in einem Text weiterleben, so hätte er einen anderen finden müssen als Valéry, der sich während seines ganzen Vortrags die größte Mühe gibt, ihm nicht zu huldigen. Tatsächlich ist Valérys Rede nichts anderes als eine nicht abreißende Serie von Gemeinheiten gegen seinen Vorgänger, für den er wiederholt das Prinzip des zweifelhaften Kompliments in Anwendung bringt:

      Einer solchen Dichte an unterschwelligen Beleidigungen auf so wenigen Zeilen begegnet man nicht jeden Tag, wird doch das Werk Anatole Frances nacheinander als »angenehm«, »freundlich«, »erfrischend«, »gemessen« und »einfach« bezeichnet, was in der Literaturkritik schwerlich als Kompliment aufgefasst werden kann. Und darüber gefällt es – ein letzter Fußtritt – möglicherweise allen. Man kann es genießen, ohne zu grübeln, da die Ideen nur »gestreift« werden, eine Einschätzung, die Valéry auch gleich weiter ausführt:

      »Was ist auch reizvoller als die köstliche Illusion der Klarheit, die uns ein Gefühl müheloser Bereicherung, sorgenlosen Genießens, achtlosen Verständnisses, kostenlosen Schauspiels schenkt?

      Stellt Valérys Huldigung auf Anatole France nichts als eine Anhäufung von Gemeinheiten dar, so stimmt der Text durch seine Vagheit umso nachdenklicher, als ob Valéry auf keinen Fall den Eindruck erwecken möchte, er habe Anatole France gelesen, da dies seiner Meinung über ihn widersprochen hätte. Nicht СКАЧАТЬ