Yester und Li. Bernhard Kellermann
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Читать онлайн книгу Yester und Li - Bernhard Kellermann страница 9

Название: Yester und Li

Автор: Bernhard Kellermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754181560

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      VI.

      Das gedämpfte Licht im Eckzimmer brannte nun elf Tage.

      Ginstermann ging hinaus ins Freie und machte ein Sträußchen zusammen aus Primeln, Veilchen, Weidenkätzchen und sprossenden Buchenreisern, und was er sonst noch auffinden konnte, Gräsern und Halmen. Auch ein winziges Johanniskäferchen, mit kleinen schwarzen Pünktchen auf dem roten Schild, packte er mit hinein. Diesen Strauß sandte er der Kranken. Er legte keine Karte bei.

      Sie sollte nicht wissen, von wem er sei. Er freute sich in dem Bewußtsein, daß sie diese Frühlingskinder in die Hände nahm, ihren Duft einsog und vom Frühling und der Genesung träumte. Auch glaubte er ihre Gedanken angenehm zu beschäftigen, dadurch, daß er ihnen freien Spielraum ließ, nach dem Geber zu suchen.

      Das Licht brannte nun siebzehn, es brannte nun achtzehn Nächte. Stets gleich gedämpft, stets gleich ruhig, es schien nicht mehr verlöschen zu wollen.

      Aber eines Tages würde es doch verlöschen, das wußte Ginstermann. Einmal da würden diese Fenster da droben schwarz sein, und am Tage darauf würden Wagen vorfahren, aus denen Leute in schwarzen Kleidern stiegen. Er wußte es ganz genau. Und während seines ganzen Lebens würden ihn zwei Gedanken beschäftigen. Sie war das Weib, das die Natur für dich schuf, hieß der eine, sie war es doch nicht, der andere.

      Ginstermann war Tag und Nacht auf den Beinen. Er bemühte sich, Fräulein Scholl aufzufinden, aber es war vergebens. Er hatte vor, ein Dienstmädchen zu bestechen, aber das wäre unfein gewesen. Hundertmal stand er vor dem Portale mit dem Emailschild: Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. v. Gagstetter, mit dem Vorsatze, bei dem Arzte Erkundigungen einzuziehen.

       Was aber hätte der Arzt denken sollen? Er hätte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und sein kluges Philosophenlächeln gelächelt. Konnte er seine Liebe fremde Augen sehen lassen? Im übrigen, was hätte all das genützt? Er konnte nichts tun, als auszuharren, geduldig auszuharren.

      Manches Mal dachte er, ja schien ihm eine untrügliche Ahnung zu sagen: Dieses Licht da droben, hörst du, mein Freund, brennt am Lager einer Toten. Er verbrachte dann eine schwere Nacht und war glücklich, am andern Tage nicht die Wagen mit den schwarzgekleideten Leuten vor dem Hause halten zu sehen.

      Das Licht brannte nun einundzwanzig Nächte.

      In der zweiundzwanzigsten waren die Fenster dunkel.

      Ginstermann vermochte es nicht sofort zu fassen. Er strengte die Augen an, ob nicht doch, ganz leise, ganz leise das Licht da droben noch schimmere. Er wartete, er wartete.

      Die Fenster waren und blieben dunkel. Sie blieben, Gott weiß es, sie blieben dunkel. Dunkel! Er konnte es gar nicht begreifen.

      Noch im Laufe des Abends war er hier außen gewesen. Nicht der kleinste Umstand deutete darauf hin, daß das Unausdenkbare eingetreten sei. Heute morgen hatte das Zimmermädchen die Fenster geputzt und dabei gesungen.

      Ginstermann fühlte sich wie befreit. Das Gespenst, das ihn eingehüllt hatte, lange Tage hindurch, löste sich von ihm. Er atmete auf, lange und tief.

      Langsam ging er die Straße hinab, das Glück der Erlösung genießend und die Freude, daß es besser mit ihr ging.

      Plötzlich hörte, sah, fühlte er wieder wie früher. Der ausgeschaltete Strom seiner Empfindungen kam wieder in Bewegung.

      Er trat in ein Café, dessen erleuchtete Fenster vor ihm lagen. Er brauchte Licht, Menschen! Sein Glück drehte ihn im Wirbel.

      Hier war es hell, ungewohnt hell, es gab Menschen, wenn auch nicht viele. Mit der Befriedigung eines, der eine schwere Zeit hinter sich hat, ließ er sich auf ein Plüschsofa nieder.

      Das Café war in modernem, sympathischen Stile gehalten. Polster von karmoisinrotem Plüsch mit schwarzen, senkrechten Streifen, Tische und Stühle rot gelackt wie Gartenmöbel. Ein Fries nackter, einander nachlaufender Männer mit den gleichen Bewegungen an den Wänden. Das Ganze machte den Eindruck feierlichen Pompes.

       Das ist ein Raum für die still Glücklichen, dachte Ginstermann.

      Das Lokal war schlecht besetzt. In der Ecke, Ginstermann gegenüber, saßen zwei junge Leute. Der eine lag phlegmatisch in seinem Sessel, die Beine ausgestreckt, die Hände in den Hosentaschen, und lachte, wobei sich sein Zigarrenstumpen auf und ab bewegte zwischen den Zähnen. Der andere sprach aufgeregt, immerzu, mit der Begeisterung der ersten geistigen Gärung, er sprach mit Händen und Füßen und warf jedesmal die Streichhölzer um, wenn er seine Zigarette anzünden wollte. Sein Zuhörer lachte nur.

      „Ihr Menschen seid so wesenlos und schemenhaft wie die Moose auf dem Meeresgrund,“ rief der Erregte aus, „und wiederum seid ihr so dick und unverschämt stumpf wie ein Balken!“

      Etwas im Hintergrunde saß eine Dame vor geleertem Glase, den Hut ins Gesicht gesetzt, mit der Lektüre der Wiener Karikaturen beschäftigt. Man sah die nackten Beine nur so strampeln.

      In einer Nische hatten ein Herr und eine Dame Platz genommen. Das Gesicht des Herrn fiel durch leichenhafte Blässe und Bewegungslosigkeit auf und eine Falte über der Nasenwurzel, scharf wie der Schnitt eines Messers. Die Dame sah Ginstermann nicht, er erblickte nur den in einem enganliegenden, stahlgrauen Ärmel steckenden Arm, wenn sie gewohnheitsmäßig in die Höhe griff, um die Frisur zu richten. Er hörte sie dazwischen kurze Fragen stellen und schloß aus ihrer Stimme und Betonung, daß sie geistreich war.

      Im Seitenkabinett spielten zwei Herren stillschweigend Billard. Der eine war der Cafetier, seinem Wesen und seiner Kleidung nach.

      Ein junges, hübsches Mädchen bediente. Ihre Kollegin saß auf einem Stuhle und war eingenickt. Sie hob nur dazwischen die schlafschweren Augenlider, als habe sie im Schlummer das ungeduldige Klopfen des Löffels an eine Tasse gehört.

      Es machte Ginstermann Vergnügen, all das zu beobachten, während ein Teil seiner Gedanken unausgesetzt das glückliche Ereignis des Abends umkreiste.

      Er fühlte sich behaglich hier und brach sogar in Lachen aus, als der Lebhafte ihm gegenüber in lachendem Zorn ausrief: „Dann nehme ich mein Rückgrat heraus und schlage es an dir ab, mein Lieber!“

      Das hübsche Mädchen brachte ihm den Kaffee und blieb ein Weilchen bei ihm stehen. Es war ein blutjunges Ding mit mandelförmigen Augen, aus denen die Schwermut der Keuschheit blickte. Niemand hätte sie in dieser Stellung vermutet.

      „Sagen Sie, Fräulein,“ begann Ginstermann, „kann man nicht zu Ihrer Taufe eingeladen werden?“

      Das Mädchen lachte und blickte ihn verdutzt an, halb argwöhnisch, eine Keckheit hinter dieser Frage vermutend.

      Nun, sie sei doch noch so jung, daß sie unmöglich schon getauft sein könne.

      Sie brach in Lachen aus und wandte sich halb ab, nach den Gästen sehend. Dabei klimperte sie mit dem Gelde in der Tasche ihrer schneeweißen Schürze.

      „Wir werden Sie ‚Rehäuglein‘ taufen,“ fuhr Ginstermann fort — da berührte jemand seine Schulter.

      Es war der Akademiker Goldschmitt. „Uff, Ginstermann?“ rief er aus.

      Der Maler war verblüfft, Ginstermann hier im Café zu treffen, mehr noch, ihn bei einer Unterhaltung mit einer Kellnerin zu ertappen. Seine Verblüffung steigerte sich aber noch, als er Ginstermanns СКАЧАТЬ